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Eine verbotene Liebe auf Zypern

Stacheldraht trennt Yoda und Salih. Der Kriegsdienstverweigerer wartet in der Haft auf sein Urteil  ■ Aus Nikosia Klaus Hillenbrand

Zwei Menschen verlieben sich. Sie kommen aus der gleichen Stadt. Er, Salih, hat studiert und arbeitet jetzt auf dem Bau. Sie, Yoda, ist noch verheiratet, hat zwei Kinder aus dieser Ehe. Sie verlangt die Scheidung. Yoda bekommt von Salih eine Tochter, Marissa. Tausendfach passiert so etwas, tausendfach ohne allzu große Probleme. Aber nicht in diesem Fall.

Sie haben fliehen müssen, sind in ein anderes Land gegangen. Es hat nichts geholfen. Heute sitzt der 27jährige Salih im Gefängnis. Die 20jährige Yoda wurde mit Marissa aus dem Land ausgewiesen, lebt wieder in der alten Heimat. Sie können sich nicht schreiben und nicht telefonieren. Sie dürfen sich nicht besuchen. Yoda hat Blumen für Salih nach drüben schicken lassen. Ob sie angekommen sind, weiß sie nicht.

Das türkische Viertel in der zypriotischen Hafenstadt Limassol zählt nicht zu den Gegenden, in die Touristen geführt werden. Löchriger Straßenbelag zwischen heruntergekommenen Häusern, kleine offene Werkstätten neben Kaffeehäusern mit Neon-Beleuchtung. An der Ecke Arnand- und Djami- Jedid-Straße steht eine Moschee. Sie ist frisch renoviert, die Gräber am Friedhof nebenan sind gepflegt. Doch der letzte Gottesdienst liegt 19 Jahre zurück. Nebenan ist noch der Sockel des Atatürk-Denkmals zu erkennen. Atatürks Kopf ist verschwunden, verschwunden ebeso wie fast alle türkischen Zyprioten. Nach dem Krieg von 1974 mußten sie in den türkisch besetzten Norden der Insel umziehen.

Nur ein paar hundert türkische Zyprioten sind geblieben. Manche kamen aus dem Norden zurück, weil sie es dort nicht mehr ausgehalten haben. Aber in den meisten Häusern leben jetzt griechische Zyprioten, die ihrerseits 1974 aus dem Norden flüchten mußten. Yoda aus Famagusta zum Beispiel. Ihre Eltern bekamen ein Betongebäude in der Nähe der Moschee zugewiesen. Die ganze große Familie wohnt darin.

Salih Askerogul kam vor drei Jahren über London nach Limassol. Eigentlich, so schreibt er, habe er nur einen Reisepaß der Republik Zypern holen und dann wieder verschwinden wollen. Denn mit den Papieren der „Türkischen Republik Nordzypern“ sind Reisen kompliziert: Kein Land der Welt außer der Türkei hat diesen Pseudostaat anerkannt. Salih geht nicht zurück nach Famagusta, sondern bleibt in Limassol, wohnt im türkischen Viertel, findet Arbeit. Irgendwann begegnen sich Yoda und Salih, grüßen einander. Sie sind Nachbarn. Salih spricht kein Griechisch, sie versteht kein Türkisch. Sie sprechen Englisch. Sie treffen sich vor dem kleinen Supermarkt, tauschen ihre Telefonnummern aus. Sie verlieben sich ineinander. – Yoda trägt ihr schwarzes Haar so lang, daß es ihr bis auf den Rücken reicht. Lange Beine und große dunkle Augen: Eine zypriotische Schönheit mit sanfter ruhiger Stimme. Von Salih gibt es ein Foto, das ihn umringt von türkischen Polizisten zeigt: ein großer schlanker Mann mit kurzem dunklen Haar, die Hand zum Gruß ausgestreckt.

Ihre Liebe muß geheim bleiben. Yodas Mann, den sie im Alter von 16 Jahren heiratete, darf nichts erfahren. Ihr Vater, der die Ehe arrangierte, weil der Mann in seinem kleinen Eiscremegeschäft arbeitet, darf schon gar nichts wissen. Sie treffen sich in Verstecken, auf Dachgeschossen in einem anderen Stadtviertel. Yodas Ehemann und ihr Vater bemerken nichts.

