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Weichtierstrategien heute

Systematische Untersuchungen zur Spezies Teddybär, Plüschtier und Vampyroteuthis infernalis  ■ Von Heide Helmhold

Vilem Flusser

Tokyo, Nerima-ku, an einem Augustabend gegen 22.00 Uhr: Auf den Straßen, vor den Bars viele Männer mit weißen Hemden, blauen Anzughosen und Jacketts über dem Arm – Büroschluß für die salari-men, die jungen japanischen Angestellten, die in den Bars oder den kleinen Restaurants kollektiv Entspannung suchen. An einer Straßenecke steht eine Gruppe von ihnen Schlange vor einem grell beleuchteten Glaskasten, in dem neonfarbige Plüschtiere darauf warten, von den müden, verschwitzten Männern nach Münzeinwurf mit einem von außen steuerbaren Stahlfangarm geangelt zu werden. Es gelingt nur wenigen – die timergesteuerte Angelzeit ist zu kurz und Yen-Stücke irgenwann nicht mehr verfügbar. Die Plüschtierautomaten stehen an vielen Straßenkreuzungen oder Stadtteilbahnhöfen, und an allen wird, insbesondere abends, intensiv geangelt. Mit dem blitzenden Stahlfangarm zwischen die weichen Stofftierchen zu fahren, entbehrt nicht eines brutalen Herrschaftsgestus; wie überhaupt der zusammengedrängte Plüschtierhaufen den Eindruck erweckt, daß irgend jemand dem Kasten das lebensnotwendige Medium entzogen hat und nur der rettende Angler die Tiere wieder zum Leben erwecken kann. Das Auftreten der Plüschtiere ist inzwischen global und universal. Die Motive sind ebenso bekannt wie belächelt: Kuschelbedürfnis nach einem konkurrenzintensiven Arbeitstag, Verlangen nach Weichheit in einer Zeit zunehmender Härte, Kompensation nicht gestillter Zärtlichkeitsbedürfnisse, Perversion nicht ausgelebter Sorge- oder Beschützerinstinkte, und das Weiche und Schutzbedürftige kann seinerseits – fetischhaft – wieder beschützt werden. Das Plüschtier boomt in dem Maße, wie zwischenmenschliche Wärme und intakte Sozialbeziehungen rückläufig sind, oder brüchig zu werden beginnen.

Aber das Plüschtier ist nicht mehr der Teddybär, insofern als es nicht mehr das geliebte Tier aus Kindertagen ist. Das kann es zwar auch sein – das Tier, das alle Aggression und alle Liebe erfahren hat, die ein Kind an seiner statt einem Ding widerfahren lassen kann –, aber das heutige Plüschtier erfährt selten diese Art von Persönlichkeitsbildung, wie sie einem Teddybären zuteil wird. Der Teddybär steht im Beziehungsfeld einer Ich-Du-Beziehung, die in der Kindheit ihren Anfang nimmt und als solche nicht beliebig aus einem beleuchteten Glaskasten geangelt werden kann. Das Auftreten des Teddybärs in häuslichen Interieurs ist meist intimer und nicht oder nur schwer mitteilbarer Art, er ist gewissermaßen ein Alter ego. Und er hat einen Kern. Und dies nicht nur im übertragenenen Sinne.

Punktuell geht die Geburtsstunde des Teddybären auf zwei Ereignisse zurück: Präsident Roosevelt reist im November 1902 zur Schlichtung von Grenzstreitigkeiten zwischen Louisiana und Mississippi in die Südstaaten. Seine Leidenschaft als Jäger ist bekannt, und man lädt ihn anschließend zu einer Bärenjagd ein. Es kommen allerdings keine Bären vor die Flinte, und die Jagd wird zu einem Picknick. Um die Situation zu retten, treibt man einen schwarzen Jungbären ins Lager, den abzuschießen Roosevelt sich weigert.

Die Rettung des Schwarzbären

Diese Weigerung wiederum findet Kommentierung in der Presse: Unter Anspielung auf den gerade geschlichteten Grenzkonflikt und auf Roosevelts Befürwortung der Menschenrechte gegenüber der schwarzen Bevölkerung Amerikas erscheint eine Karikatur in der Washington Post, untertitelt mit „Drawing the Line“. Der nicht getötete Jungbär wird damit nicht nur zum Symbol für die Menschenrechtshaltung des Präsidenten, sondern es kennzeichnet auch eine geänderte Grundeinstellung dem Tier gegenüber.

