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Krallenäste und taube Nüsse

■ Der Waldschadensbericht zeigt: In Hamburg ist noch immer die Hälfte der Bäume krank / Nadelbäume sind stärker betroffen     Von Annette Bolz

Wer zuviel Fast-Food ißt, wird fett und bekommt Mangelerscheinungen dazu. Bei Bäumen ist das nicht anders: Die meisten bekommen im Restaurant „Zivilisation“ viele Stickstoff- und Schwefel-Verbindungen serviert – das läßt sie schnell wachsen –, aber die nötigen Spurenelemente wie Kalium, Calzium und Magnesium fehlen. Zwar werden die Tannen und Eichen davon nicht blaß wie Mc-Donalds-Kids, aber ihre Astspitzen verkrüppeln, Blätter und Nadeln fallen aus und ihre Wurzeln wachsen falsch. Diagnose: Waldsterben.

Gestern stellte Umweltsenator Fritz Vahrenholt den diesjährigen Waldschadensbericht für Hamburg vor. Das Ergebnis in aller Kürze: Es geht dem Wald so beschissen wie zuvor. In Hamburg sind immer noch die Hälfte aller Bäume krank. Forstdirektor Christof-Adolf Engelin zeigte gestern den JournalistInnen die Patienten vor Ort: Bäume ohne Laub und Nadeln; Buchen, deren Astenden schon die typische „Krallenform“ aufweisen und deren Früchte nur noch „taube Nüsse“ sind.

Besonders anfällig für Schäden sind solche Bäume, die in Hamburg eigentlich nicht heimisch sind, wie zum Beispiel die Fichten. In diesem Jahr stellte das Institut für Bodenkunde der Universität Hamburg, das mit der Untersuchung der Waldschäden beauftragt worden war, bei den Fichten 6,4 Prozent mehr kranke Bäume fest. Auch bei der Kiefer sieht es nicht grün aus, nur ein Drittel aller Kiefern in Hamburg ist gesund. Der Bestand der Douglasie, ein Nadelbaum aus Amerika, ist dagegen zu 90 Prozent wohlauf, und die Lärche erfreut sich noch in knapp 80 Prozent der Fälle bester Grünheit. Auch die deutsche Eiche ist zu drei Vierteln noch völlig in Ordnung, doch schon die Hälfte aller Buchen kränkelt. Außerdem führen sie bei den Todesfällen mit 4,1 Prozent.

Vergleicht man die diesjährigen Werte der Waldschäden mit denen der Vorjahre, ergibt sich bei allen sechs gemessenen Baumarten im Mittel eine tendenzielle Besserung. Doch eine einfache Hochrechnung, die weitere Verbesserung werde wieder zum gesunden Ökosystem Wald führen, wäre falsch. Wolfgang Lux vom Institut für Bodenkunde betont, daß Schadstoffemissionen sich erst sehr viel später auswirken können; der Stoff-Kreislauf von Luft, Wasser und Boden, der die Wachstumsbedingungen der Bäume bestimmt, ist schon längst aus der Balance gebracht.

Als besonders schädlich für den Wald gelten Stickstoffverbindungen wie Stickoxyde und Nitrate, aber auch schwefelhaltige Moleküle wie Sulfate und Schwefeldioxid. Treten diese Stoffe vermehrt auf, haben die Pflanzen zwar einerseits mehr Nahrung, denn die Aufnahme dieser Substanzen wirkt wie Dünger. Aber: „Ein Wald ist kein Acker,“ betont Horst Wiechmann vom Institut für Bodenkunde, die Bäume würden dadurch überdüngt. Ein weitaus größerer Schaden entsteht aber dadurch, daß Stickstoff-Verbindungen, die sich im Boden sammeln, in Salpetersäure umgewandelt werden: Die Nahrung der grünen Lebewesen wird durch die Säure zerstört, und Mineralstoffe wie Kalium oder Magnesium stehen nicht mehr zur Verfügung.

Genau dieser Mangel sei es, der die Bäume krank mache, vermuten Wissenschaftler. Die bisherigen Maßnahmen wie das Kalken des Waldes reichen da nicht aus. Die Säuren werden zwar dadurch gebunden, aber mittelfristig werden damit die Nahrungsresourcen der Bäume zerstört.

Eine langfristige Verbesserung des Wald-Gesundheitszustandes läßt sich nur durch verringerte Stickstoff- und Schwefel-Konzentrationen im Boden, im Wasser und in der Luft erreichen. Umweltsenator Vahrenholt sieht das Auto als hauptsächlichen Waldschädling an, während die Industrie-Emissionen keine Rolle spielten. Er plädiert für Tempo-Limits auf den Autobahnen und Verlagerung des Gütertransports vom LKW auf die Bahn. Bei den industriellen Betrieben sei Hamburg schon vorbildlich: „Wir haben hier Schwefeldoxid-Werte wie im Schwarzwald.“ Fehlt nur der Schwarzwald.

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