Aber die Polizei. „Eines Tages ging ich die Straße entlang“, erzählt Yoda. „Da kam ein Polizist und sagte mir, ich müßte morgen früh zur Polizeistation kommen. Ich war damals schon schwanger. Da fragten sie mich dann, warum ich mit einem türkischen Zyprioten ginge. Der sei sehr gefährlich. Sie sagten, ich müßte zu meinem Mann zurück. Dann drohten sie mir, alles meinem Vater zu erzählen.“

Türkische Zyprioten, die aus dem besetzten Norden kommen, sind der Polizei suspekt. Es könnten Spione sein. Salih hat sich außerdem politisch links betätigt. Eine Liebe zwischen einer griechischen Zypriotin und einem türkischen Zyprioten ist in den Akten nicht vorgesehen. Yoda und Salih, der auch zur Polizei bestellt wird, leugnen ihre Beziehung. Es hilft nichts. Der Vater erfährt von ihrem Verhältnis.

Für ihn bricht eine Welt zusammen. Er brüllt, schreit, droht Yoda, sie zu töten. Seine Tochter, verheiratet, zwei Kinder, und jetzt mit einem Türken! „Heute glaube ich, es ging ihm weniger darum, daß Salih türkischer Zypriote war“, meint Yoda. „Am meisten hat er sich wohl aufgeregt, weil ich schon verheiratet war.“ Für ihn ist es eine Schande, daß Yoda ihren Mann und die Kinder verlassen will. Der Vater will Yoda den Paß abnehmen. An einem Sonntag im November vergangenen Jahres flieht das Paar. In der Kleinstadt Paphos wohnen sie bei einem Freund. Nach ein paar Tagen hat die Polizei sie gefunden. Yodas Ehemann erscheint: „Ich habe ihm gesagt, daß ich ihn nicht mehr mag, daß er mich in Ruhe lassen soll.“ Yoda ist volljährig. Der Mann geht.

Später ziehen sie nach Nikosia um. Salih arbeitet auf einer Baustelle. Der Vater findet sie. Sie gehen zurück nach Paphos. Wieder werden sie von Yodas Familie entdeckt. „Mein Vater verlangte, daß ich mit ihnen nach Limassol mitgehe. Salih sei gefährlich, ein Agent.“ Nach zwei Tagen bringt er sie nach Paphos zu Salih zuürck. Doch 14 Tage später taucht er wieder auf. – Yoda und Salih halten es nicht mehr aus. „Wir haben nicht mehr geschlafen in dieser Nacht. Um drei Uhr nachts packten wir unsere Sachen und fuhren los.“ Die Republik Zypern und der türkisch besetzte Teil sind mit Stacheldraht, Sandsäcken und einer UNO-Pufferzone hermetisch voneinander abgeriegelt. Kein Grieche darf in den Norden, kein Türke in den Süden. Doch es gibt ein Schlupfloch: Pyla, ein kleines gemischtes Dorf innerhalb der Pufferzone, von dem man direkt in den Norden kommt. Yoda und Salih, die inzwischen hochschwanger ist, fahren über Pyla zu den Zyperntürken. Sie werden eingelassen. „Wir flohen aus einer Umgebung, in der die Liebe zwischen griechischen und türkischen Zyprioten verboten ist“, schreibt Salih.

Im zyperntürkischen Norden sollen sie zu Propagandazwecken eingespannt werden. Wenn eine griechische Zypriotin aus dem eigenen Land zum Feind flieht, läßt sich das gut vermarkten. Yoda und Salih weigern sich. Eine Nacht verbringt Salih bei der Polizei, unterschreibt, daß er nicht mehr Reserveoffizier werden kann.

Sie ziehen nach Famagusta, der Stadt, aus der Yoda und ihre Familie 1974 vor der türkischen Armee fliehen mußten, weil sie Griechen waren, und in der die Familie von Salih lebt. Sie wohnen im Nachbarhaus der Eltern, die griechisch sprechen können, weil sie früher bei griechischen Zyprioten gearbeitet haben. Marissa wird geboren. Dann kommt Salihs Einberufung zur zyperntürkischen Armee.

„Als türkischer Zypriot kann ich einen griechischen Zyprioten nicht als meinen Feind betrachten. Ich glaube, daß meine Feindschaft gegen einen Zyperngriechen nur seinen Haß gegenüber einem Zyperntürken provozieren würde.“ Mit diesen Worten begründet Salih auf einer Pressekonferenz, warum er den Kriegsdienst verweigert. „Sie wollen mir beibringen, wie man Menschen umbringt. Welchen Feind sollte ich töten – meine Frau Yoda, meine Tochter Marissa, ihre Verwandten und Freunde?“ Salih Askerogul ist der erste Kriegsdienstverweigerer in Nordzypern. Er bietet an, Ersatzdienst zu leisten.

Nach drei Tagen im Versteck stellt er sich der Polizei. Er wird festgenommen. „Ich glaubte damals nicht, daß ich ihn nicht wiedersehen würde“, meint Yoda. Sie zieht zu Nese Yasin, einer zyperntürkischen Lyrikerin, nach Türkisch-Nikosia. „Am Mittwoch nachmittag kam die Polizei. Sie behaupteten, es ginge nach Famagusta. Dort sagte ich ihnen, ich wolle Salih sehen. Die Polizei war einverstanden.“

Yoda berichtet ruhig und scheinbar distanziert. „Am nächsten Tag mußte ich packen und sie fuhren uns zur Polizeizentrale nach Türkisch-Nikosia. Dann sagten sie mir, daß ich ausgewiesen würde. In sechs Monaten könnte ich Salih vielleicht im Gefängnis besuchen.“ Wenn sie nicht freiwillig ginge, so die dunkle Drohung, gäbe es auch andere Wege. Yoda hat Angst. Sie unterschreibt. Eine UNO-Patrouille bringt sie und die kleine Marissa in die Republik Zypern.

Heute will das Militärgericht in Türkisch-Nikosia das Urteil gegen Salih Askerogul verkünden. Er ist der Desertation und der Beleidigung der türkischen Armee angeklagt. Unterstützergruppen auf beiden Seiten kämpfen für seine Freilassung. Amnesty International hat sich eingeschaltet, 33 Europaparlamentarierer protestierten. Und auch Yiannis Parpas, bislang einziger zyperngriechischer Kriegsdienstverweigerer, schickte einen offenen Brief an Salih, den im besetzten Norden aber niemand drucken mag. Parpas' wegen wird es erstmals einen Zivildienst in der Republik Zypern geben. Das Gesetz sieht dafür die doppelte Dienstzeit, vier Jahre, vor.

Ein deutscher und ein österreichischer Pazifist, Martin Hantke und Andreas Rabl, wurden im türkisch besetzten Teil festgenommen, weil sie es gewagt hatten, Flugblätter zu verteilen. Gegen Zahlung von 2.000 US- Dollar kommen sie auf freien Fuß, dürfen aber das Land zunächst nicht verlassen. Am Wochenende wurden sie nach Istanbul abgeschoben. Was mit ihnen geschehen soll, ist unklar. Salih darf im Gefängnis keinen Besuch außer von seinem Anwalt empfangen.

Yoda wohnt wieder bei ihren Eltern in Limassol. Der Vater habe sich verändert, sich in sein Schicksal ergeben, meint sie. Die Nachbarn tuscheln. Die 20jährige schwankt zwischen Hoffnung und Verzweiflung: „Manchmal denke ich, daß ich Salih nie wiedersehen werde. Manchmal hoffe ich, daß er bald wiederkommt.“ Und dann erzählt sie noch, daß sie beide am gleichen Tag, dem 12. Dezember, Geburtstag haben. Da wollten sie eigentlich ein großes Fest feiern.

Doch auch wenn Salih zurückkommen sollte und die alte Ehe von Yoda geschieden wird: heiraten werden die beiden auf Zypern nicht können: Das Gesetz sieht Ehen zwischen griechischen und türkischen Zyprioten nicht vor.

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