Extensive Treibjagden als Begleitprogramm für Treffen von Staatsoberhäuptern kennt man nicht zuletzt aus dem ehemals sozialistischen Ausland (Rumänien unter Ceaușescu zum Beispiel). Die Potenz eines Herrschers ließ sich an der Quantität der erlegten Kreatur ablesen. Seit der Aufklärung gilt die Definition des Tieres als „seelenloser Automat“, den der Mensch herausfordern und für seine Zwecke mißbrauchen kann. Roosevelt nun verweigerte den Abschuß des Jungbären und läutete damit die „Vermenschlichung“ des Tieres ein.

Tranformation ins Stofftier

Die Karikatur in der Washington Post hat wiederum möglicherweise die Frau eines Süßwarenhändlers in Brooklyn dazu angeregt, einen Plüschbären anzufertigen und diesen in die Auslagen neben die Roosevelt-Karikatur zu legen. Der Verkauf dieser Bären gedieh prächtig, und man fragte im Weißen Haus an, ob es erlaubt sei, die Kreation – nach Theodore Roosevelt – Teddy zu nennen. Nach der Legende wurde dem Anliegen stattgegeben, und damit war der Teddy-Bär geboren. Das ist die eine anekdotische Version für die Objektbildung der Rooseveltschen Schwarzbärschonung.

Eine andere rekurriert aus dem schwäbischen Stuttgart: Die Spielzeugfirma Steiff kreiert 1902/03 ein erstes Plüschtier, den Steiff-Bären. Ein Neffe der Firmengründerin Margarete Steiff hatte als Kunstgewerbeschüler Studien von Bären gemacht, die in die Entwicklung der Produktionslinie „Bär“ eingingen. Nach einem ersten überarbeiteten Muster wurde der zweite Bär 1903 auf der Leipziger Messe vorgestellt. Der Absatz ist zunächst zögerlich, dann jedoch ordert ein amerikanischer Importeur in größerer Stückzahl. Der Verkauf der Steiff-Bären in Amerika läuft gut, und ein Exemplar soll sogar die Hochzeitstafel der Roosevelt- Tochter geschmückt haben – die zweite Version, wie der Plüschbär zu seinem Namen kam. Für welche der beiden Versionen man sich entscheiden mag oder welche weitere sich noch hinzufügen ließen, sei dahingestellt – der Teddybär war geboren, bevor er überhaupt hergestellt worden war.

Fest steht: Der Rooseveltsche Schwarzbär wird nicht getötet. Seine Tapsigkeit ist anrührig. Er wird verkleinert und tritt als Spielzeug einen Siegeszug an. Das heißt: Das Tier als Tier wird nicht abgeschossen, sondern als Stofftier domestiziert und dem Menschen verfügbar gemacht. Das Wilde, Unbezähmbare des Bären, das gerade die Jagdleidenschaft des Menschen herausfordert, mutiert zur „menschlichen“, schutzbedürftigen Hilflosigkeit. Naiv, verspielt und immer mit der Physiognomie des „Kindchenschemas“: eine Projektionsfigur des Menschlichen im Nichtmenschlichen, aber auch des Tierischen im Menschlichen.

Die These lautet nun: Der Teddybär war primär kein Plüschtier heutigen Zuschnitts. Die Intention dieser Produktentwicklung war, das „weiche“ Kinderspielzeug zu entwickeln, das nicht nur eine weiche Oberfläche über einem harten Kern haben sollte, sondern insgesamt eine Steigerung von „Lebendigkeit“ anpeilte: bewegliche Gliedmaßen, naturalistische Modellierung und Oberflächenreiz mittels hochwertiger textiler Materialien über einem mit Holzwolle festgestopften Körper. Eine sublimierte Identifkationsfigur im Bereich Kultur-Natur. Gerade der Einsatz von Plüsch im Sinne eines textilen Spurenfeldes aber ist interessant. Der Bär als freundschaftliches Wesen wurde nicht nur hinsichtlich seiner bezwungenen Animalität, sondern auch hinsichtlich seiner weichen Fellbeschaffenheit vermittelt: Das Fell ist nicht Trophäe, sondern ein Ort von Zärtlichkeit. In der liebevollen wie aggressiven kindlichen Zuwendung

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nutzt sich diese Oberfläche jedoch ab; nicht selten kam der holzwollene Balg zum Vorschein. Der Teddybär – und dies gilt für jedes langzeitig geliebte und dadurch zerschlissene Stoffding – erscheint retrospektiv als Exponent der (glücklichen) Kindheit, dem alles anvertraut werden konnte und der alles ertragen hat.

