: Jetzt ist der Strudl verbrannt
Im Gespräch: Preisträgerin Gertrud Fussenegger ■ Von Christian Michelides
Am 26.Oktober soll die 81jährige österreichische Schriftstellerin Gertrud Fussenegger mit dem Jean-Paul-Preis 1993 des Freistaates Bayern für ihr Gesamtwerk ausgezeichnet werden. Diese Entscheidung wird von verschiedenen Seiten heftig kritisiert. Der Zentralrat der Juden in Deutschland protestierte beim bayrischen Kultusministerium gegen die Ehrung einer Autorin, die antisemitische Texte und schwärmerische Gedichte im „Völkischen Beobachter“ und anderen NS-Publikationen veröffentlicht hatte. Gertrud Fussenegger, so die Antwort aus München, habe ihre damalige „Verblendung heftig beklagt“. Im folgenden gibt Frau Fussenegger Auskunft über das Maß ihrer Verblendung und die Heftigkeit ihres Beklagens.
Gertrud Fussenegger: Ich weiß ja gar nicht, ob ich überhaupt noch interessant bin – für Sie. Ich bin ja aus der Grillparzer-Preis-Jury zurückgetreten – erstens weil der Rücktritt von Senator Toepfer angekündigt war und zweitens weil ich ziemlich schlecht höre, wissen Sie?
Christian Michelides: Das war aber nach der Entscheidung für Hans Lebert?
Ja. Am Schluß der Sitzung hab ich das bekanntgegeben.
Was war denn Ihr Vorschlag für den Grillparzer-Preis 1992?
Ich hab gesagt: Es hat sich in der Szene der österreichischen Literatur nicht so viel geändert, daß ich einen anderen Vorschlag machen würde als 1991. Ich schlage wieder Franz Rieger vor, mit „Schattenschweigen“. Und Alois Brandstetter. Aber da hab ich schon gewußt: Die anderen sind gegen Brandstetter auf jeden Fall.
Der Vorschlag für Lebert kam von...
...Frau Löffler.1
Das war dann eine einstimmige Entscheidung?
Naja, zuerst waren wir ganz erstaunt. Was? Lebert! Aha! Naja. Ich hab mich dann erinnert, daß ich „Die Wolfshaut“ gelesen hab. Ist ja schon ewiglang her. Daß ich schon sehr beeindruckt war. „Der Feuerkreis“ hat mir dann weniger gefallen.
Ich habe Ihnen die Lebert-Rede mitgebracht.
Ja, da habe ich auch wieder nur die Hälfte verstanden... Lassen Sie mich nicht vergessen: Ich hab noch was im Rohr. Da muß ich später hingehen, sonst ist er verbrannt, der Strudl. Ich hab ja heute noch so viele Gäste.
Was haben Sie empfunden, als Wolfgang Gasser die Lebert-Rede gelesen hat und Sie plötzlich zitiert wurden? Es heißt da: „Ich habe viele bittere Tage erlebt, jedoch der bitterste war derjenige im März 1938, als es hieß, Österreich habe aufgehört zu existieren. Und damals habe ich mir versprochen, nichts – auch nicht das Geringste – für das sogenannte Dritte Reich und dessen gewalttätiges Regime zu tun. Andere österreichische Autoren (und ich zitiere jetzt nur solche, die von der Stiftung ebenfalls ausgezeichnet wurden) haben dieses haarsträubende Ereignis völlig anders empfunden, zum Beispiel so: ,Gewaltiger Mann, / wie können wir Dir danken! / Wenn wir von nun an eins sind, / ohne Wanken.‘ Oder so: ,Betend wallt ihm entgegen / freudeweinendes Volk, / sich selbst als Gabe zu bringen, / gewillt zu größtem Bekenntnis.‘“2
Ja, ja. Das habe ich gehört. Zuerst hatte ich irgendwie den Impuls, hinaufzugehen [auf die Kanzel, d. Red.] und zu sagen: Ja, ich bin da zitiert worden. Aber eigentlich ist dieser Text – so hab ich ihn damals geschrieben, so hab ich ihn empfunden – ein Liebesgedicht an Österreich.
Das würde ich eher nicht sagen.
Das würde ich aber schon sagen.
Das ist ziemlich starker Tobak.
