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■ Grüne Außenpolitik und die MenschenrechtsfrageKein Opfer am falschen Altar

Da liegt am Vorabend der Delegiertenkonferenz in Bonn zur Friedenspolitik ein Antrag vor, unterzeichnet von Ludger Volmer und den meisten Parteivorständlern, der noch ganz im subalternen Geist des kleinen bescheidenen Beiboots zum großen, ehrfurchteinflößenden Tanker SPD gehalten ist. Mit der Verpflichtung auf „eine Außenpolitik der Selbstbeschränkung“ fängt es an.

Warum aber soll nicht zum Beispiel ein Staat, der von der Ökologenpartei geführt wäre, ständige Mitgliedschaft im Weltsicherheitsrat anstreben? Es ist ja keine schlechte Sache, daß es diesen Rat gibt, in dem die Großmächte auf dem Präsentierteller sitzen und über den Einsatz ihrer Gewalt reden, die sie andernfalls auch einsetzen würden, aber im Dunkeln. Nur die Unabhängigkeit dieses Rats von der UNO-Vollversammlung muß revidiert werden, denn sie spricht rechtsstaatlichen Prinzipien Hohn.

Warum also kein Sitz im Sicherheitsrat?

Wenn also Kinkel deutsche Beteiligung am Sicherheitsrat fordert, wäre nicht „Selbstbeschränkung“ dagegenzusetzen, als hätten wir teil an Kinkels Selbst, sondern die Debatte über das ökologische und antimilitaristische Interesse, mit dem eine grüne Regierung im Sicherheitsrat auftreten würde, wäre anzuzetteln. Die Wahrnehmung des antimilitaristischen Interesses im Sicherheitsrat könnte darin bestehen, daß Deutschland sich 1. seiner Geschichte wegen jeder internationalen Militäraktion enthält, 2. viel Geld für die Beseitigung von Kriegsursachen ausgibt und 3. bei jeder Militäraktion der UNO, die nur zum Schein die UNO-Charta erfüllt, in Wahrheit aber eigennützigen Interessen beteiligter Nationen dient, sein Veto einlegt.

Wenn Deutschland unter diesen Bedingungen nicht aufgenommen wird, dann eben nicht. So herum wird ein Schuh draus. So kann man argumentieren, wenn man nicht grundsätzlich die in der UNO- Charta vorgesehenen Zwangsmaßnahmen gegen völkerrechtliche Aggressoren abweist – aber das tut der Antrag Volmers und der Vorständler.

Der totale Pazifismus, den diese Grünen als Parteilinie vorschlagen, ist nur ein weiteres Zeichen von Subalternität. Vor ein paar Jahren noch hat man in unsern Kreisen „Waffen für El Salvador“ gefordert, jetzt soll es überhaupt niemals mehr nötig sein, Gewalt anzuwenden, damit dergestalt „die Gewaltfreiheit als Utopie“, wie es im Antrag heißt, vorbereitet werde. Das hindert dieselben Grünen aber nicht, die ideologische Kampagne zu unterstützen, ja mitzubetreiben, mit der Volker Rühe Deutschlands Militarisierung betreibt. Rühes Taktik besteht darin, Menschenrecht und Völkerrecht stets in einem Atemzug zu nennen und so zu tun, als sei das Völkerrechtsinstrument der Militärintervention gegen Aggressoren – Staaten, die andere Staaten überfallen – auch auf die Fragen der Menschenrechtsverletzung bezogen. Derart schafft er sich, da die meisten Staaten der Welt Menschenrechtsverletzer sind, viel Freiraum für Out-of-area-Einsätze.

Eine um die Macht kämpfende Oppositionspartei würde dem Verteidigungsminister diese Lüge und gefährliche Konfusion um die Ohren hauen, aber der Antrag der Vorständler versucht nur, sie zu „beschränken“: aus der Konfusion sollen nur Sanktionen folgen, die das militärische Stadium nicht erreichen! Um Gewaltlosigkeit bettelnd, gibt man der Konfusion in schrillen Tönen nach, ganz als wären Kohl und Rühe gefährliche Götzen, denen unbedingt ein Opfer gebracht werden muß, das aber ja, wie man sich einredet, nicht bluten wird. Wenn die Partei den Kernsatz des Antrags beschließt, daß „die Formel von der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten nicht gelten“ dürfe, „wenn es um die Durchsetzung der Menschenrechte geht“, ist es mit ihrer Unschuld vorbei.