Das mißbrauchte und geliebte Ding, das gerade in seiner Versehrtheit immer der aufrechte Sieger bleiben wird und dem als dieser ein Ehrenplatz in der inneren wie äußeren Wohnung eingeräumt wird: Das geschonte Tier (Roosevelt) ist auf dem Weg der Verstofflichung (Plüschbär) zum Märtyrer der eigenen Kindheit geworden (Teddybär) und darin zum menschlichen Freund avanciert. Diese Sozialgenesen in Sachen Teddy haben wir wohl alle hinter uns, und längst sind die mit Menschlichkeit angereicherten Ding-Tiere zum begehrten Sammelobjekt geworden: Am 19. September 1989 erzielte ein 1926 gefertigter Steiff-Teddy auf einer Auktion bei Sotheby's einen Weltrekordpreis von 168.000 Mark.

Entkernung des Teddys – das Plüschtier

Soweit der Teddy. Zwar gehört er – systematisch – zur Spezies der Plüschtiere, aber mit den angelbaren Weichtieren hat er nur seine dünne Oberfläche gemein. Wenn der Teddy – wesenhaft – kein Plüschtier ist, was ist ein Plüschtier dann? Plüsch ist die Bezeichnung von Kettsamten mit einer Florhöhe von mehr als drei Millimeter. Der Flor besteht entweder aus Schlingen, die dicht nebeneinander gewebt oder von kleinen Messern schon während des Webens aufgeschnitten werden. Letzteres Verfahren zielt auf eine Vergrößerung des Oberflächenvolumens. Plüsch leitet sich aus dem Französischen „peluche“ und „pelucher“ her, das neben „plüschartig, wollig“, „faserig werden“ auch die Bedeutung von „auszupfen“ hat. Insofern könnte man den Plüsch auch als „ausgezupfte Glätte“ bezeichnen. Die glatte, kohärent gewebte oder gestrickte Fläche wird ins Vertikale „hochgezupft“. Die Fäden steigern die Oberflächenstruktur, wirken auflösend und entgrenzend – die Benutzeroberfläche „Kuscheln“ ist geschaffen.

Die Oberfläche des heutigen Plüschtiers ist gegenüber den Fellen der ersten Teddybären noch einmal um ein Vielfaches vergrößert: mittels eingearbeiteter Acrylfasern, die – aufgeschnitten – Hunderte von Einzelfasern ergeben. Das Ergebnis ist eine homogene, superflorige, hochaufgelöste Benutzeroberfläche, gegen die sich die ersten Teddyfelle recht borstig ausnehmen. Mit dem gesteigerten Weichfaktor der „Felle“ nimmt die gestalthafte Festigkeit der Körper ab: Das Knautschvermögen ist beachtlich – die Plüschtiere können mit einer Hand bis auf wenige Zentimeter zusammengedrückt werden, das heißt: Weiches birgt Weiches und nicht etwa den festen harten Kern eines Teddybalges. Die Radikalisierung der Oberflächenbeschaffenheit wird durch eine irrealisierende Farbgebung nochmals gesteigert. Neonfarbige „springende“ Fellfärbungen verweigern jede Art von Naturalistik, wie überhaupt zoologisch beschreibbare Tiergattungen nur noch ahnungsweise vorhanden sind. Das Kindchenschema hingegen wird überbetont: Im Verhältnis zum Corpus gibt es sehr große Köpfe, knopfartige Nasen und vor allem übergroße Augen mit sehr viel weißem Augapfel und nach unten gerutschten Pupillen – Gesten der Hilflosigkeit an der Grenze der Entgeisterung. Überhaupt sind diese Tiere monsterhafte Kunsttiere, die nur noch schemenhaft als Abbilder realer Tiere gelten können. Aber das ist auch überhaupt nicht mehr die Mitteilung. Ihr massenhaftes Auftreten – in Spielzeug-Großmärkten turmhoch geschichtet; in Kinderzimmern gesammelt; als Anstecknadel, Knopf oder Ohrring; in, auf oder als Rucksäcke; im Zweierpack eines Negativfilm- Sonderangebotes; als Auflockerungsfaktor in einer Fleischereiauslage; als Vertikalturner an den Seitenfenstern der Pkw (gewissermaßen das Ausbruchbedürfnis der staugeplagten Insassen repräsentierend); oder ihre vermehrte Präsenz am computergestützten Arbeitsplatz – dieses massenhafte Auftreten ist nicht mehr der Verweis auf das Tierhafte im Menschen unter Betonung seiner Andersheit, wie es phänotypisch der Teddybär vertritt. Es ist vielmehr die Bestätigung und die Verstärkung einer Kommunikation der Oberfläche. Die Tiere werden oberflächenintensive Mitteilungsträger von „niedlich“, „süß“, „kuschelig“ und sind gerade darin untereinander unendlich kompatibel. Doch nicht nur das: sie entsprechen vielmehr der flächenbezogenen Kommunikationsweise des technologischen Zeitalters überhaupt. Sie sind textile Software- Einheiten, und ihr „Weichtiercharakter“ entspricht dem eines Tieres, das der Philosoph Vilem Flusser zusammen mit dem Computerkünstler Louis Bec beschrieben hat: Vampyroteuthis infernalis.