Natürlich ist das heute alles lächerliche Sprache. Aber glauben Sie mir's: Wir wollten ja lieben, dieses Österreich, dieses Heimatland! Leider war das ja so: „freudeweinendes Volk“. Ich hab da nichts hinzuzufügen, außer das ich's nicht schlecht gemeint hab. Ich hab mir nie vorgestellt, daß das Glück des eigenen Volkes im Unglück anderer Völker besteht, oder gar in der Ausrottung anderer Völker.
„Gewillt zu größtem Bekenntnis“ ist aber in meinen Augen eine Aufforderung zum Krieg.
Nein, nein. Da ist der Krieg noch nicht – bitte – eingeschlossen. Wirklich. Also gut, wir waren einerseits national erzogen, andererseits hatten wir das Bürgerliche auch schon satt. Mein Vater hat immer wieder darauf hingewiesen, wie miserabel das arme Volk behandelt wird und wurde. Kurz und gut: Wir waren national und sozial gesinnt. Nun kam also das Dollfuß- Regime und hat außenpolitisch mit allen anderen zusammengespielt, nur nicht mit Deutschland. Und man hat ja damals den Charakter von Hitler noch nicht durchschauen können. Freilich kann man sagen: Hitlers „Mein Kampf“ lag vor. Ich habe dieses Buch leider nie ganz gelesen, immer nur Ausschnitte. Es hat mich irgendwo nicht so interessiert. Und außerdem war man der Meinung: Naja, das hat er damals geschrieben – in der Haft. Sie wissen ja, in der Jugend... Naja, so jung war er ja auch nicht mehr. Aber man kann ja auch in zehn Jahren etwas zulernen...
Faktum ist, daß schon 1933 wesentliche Teile der Intelligenz in die Emigration oder in den Selbstmord getrieben wurden. Faktum ist, daß fast alle Juden durch das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums – schon im April 1933 – entlassen wurden. Faktum ist, daß schon im Mai 1933 Bücher brannten. Daß dieses Regime nicht von Pappe ist, hätte man spätestens nach dem sogenannten SA-Putsch sehen müssen, als Röhm und Genossen erschossen wurden...
Das war schändlich, das muß ich sagen. Und das hat uns auch sehr, sehr abgestoßen – auf der einen Seite. Auf der anderen Seite hat man sich wieder damit getröstet, daß es geheißen hat, das waren so extreme Leute, und von denen wollte Hitler loskommen. Gut, wenn ich mit dem Nationalsozialismus auch sympathisiert habe, die Aggressivität werden Sie in allen diesen Texten vermissen... Nicht?
„Böhmische Verzauberungen“?
Ja, ja, gut, gut. Darüber werden wir noch sprechen. Aber in diesen Gedichttexten...
In Ihrer Autobiographie „Spiegelbild mit Feuersäule“, erschienen 1979, kommt die „Stimme der Ostmark“ kein einziges Mal vor.
Da hab ich über vieles nicht geschrieben. Sonst wäre ja das Buch 1.500 Seiten dick geworden.
Heinz Kindermann hat das Gedicht für alle Lehrbücher des deutschen Volkes empfohlen.
Naja, das ist des Kindermanns Sache.
Dieses Gedicht ist auch im „Völkischen Beobachter“ erschienen.
Jaja, das ist schon möglich.
Sie haben oft für die Kulturseite des „Völkischen Beobachters“ geschrieben.
Ja, ich hab dann und wann was geschrieben. Zum Beispiel meine erste Buchbesprechung überhaupt. Es mag schon sein, daß das Gedicht im Völkischen war. Das hab ich gar nicht mehr gewußt. Es war im Völkischen Beobachter noch ein anderes Gedicht, das sich auch bezogen hat auf den Anschluß. Von dem wissen Sie vielleicht gar nichts.
Tut es Ihnen heute leid, daß Sie die „Stimme der Ostmark“ geschrieben haben?
Es tut mir leid, daß ich mich an der Nase herumführen lassen und viele gute Gedanken verschwendet hab auf eine Sache, die dann ein Greuel war, sich dann als Greuel entpuppt hat. Das wissen wir heute, das haben wir 1945 erfahren, erschüttert erfahren, wie wir die Bilder aus den KZs gesehen haben. Das war ein furchtbarer Lernprozeß für uns, denn da erst haben wir richtig begriffen. Es waren vorher so Gerüchte, aber denen mußte man ja nicht glauben.
Und das soll wirklich nicht erkennbar gewesen sein?
Es war so ambivalent. Ich sag Ihnen ehrlich: Ich war eine junge Frau, die heiraten wollte, Kinder haben wollte. Und da hat man eben gehofft, daß die Sache gut geht, daß wieder Hoffnung ist, auf, ja, auch aufs Leben...
