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■ DaumenkinoDrehbuch: Die Zeiten

Der etwas ungelenke Titel dieses Films verdankt sich der Erhabenheit des Projekts: Über dreißig Jahre hat der Regisseur Winfried Junge eine Gruppe ehemaliger DDR-Bürger aus dem kleinen Dorf Golzow im Oderbruch beobachtet, von ihrer Einschulung im Jahre 1961 bis nach dem Fall der Mauer. Soweit mir bekannt ist, hat kein anderer Dokumentarfilm bislang einen derartig langen Atem bewiesen. Als der Film im Forum der letzten Berlinale gezeigt wurde, lief ein paar Straßen weiter gerade die „Zweite Heimat“ von Edgar Reitz an, und man kam gar nicht umhin, die zwei Formen der Langzeitbeobachtung miteinander zu vergleichen. Hier die als DEFA-Auftragsarbeit begonnene Chronik, dort „Familiensaga meets Heimatfilm meets Münchener Autorenkino“ – was könnte unterschiedlicher sein? Gemein ist beiden aber ihr Wunsch, Epoche zu machen, etwas über Deutschland zu sagen, was man in 90 Minuten eben nicht sagen kann. Bei beiden ergibt die Wahl des Mikrokosmos Dorf eine Art Unschuldsbehauptung: im Hunsrück und in Golzow haben sie nicht wissen können, was gespielt wird; da sind sie sich treu geblieben, einfach, grundehrlich, mit Bodenhaftung, und immer verschaukelt. Während zum Beispiel der Faschismus, die Prostitution, der Kommerz und alle andere Niedertracht in „Heimat“ aus der Stadt kommt, kamen in Güstrow die Anweisungen, die Unterdrückung, die Staatsmacht, die Ideologien aus der Stadt.

Im Gegensatz zu Reitz, der immer zur Klassik strebt und deshalb mit seinen Figuren wie ein Steinmetz umgeht, wählt Junge einen mitunter recht penetrant-pädagogischen Gestus, wenn er mit seinen Protagonisten spricht. „Du, wie findsten det, det ick hier filme“, „Du, und dette jetz ja keene Zeit mehr hast für de Familie und so“ – solcherlei Bettina-Wegner-Berlinerisch soll sich im Osten öfter bei Intellektuellen eingeschlichen haben, die ständig Angst haben mußten, plötzlich von der proletarischen Ungeduld zum Parasiten erklärt zu werden. „Ich bin logisch einer von euch“ ist der Subtext unter jedem Satz.

Trotzdem: Wenn es einem gelingt, den Filmemacher selbst nicht weiter zu beachten, kann man viel sehen. Was aus den Kindergesichtern wurde, wo der Ehrgeiz blieb, den der Knirps im Geographieunterricht an den Tag legte, und auch was aus den Karrieren und den Liebesbeziehungen wurde. Den Paargesprächen fehlt jede Talk- Show-Hysterie, sie sind von einer frappierend rücksichtsvollen Vernunft (nix „Legende von Paul und Paula“). Zugleich kann man in Ruhe die Entwicklung des DEFA- Dokfilms beobachten: von der Agit-Prop-Auftragsarbeit, der Experimentiernische nach dem achten Parteitag bis hin zur abgemühten Selbstreflexivität nach der Westorientierung... mn

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