Vilem Flusser schreibt mit „Vampyroteuthis infernalis“ eine Fabel auf das technologische Zeitalter, seine virtuellen Welten und Möglichkeiten zur telematischen Kommunikation. „Leute, die Fabeln erzählt haben“, so Flusser, „und besonders solche, die philosophische Fabeln erzählt haben, haben versucht, den Menschen vom Standpunkt des Tieres aus zu kritisieren. Wenn man es näher betrachtet, geht es natürlich gar nicht um die Tiere, sondern um zu Tieren verkleidete Menschen.“ (Kunstforum 97, Dezember 1988, 120/121) Vampyroteuthis infernalis ist ein Tiefseekrake, ein Tintenfisch. Dieses Tier spiegelt in seinen Eigenschaften und Möglichkeiten den Menschen in der Welt der neuen Technologien. „Ich habe“, so Flusser, „nach einem Tier aus der Perspektive unserer gegenwärtigen Lage gefischt. Tintenfische spiegeln bis zu einem gewissen Grad unsere gegenwärtige Lage.“ Die Erscheinungsweise dieses Tieres bewegt sich auf drei verschiedenen Ebenen: Als eine Spezies der Tintenfische existiert es wirklich. Flusser beschreibt es mit den Methoden der Biologie als ein hoch entwickeltes Weichtier, eine Molluske, die in der Tiefsee lebt – im Unterschied zu den Menschen, die ein Rückgrat haben, der Spezies der Chordata angehören und auf dem Festland leben. Die zweite beschreibbare Ebene ist die metaphorische oder, wie Flusser sagt, die fabelhafte: Ganz bestimmte Eigenschaften machen diesen – realen – Tintenfisch zu einer Identifikationsfigur der technologischen Medien. Und weil dieses Tier – im abstrakten technologischen Sinne – „weiche“ Eigenschaften hat, ist es seinerseits auch elektronisch durch den Computer „züchtbar“ – Versuche, die Vilem Flusser 1986 zusammen mit Louis Bec unternommen hat. Demnach gibt es dieses Tier dreimal: real als Tintenfisch der Tiefsee, virtuell als computergeneriertes Bildschirmwesen und metaphorisch als Sinn-Tier der Neuen Medien. Vampyroteuthis infernalis ist mit etlichen Rezeptoren, taktilen Farb- und Lichtorganen ausgestattet, vor allem aber verfügt die Haut über Chromatophoren, also Farbstoffzellen, die es dem Tier ermöglichen, die Haut teilweise oder ganz zu verfärben. Diese Verfärbungen sind ein intraspezifischer Code, eine Mitteilung an die Artgenossen. Flusser beschreibt diese vampyroteuthischen Hautmalereien als eine Verarbeitung von Informationen, wobei jede Information zum Bild wird. Eine Art radikaler Impressionismus in Analogie zur Bildschirmkommunikation.

Die Mitteilung ist in beiden Fällen ein Simulacrum von Wirklichkeit. Die Welt erscheint darin nicht mehr als Gegenstand dem Betrachter gegenüber, sondern die Welt kann angesehen werden als eine große Unterlage, als ein Schirm oder ein Möglichkeitsfeld, auf das projiziert wird. Einmal ist es die Haut der Tiere, das andere Mal die „Haut“ des Bildschirms. Es geht dabei nicht mehr um Entzifferung von Welt, sondern die Welt ist jetzt eine Art großer Bildschirm geworden, auf dem unsere eigenen Bilder und Impressionen wiederum projiziert werden können. Das ist als Tendenz gemeint, als eine Möglichkeit, die sich über das Fabelwesen Vympyroteuthis schildern, aber auch beschwören läßt. Vampyroteuthis infernalis ist das Sinn-Tier der Computertechnologie, dasjenige Wesen, das in seinem Weichanteil und seinen lebhaften Oberflächenveränderungen die Welt der elektronischen Impulse repräsentiert.

Die Welt: vorstellbar, einbildbar und abbildbar in virtuellen Oberflächenkonstellationen auf dem Bildschirm. Geformte, gestalthafte Materie ist aufgelöst in eine Anhäufung von Punktelementen und kann jeweilig computerisiert werden. In diesem Sinne nun fungieren auch die Plüschtiere. Sie sind Teil einer zunehmenden Virtualisierung von Wirklichkeit, in der das Weiche, Dienende, Prägbare, in farbstarken Imitaten beliebig verfügbar und abrufbar geworden ist. In den chromatischen Oberflächen dieser Imitate verfangen die unterschiedlichsten Projektionen, sie können jedoch dank ihrer Kernlosigkeit auch alles an Prägbarkeiten mitmachen.

Vampyroteuthis und das Plüschtier

Diese Plüschtiere repräsentieren nichts, es sei denn unsere Auffassungs- und Verarbeitungsweise von Welt, die selbst eine weichverfaßte geworden ist. Mittels dieser grellbunten Weichviecher lassen wir wohl alles an Sympathiekundgebung und menschlicher Wärme in uns abrufen, aber nur, um es dem Plüschtier sofort wieder aufzuprägen – ein in sich selbst rücklaufender Rekurs. War der Teddybär eine dinghafte Identifikationsfigur im (sich bildenden) Konfliktfeld der Ich-Du-Beziehungen, so ist das Plüschtier heutigen Zuschnitts kernlose Knautschzone und oberflächenintensive Projektionsfläche. Kommunikation der Oberfläche meint nicht nur die Art der Mitteilung, wie man sie beispielsweise in der kosmetischen Besessenheit vieler Autobesitzer findet, die alles an chemischem und zeitlichem Aufwand in die Lackoberfläche ihres Fahrzeugs investieren, um diese glänzend, strahlend, immer neu erscheinen zu lassen. Oder wie sie aus den Plänen für ein gescheitertes Projekt eines Stipendiaten einer deutschen Kunststiftung hervorgehen sollte: Die Konzeption sah vor, 400 lebende Küken aus einer Geflügelfarm – weich und flaumig – mit Autolack bunt anzusprühen, um sie dann als wimmelnde Farbträger durcheinanderlaufen zu sehen. Dieses Vorhaben scheiterte zwar am massiven Widerstand und Einspruch der Mitstipendiaten, aber in einer zunehmend oberflächenbezogenen (plüschhaften) Software- Umgebung wird das klägliche Krepieren solcher Küken irgendwann auch (l)egal sein.

Die weichtierstrategischen Anteile einer Kommunikation der Oberfläche zeigen sich jedoch insbesondere in der zunehmenden Bildschirmhaftigkeit der Dinge: Nichts erscheint als das, was es ist. Was sollte es, entkernt und wesenlos, auch sein? „Keine Transzendenz oder Tiefe mehr, sondern immanente Oberfläche von Funktionsabläufen, die glatte und funktionstüchtige Oberfläche der Kommunikation“, um mit Jean Baudrillard zu sprechen. Alles kann Projektions- und Manipulationsfläche für alles sein:

Genmanipulierend wird die Kreatur kalkulierbar und neu computerisierbar, ist der Handel mit fötalem Gewebe begründbar und organisierbar. Volkspädagogisch wird die Kreatur auf dem (TV-)Bildschirm von Professor Grzimek am Beispiel der Steinlaus als „possierliches Tierchen“ gepriesen, marktwirtschaftlich läßt sich der ordinäre Apfelwurm – millionenfach im heimischen Garten und in industriellen Großplantagen weggespritzt – im Design eines Plüschtieres bestens verkaufen: neonfarbig, weich, grell und niedlich – eine gelungene Plüschtierserie des Jahres 1992.

Verursacher gibt es keine: Nicht die Existenz von Bildschirmen, nicht das Plüschtier und auch nicht dieser Tiefseekrake Vampyroteuthis. Sieht man die Vergleichbarkeit ihrer Erscheinungen in ihrer (konkret wie übertragenen) Weichtierverfaßtheit, dann gibt es kein erstes und kein letztes. Weichtierverfaßt lebt es sich medial, und dieses Medium ist flüssig (so auch die flüssigkristallgespeisten Bildschirme), und hier hat sich noch jede Argumentationskette und Letztbegründetheit aufgeweicht. Insofern gibt es auch für die Vampyroteuthi infernali des Festlandes kein Für und kein Wider, kein Wahr und kein Falsch, kein Real und kein Fiktiv – mögen sie nun in der Wirtschaft, in der (genmanipulierenden) Medizin oder in der Kunst oder wo auch immer auftreten.

Wann endlich, so bleibt nur zu fragen, sind wir in unseren Weichtierstrategien so weit gediehen, daß der Teddybär auf einer seiner vielen Treibjagden uns davor verschont, abgeschossen zu werden?

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