Auf Kosten von anderen?
Auf Kosten von anderen hat man damals noch nicht gedacht.
Aber das war doch erkennbar?
Ja, das sagen Sie... so schlau... nachher.
Nein, wenn ich mir die Slogans ansehe, vom Wiener Gemeinderatswahlkampf 1932: „500.000 Arbeitslose, 400.000 Juden. Ausweg sehr einfach! Wählt Nationalsozialisten.“ Kennen Sie den?
Nein nein, den hab ich nicht gekannt. Erstens war ich in Tirol damals. Und dann hab ich den Antisemitismus für so etwas gehalten, wie man heute hinnimmt, daß im Raum der Freiheit halt eben auch die Pornographie einen Platz hat. Etwas, was ich nicht bejahe und was mir grundzuwider ist.
Ich nehme Ihnen die Distanz zum Antisemitismus nicht ab. Wir haben hier die „Böhmischen Verzauberungen“, Erstdruck im „Inneren Reich“.
Naja, man hat gedacht, das ist halt der Streicher, der Streicher.3 Und eine gewisse Kritik hatte man natürlich auch an ...an Juden – oder sagen wir... an dem großen Einfluß...
„Derlei Unfug ist... längst verschwunden.“
Jajajaja.
Das sind die Juden? Das sind die Juden!
Nein, das war das Kind, das war das Kind im Arm der Mutter – bei fegendem Märzwind...
Der Unfug war nicht ...war nicht das ganze Ghetto?
Das war in der „Corona“, ein Büffet. Da gab es sehr gutes Essen. Und draußen sind die Leute gestanden, haben sich wirklich die Nasen plattgedrückt. Die Leute haben gelauert darauf, hineinzustürzen und sich an den Resten derer zu ergötzen. Also das war mir schon zuwider. Aber ganz zuwider war mir die Bettelei auf der Straße. Das hat mir ins Herz geschnitten. Die Bettler und diese... diese... also diese bettelnden Frauen mit den Kindern im Arm waren verschwunden.
Wo waren sie hin... waren sie im KZ?
Das... das...
Oder waren sie in Sozialwohnungen?
Das weiß ich nicht! Das weiß ich nicht! Die Leute hatten Arbeit. Arbeit haben sie bekommen.
Manche auch Zwangsarbeit.
Ja, auch Zwangsarbeit. Es waren auch viele dienstverpflichtet.
Arbeitsdienst, BDM, Hitler-Jugend usw.
In Budweis wohnt noch eine Frau Mlasow, Wlasta Mlasow. Die war bei uns im Haushalt, eine Tschechin, die schreibt mir heute noch und hat mir gesagt: Das waren die schönsten Jahre ihres Lebens – die scheensten –, wie sie bei uns war, beim Herrn Oberst und bei Fräulein Irmi und mir auch. Heuer hat sie mir wieder zu Weihnachten eine Karte geschrieben.
Keine Verachtung der Tschechen?
Doch, doch, doch. Die war altösterreichisch, die Verachtung der Tschechen.
Ich habe eine recht große Toleranzspanne. Aber dieser Text, diese Beschreibung des jüdischen Friedhofs...
Aber das ist ja auch wirklich ein schrecklicher Platz. Wir hatten damals Angst, meine Freundin und ich. Und die Juden hatten vor uns Angst, und wir hatten vor ihnen Angst.
Aber der Unterschied ist, daß Sie überlebt haben...
Tut mir leid.
Das mach ich Ihnen nicht zum Vorwurf. Aber sehr viele Juden haben nicht...
Der Friedhofsbesuch war 1941, die Wannsee-Konferenz war 1942.
Der Text ist erschienen 1943.
Der war fertig 1942, ist aber verbrannt in Leipzig.
Wurde dann aber noch 1944 gedruckt – als Buch.
Nein, 1943 ist er verbrannt.
Dieser Text ist 1943 im „Inneren Reich“ erschienen4 und 1944 als Buch, als „Böhmische Verzauberungen“. Wo haben Sie denn so spät noch Papier bekommen?
Das weiß ich nicht. Das war der Diederichs-Verlag. Vielleicht...
1979 wurde Ihnen der Mozart- Preis zugesprochen, für Ihr Gesamtwerk. Hat Sie das nicht irritiert?
Das ist wohl im allgemeinen für das Gesamtwerk...
Daß eine deutsche Stiftung die „Stimme der Ostmark“ auszeichnet, noch im Jahr 1979...
Horchen Sie mal: Ich hab doch mehr geschrieben als diese paar Texte... Ich hab mich ja für keine Lyrikerin gehalten. Das ist so ein Nebenstrang.
Man hat es nicht einmal der Mühe wert gefunden, irgendeine diplomatische Formulierung zu finden: Für Ihr reiches Schaffen nach 1945 zum Beispiel.
Ja, das hätte ja können den Laudatoren einfallen, aber doch nicht mir!
Ihnen ist das nicht aufgefallen?
Nein, nein.
Das stört Sie auch nicht?
Nein, weil mein Gesamtwerk...
Fortsetzung nächste Seite
Fortsetzung
Da denk ich doch an meine Bücher. Nicht?
Aber immerhin sind auch die „Böhmischen Verzauberungen“ ein Buch... Was war der eigentliche Grund, daß Sie 1983 den Adenauer-Preis der Deutschland-Stiftung abgelehnt haben?
Weil der Herr Ziesel5 mir unsympathisch ist. Nicht wegen dem Adenauer vielleicht oder wegen der Stiftung.
Ich habe mir gedacht, daß auch ein bißchen Angst vor erneuter Kritik wegen der Vergangenheit da mit im Spiel war, weil der Mozart-Preis ja doch...
Naja, das hat vielleicht auch eine Rolle gespielt. Aber der Ziesel hat mich nicht gefreut, nein. Schauen Sie: Das Bundesverdienstkreuz hab ich gerne genommen – von der Bundesrepublik.
Den Johann-Peter-Hebbel- Preis des Landes Baden-Württemberg haben Sie auch genommen, 1969.
Ich weiß nicht, ob Sie bekannt sind mit den Vorbedingungen für den Hebbel-Preis. Es muß ein Autor sein, der rund um den Bodensee entweder geboren ist oder familiäre Beziehungen hin hat...
...und es ist eine faschistische Gründung!
Nein, das weiß ich überhaupt nicht.
Ist unter den Nazis gegründet worden.
Von wem?
Von irgendeinem Gauleiter...
Tut mir leid. Die Autobahn wurde auch von Hitler gebaut...
Alfred Toepfer hat gemeinsam mit Goebbels' Reichsschrifttumskammer zehn Kulturpreise gegründet. Nach 1945 hat er fünf dieser zehn Preise einfach weitergeführt, als wäre nichts geschehen – darunter auch den Mozart- und den Herder-Preis.
Er hat's gebüßt.
...und 46 Jahre lang hat sich niemand darüber aufgeregt.
Lieber Herr Michelides, es ist so traurig gewesen, so zum Weinen, wie dieser alte Mann da aufsteht... nachdem er vom Preisträger beschimpft worden ist. Ich würde einen Preis nicht annehmen, wenn ich den Preisstifter dann in meiner Rede beschimpfen will...
Hans Lebert hat ihn nicht beschimpft!
Naja.
Es war keine Beschimpfung. Er hat ihm die Meinung gesagt...
Also gut. Ich muß eben diese Rede lesen, die ich nicht ganz verstanden habe – aber so viel hab ich von ihr verstanden, daß sie nicht gerade übermäßig freundlich in diese Richtung gesprochen war.
Ich will Ihnen doch die Sitzordnung bei der Lebert-Verleihung in Erinnerung rufen: In der ersten, Reihe ganz in der Mitte, auf der rechten Seite naturgemäß, sitzt der deutsche Botschafter, Philipp Jenninger, der vor wenigen Jahren als deutscher Bundestagspräsident zurücktreten mußte, wegen einer Rede, die als antisemitisch eingestuft wurde. In der zweiten Reihe, direkt hinter dem Botschafter Deutschlands, sitzen Sie, die „Stimme der Ostmark“. In der dritten Reihe, direkt hinter Ihnen, sitzt Sepp Domandl...
Jössasna. Jetzt hab ich ganz darauf vergessen...
...der Gauschulwart von Niederdonau...
Mein Strudl! (eilt in die Küche)
...und der ganze Saal ist gespickt mit lauter alten Nazis, und der Rektor tut so, als wüßte er von nichts.
Jetzt ist er verbrannt, der Strudl. (aus der Küche:) Sie müssen wissen, Herr Michelides: Also ich bin...
Nachher waren sie alle...
...und ich war immer schlecht informiert!
...waren sie alle immer die Unschuld.
Naja. (Es läutet.) Das werden sicher meine Weilheimer Freunde sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen