piwik no script img

Marion Blohm - Abgeordnete auf Abruf

Im Januar 1993 machte die „taz“ damit auf, daß Marion Blohm das Bürgerschaftsmandat möglicherweise aberkannt werden müsse, weil sie nicht nicht die notwendige Voraussetzung erfüllt, um gewählt zu werden: den Wohnsitz im Lande Bremen, seit mindestens drei Monaten. In DVU-Kreisen wurde als sicher erzählt, daß die Abgeordnete den Wohnsitz in Bremerhaven nur zum Schein genommen hatte, um den Bestimmungen des Wahlgesetzes Genüge zu tun. In Wahrheit aber habe sie weiterhin mit ihrem Ehemann im niedersächsischen Langen gewohnt. Bereits 1978 hatte ein Abgeordneter der CDU sein Mandat verloren, weil er sich nur pro forma vor Beginn der Dreimonatsfrist vor der Wahl innerhalb der Landesgrenzen mit seinem ersten Wohnsitz angemeldet hatte.

Aufgrund der Zeitungsberichte erhob der Bürgerschaftspräsident Einspruch beim Wahlprüfungsgericht, und die Staatsanwaltschaft ermittelt seitdem wegen des Verdachts auf Wahlfälschung. Die strafrechtlichen Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen, aber im Juli tagte das Wahlprüfungsgericht, und es kam nach eintägiger Beratung zu dem Urteil: Die DVU-Abgeordnete hat ihr Mandat rechtswidrig erworben und muß die Bürgerschaft verlassen. Noch hat sie allerdings ihr Mandat noch inne, weil sie Beschwerde beim Staatsgerichtshof eingelegt hat, der bis heute (Oktober 93) noch nicht entschieden hat.

Das Urteil des Wahlprüfungsgerichts hatte in den Medien kein ungeteiltes Echo. Das Mandat wurde nicht wegen bewußter Täuschung mit einer pro forma-Anmeldung aberkannt, sondern wegen eines antiquierten Paragrafen im bremischen Meldegesetz. Der besagt, daß der erste Wohnsitz bei Verheirateten automatisch dort ist, wo die Familie lebt; und das ist in der Regel, wo der Ehemann lebt. Das heißt: Ein Ehepartner, der sich in seinem politischen Engagement im Konflikt mit dem anderen Eheteil befindet, kann seinen ersten Wohnsitz wo auch immer anmelden. Wenn es bei der politischen Arbeit auf die Wohnsitzfrage ankommt, wie beim bremischen Wahlgesetz, bleibt er immer davon abhängig, wo der Rest der Familie wohnt, es sei denn, er erklärt die Trennung auf Dauer. Das genau hatte Marion Blohm nicht getan, auch nicht vor Gericht.

Die Frage der Trennung war das einzige, wofür sich das Wahlprüfungsgericht interessierte. Sämtliche Recherchen und Zeugenvernehmungen zur Frage, wo denn Marion Blohm tatsächlich gewohnt hat, waren nur Nebensache. So steht nach wie vor Aussage gegen Aussage: Auf der einen Seite Marion Blohm, ihre Familie und politischen Freunde, die Stein und Bein schwören, daß die Abgeordnete lange vor der Wahl von Langen nach Bremerhaven gezogen sei. Auf der anderen Seite ehemalige politische Weggefährten, die glaubhaft versichern, Marion Blohm habe die Bremerhavener Adresse nur zum Schein und auf Druck der DVU-Zentrale angegeben. In Wahrheit habe sie weiter in Langen gewohnt. Nach Marion Blohms Aussagen sind dies nur Racheakte ehemaliger Mitglieder.

Während des Bürgerschaftswahlkampfes hatten einige DVU-Aktivisten engen Kontakt zur Kandidatin Blohm. Schließlich verwaltete sie auch den Wahlkampfbus. Der stand in der Garage in Langen. Eine Zeugin: „Das verabredete Zeichen fürs Telefon war dreimal klingeln lassen, dann auflegen, dann wieder anrufen. Dann war sie selbst dran.“

Marion Blohm hatte allen Grund zur Vorsicht: Ihr war klar, daß ihre Angaben zum Wohnsitz möglicherweise vom Wahlleiter überprüft würde. Zum anderen aber stand sie unter enormem internen Druck. Mehrfach war sie vom Parteichef Frey ermahnt worden, „die Sache mit dem Wohnsitz“ in Ordnung zu bringen.

Der Bremerhavener DVU-Kreisvorstand schrieb sogar einen Brief nach München, und ie Parteizentrale reagierte. Frey persönlich schrieb an Blohm und den Bremerhavener Kreisvorstand: Sie solle endlich umziehen, sonst, so drohte Frey, verliere sie ihr Mandat. Eine Kopie des Wahlgesetzes legte er bei. Frey war es dringend: Die Dreimonatsfrist war schon angelaufen und auf die pro-forma-Anmeldung allein wollte auch er sich nicht verlassen. Der Brief schlummert noch in den DVU-Akten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen