■ Das Züricher Gutachten zum Tod von Wolfgang Grams: Legende erfolgreich gestrickt
Das Gutachten der Züricher Stadtpolizei sollte klären, unter welchen genauen Umständen das RAF- Mitglied Wolfgang Grams bei der Schießerei in Bad Kleinen ums Leben kam. Es sollte klären, ob es in der Bundesrepublik möglich ist, daß Polizisten einen gesuchten und gestellten Terroristen noch am Tatort einfach hinrichten. Monate wurde auf die Expertise der Schweizer Behörde gewartet, immer wieder wurde sie angekündigt, immer wieder wurde sie verschoben. Herausgekommen ist jetzt wieder einmal ein Teilgutachten, das die wesentlichen Fragen ausklammert und offenläßt. Der böse Verdacht, daß Mitglieder der Eliteeinheit GSG 9 den bereits wehrlosen Grams zielgerichtet und bewußt erschossen haben, bleibt weiterhin nicht ausgeräumt. Der Komplex „aufgesetzter Kopfschuß“ – er wurde in dem Gutachten schlicht ausgeklammert.
Das Vorgehen hat Methode. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, wird aus gezielt ausgesuchten Teilergebnissen der Untersuchungen abgeleitet, was das Zeug nur hergibt. Schießversuche sollen jetzt belegen, daß die nichttödlichen Schüsse auf Grams aus einer Distanz von mehr als 150 Zentimeter abgegeben wurden. Selbsttötung wird immer wahrscheinlicher, geht damit als abgeleitete Schlußfolgerung einher, das hätten ballistische Untersuchungen ergeben. Tatsächlich sagt dies aber nichts darüber aus, wer die Hand beim aufgesetzten Kopfschuß am Abzug hatte. Ausgeblendet wird auch, daß die Meldung vom wahrscheinlichen Selbstmord den Beobachtungen zweier Zeugen vollkommen widerspricht, die unabhängig voneinander zu Protokoll gaben, Polizeibeamte hätten aus nächster Nähe dem am Boden liegenden Grams in den Kopf geschossen. Solche Zeugenaussagen werden zwangsläufig erst gar nicht zur Kenntnis genommen. Mit der sukzessiven Veröffentlichung der diversen Teilgutachten wird amtlicherseits aber nicht nur die Strategie verfolgt, diese Aussagen so bald als möglich ins Reich des Vergessens zu verweisen. Mit dem Gestus der Wissenschaftlichkeit wird weiter suggeriert, die Zeugen müßten sich einfach geirrt haben. Keiner stellt dann mehr die Frage, warum die Kioskverkäuferin auf dem Bahnhof ihre detaillierte Aussage erfunden haben soll. Keiner soll auch über den Widerspruch stolpern, daß die eingesetzten GSG-9- Beamten bei ihrer Befragung einen Selbstmord Grams' ausgeschlossen haben.
Am Ende kann es dann, wie gestern geschehen, heißen: Es gibt keine Hinweise darauf, daß Grams von anderen Personen erschossen wurde. Häppchenweise wird damit die Öffentlichkeit auf die amtliche Schlußversion vom Selbstmörder Grams vorbereitet – eine Version, die allzu viele nur allzu gerne glauben möchten. Wolfgang Gast
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