Der Fall Südafrika

Beliebige Handbücher klären darüber auf, daß dieser Satz grob völkerrechtswidrig ist. Es gibt zwar einen Prozeß fortschreitender Einschreibung der Menschenrechte ins Völkerrecht. Glücklicherweise! Aber irgendein Recht zur Einmischung, lateinisch „Intervention“, bei Menschenrechtsverletzungen ist dabei gerade nicht vereinbart worden. Aus gutem Grund nicht, denn man weiß aus innerstaatlichem Recht, daß Interventionen gegen ein Verbrechen nur dann rechtens sind, wenn es 1. ein demokratisch zustande gekommenes Gesetz gibt, das die entsprechende Tat als Verbrechen definiert, und 2. ein unabhängiges Gericht, das die Maßnahmen der Verbrechensbekämpfung kontrolliert. Deshalb kann kein Menschenrechtsinterventionismus völkerrechtskonform vorgeschlagen werden, sei er militärisch oder sozialhelferisch, solange es zum Beispiel kein internationales Strafgericht mit entsprechenden Kompetenzen gibt. Das wiederum gibt es nicht, weil das weltweit demokratisch zustande gekommene Gesetz über die Definition der Menschenrechte noch nicht existiert.

Es gibt zwei internationale Pakte über Menschenrechte, die von den meisten Staaten unterzeichnet wurden. Nur ein Bruchteil dieser Staaten ist aber vertraglich bereit, sich bei der Anklage auf Menschenrechtsverletzung auch nur in zwischenstaatliche Klärungsverfahren zu begeben. Weit entfernt, Interventionen gegen Verletzer zuzulassen, schreiben die Pakte sonst nur innerstaatliche Verfahren zur Aufklärung und Bestrafung zu – Verfahren der Täter gegen sich selbst. Außerdem ist der Menschenrechtsbegriff in den Pakten schwammig definiert, so daß Staaten ihn unterschreiben konnten, die im Menschenrecht kein Individualrecht sehen, sondern eine Gestaltungsaufgabe vom Staat her.

Oft wird auf das Beispiel der Sanktionen gegen Südafrika verwiesen, um die eigentlich klare Sachlage zu verwirren. Aber Südafrika ist kein Beispiel, sondern die Ausnahme. 88 Staaten haben ein Abkommen gegen Apartheidsregimes unterzeichnet, in denen sie sich auch zu Wirtschaftssanktionen verpflichten. Der Fall Südafrika ist lehrreich und sogar vorbildlich: Hier haben sich viele Staaten auf viel Intervention einigen können, nicht weil Apartheid ein Beispiel für Menschenrechtsverletzungen ist, sondern weil diese ganz bestimmte Verletzung „Apartheid“ hinter der weltweiten Konsensentwicklung in Menschenrechtsfragen so sehr zurückbleibt, daß er eben sehr viele Staaten verband, die sonst in Menschenrechtsfragen verschiedener Auffassung sind. Es gibt Menschenrechtsverletzungen, über die ein so hoher Konsens sogar noch früher bestand, etwa Sklaverei, es gibt andere Menschenrechtsfragen, etwa was „Diskriminierung der Frau“ bedeutet, über die noch heute kein Mehrheitskonsens in Sicht ist.

Erst wenn, dann ...

Muß man da nicht zuerst auf Konsens hinarbeiten? Erst der Konsens, dann darauf fußend die internationalen Strafgerichte, dann die Staatsinterventionen. Nur so wird verhindert, daß die „Weltinnenpolitik“ nach dem Muster des Polizeistaats funktioniert. Die Grünen können ja zur Erkämpfung des Menschenrechts innerstaatliche Revolutionen anzetteln – wenn sie aber glauben, es reiche aus, mit „Ja, aber“ auf die Menschenrechtslinie Volker Rühes einschzuwenken, haben sie als Oppositionspartei abgedankt. Michael Jäger

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