piwik no script img

„Wo ich hingehe, sehe ich Zäune“

■ Steilshoop: Ein ungeliebter Stadtteil und seine Jugendlichen / Nicht alle haben ein „Recht auf Aufenthaltsqualität“ / Sozialarbeiter fordern Treff für junge Erwachsene    Von Kaija Kutter

Als Sebastian vor zwei Jahren einem Fußballverein in Wandsbek beitrat, wurde er gefragt, wo er wohne. „Bramfeld, die Gegend“, hat der 16jährige geantwortet. Wo da genau, wollten die Sportler wissen. „Na, Steilshoop“. „Ghetto-Kicker, Ghetto-Kicker“, wurde er daraufhin gehänselt. Der Trainer habe zu ihm gehalten, weil der aus Altona kam, erinnert sich Sebastian. Das sei auch eine wüste Gegend, habe der gesagt. Aber die übrigen Kicker hatten für den Mitspieler aus Steilshoop nichts übrig. „Wenn du nicht ordentlich spielst, kannst du nachher was erleben“, hätten sie ihm gedroht. Nach sechs Monaten sei er zurückgewechselt zum Fußballclub Neu Steilshoop.

Als ob sich die Stadt seiner schämte, ist Steilshoop nicht mal richtig ausgeschildert. Erst kurz hinter der City-Nord taucht unter dem Verkehrsschild „Bramfeld“ der Name jener Großsiedlung auf, die Architekturstudenten der gesamten Republik als Lehrbeispiel für die 70er Jahre vorgeführt wird. Wenn sich Bürger aus diesem Stadtteil bei einem Arbeitsplatz vorstellen, verschweigen sie schon mal ihre Herkunft.

Es sei gut, wenn Steilshoop in den Schlagzeilen sei, sagt eine Sozialarbeiterin. Es klinge zwar bitter, aber erst wenn Bomben knallten, würden sich die Politiker Gedanken machen: „Auch wenn es hier einige wenige gibt, die ausklinken: Steilshoop ist kein Slum.“ Aber sie sei oft stigmatisierend, diese Berichterstattung. So wie die der vergangenen Wochen zum Beispiel.

Denn nach den „Crash-Kids“, den „S-Bahn-Surfer-Kids“, den „Graffiti-Kids“ hat Hamburg jetzt seine „Bomben-Kids“. Wegen der gehäuften Nachfragen von Journalisten hatte die Pressestelle der Polizei kürzlich eine Sammelmeldung über die Vorfälle der vergangenen Wochen verfaßt: In sechs Fällen seien in den Steilshooper Straßen Gropiusring und Borchertring selbstgebastelte Sprengkörper gezündet worden. In fünf Fällen habe es Anschläge auf HVV-Busse gegeben. In vier davon vermutlich mit einer Zwille oder einem Luftgewehr, das fünfte Mal mit einem Molotow-Cocktail, heißt es im Polizeibericht.

In Steilshoop gibt es zwei Häuser der Jugend, einen betreuten Abenteuerspielplatz, den ehrenamtlich arbeitenden Verein „Soziale Arbeit Elefanten e.V.“, den Verein Jugendpflege Steilshoop e.V. mit zwei Sozialpädagogen, die Kirche Martin Luther King mit zwei Sozialpädagogen, zehn Sozialpädagogen im Amt für Soziale Dienste, zwei Stellen in der Straßensozialarbeit, zwei Mitarbeiter bei der Mobilen Kinder- und Jugendarbeit, und zwei ABM-Projekte mit je 25 Stellen. Dazu kommen eine Vielzahl von Initiativen, eine stadtteilübergreifende Jugend- und Sozial-AG und eine mehrmals im Jahr tagende Koordinierungskonferenz.

Es wäre gelogen zu behaupten, daß die Stadt nichts für Steilshoop tun würde. Doch „nichts“ ist in einem Stadtteil wie diesem ein relativer Begriff. Steilshoop ist nicht nur ein junger, sondern auch ein armer Stadtteil, mit einem hohen Anteil von Sozialhilfeempfängern (16 Prozent) und alleinerziehenden Müttern. Jugendliche aus Familien, die in zweiter und dritter Generation von Sozialhilfe leben, haben schlicht nicht die nötige Kaufkraft, um kulturelle Angebote außerhalb des Stadtteils zu nutzen.

Dazu kommt, daß ein Gutteil der Stellen in den oben aufgeführten Einrichtungen nicht besetzt ist. Der Abenteuerspielplatz liegt brach, seitdem im vorigen Winter ein Teil des dazugehörigen Gebäudes abbrannte. Eine der StraßensozialarbeiterInnen ist im Erziehungsurlaub, eine Vertretung gibt es nicht. Im Haus der Jugend Steilshooper Allee ist gar die Hälfte der Stellen vakant.

„Es gibt im Sozialbereich, besonders in der Freizeitpädagogik, zu wenig engagierte Erzieher, die unter den schlechten Bedingungen arbeiten wollen“, sagt der Referent für Jugendschutz in der Jugendbehörde, Axel Peters. Erzieher, die in Häusern der Jugend arbeiten, litten verstärkt am „Burn-out-Syndrom“. Die Scheidungsrate in diesem Beruf sei hoch. Die Arbeitszeiten sind unattraktiv, die Bezahlung ist schlecht. Folge: An der Steilshooper Allee, zum Beispiel, steht ein zweistöckiges Jugendzentrum viereinhalb Tage die Woche leer, während draußen die Kids stehen und frieren. So wie vorige Woche: Weil Journalisten im HdJ-Steilshooper Allee keinen Zutritt haben (“Anweisung von oben“), mußte eine Gruppe von acht Jugendlichen vor der Tür mit der Reporterin sprechen.

Ein Rundgang durch die umliegenden Straßen Hermann-Buck-Weg und Schwarzer Weg macht die Misere deutlich. Überall dort, wo Andi (16), Markus (20) und Frauke (18) als Kinder noch spielen konnten, weil es Wiese, Kleingarten oder Brachland war, stehen heute stacheldrahtumzäunte und von Hunden bewachte Gewerbebauten. Auch eine Kehrseite der „Boomtown Hamburg“. „Wo ich hingehe, sehe ich Zäune. Ich fühl' mich hier wie im Knast“, sagt Andi. Fällt ein Ball beim Spielen übern Zaun, gibt's Ärger. Der Hermann-Buck-Weg wird von einem Gebrauchtwagenhändler als Testrennstrecke benutzt.

Einziger Blickfang an der Steilshooper Allee, der Zufahrt zur Steilshooper Siedlung, sind die drei Tankstellen, die im Neonglanz erstrahlen. „Es gibt nichts, wo wir hin können“, sagt Frauke. Das Haus der Jugend hat nur zwei Tage auf. Ins Billard Café dürfen Minderjährige nicht rein.

Abgesehen von zwei kleineren Garagenbränden ist die Lage in den letzten zwei Wochen ruhig. Zivilbeamte streifen durchs Einkaufszentrum oder belauern die Höfe aus konspirativen Wohnungen. Steilshoop ist unter Kontrolle. „Man kann nirgends mehr hingehen, ohne daß man von der Polizei angehalten wird“, sagt Niclas*. An einigen Tagen sei er bis zu sieben Mal gefilzt worden. Laut Gesetz dürfen Jugendliche unter 18 nur bis 24 Uhr auf der Straße sein. Auch das, so Niclas, nähmen die Streifenpolizisten zur Zeit sehr genau. Das schlichte Spazierengehen auf der Straße reiche aus, um angehalten zu werden und einen „Adler“ machen zu müssen.

„Es stimmt, daß hier Bomben gebastelt werden“, erzählt Niclas, „wenn man Langeweile hat, kommt man auf blöde Ideen“. Er sei dabei gewesen, als vor einem Jahr in den Winterferien der erste Sprengsatz auf dem Schulhof gezündet wurde. „Das war unter uns Jugendlichen abgesprochen. Wir haben alles weiträumig abgesperrt und drauf geachtet, daß niemand zu Schaden kommt.“ Eine Einkaufswagenstange wurde mit Pulver gefüllt. „Dann hat es boom gemacht, und wir fanden das alle ganz geil, weil wir taub waren von dem Lärm.“ Dann hätte die Aktion Nachahmer gefunden, immer neue Stoffe seien ausprobiert worden: „Mit sowas erlangt man Ruhm“.

Kinder experimentieren. Aber wo 17.000 Menschen auf engstem Raum zusammenleben, ist das saugefährlich. Nur durch einen glücklichen Zufall, so der Kripo-Beamte Harry Eldau, sei in Steilshoop noch kein Mensch zu Schaden gekommen.

Sind die Anschläge ein Hilfesignal? Muß die Politik jetzt handeln? „Es ist nicht sinnvoll, Geld zu investieren, weil es diese Anschläge gibt“, sagt die Sozialarbeiterin Petra Lafferenz. Aber unabhängig von den jüngsten Ereignissen gebe es die Notwendigkeit, in den Stadtteil zu investieren und die Bewohner, vor allem die stabileren, zu aktivieren. Dafür sei es sinnvoll, einen „Verfügungstopf“ einzurichten, über dessen Vergabe die Bewohner selbst entscheiden. Die Sozial-AG hat jüngst dem wahlkämpfenden Bürgermeister Voscherau ein Konzept für einen Jungerwachsenen-Treff in die Hand gedrückt. Eben jene Altersgruppe, für die in dem Stadtteil, für den ursprünglich nicht mal eine Kneipe geplant war, nichts vorgesehen ist. Der Treff mit kulturellen Angeboten, Kneipen und billigem Essen soll den jungen Steilshoopern auch Gelegenheit bieten zu jobben.

Zusätzliche soziale Einrichtungen können aber nicht Garant dafür sein, daß die Gewaltbereitschaft im Stadtteil nicht weiter zunimmt. Vielleicht ist das der Grund, warum Verantwortliche zögerlich sind: „Die Notwendigkeit für einen Jungerwachsenen-Treff sehen wir auch“, sagt der Wandsbeker Sozialdezernent Volker de Vries. „Aber man muß auch die Gegenfrage stellen: Was sind das für Ansprüche? Werden sie auch artikuliert?“. Könne es doch gut sein, daß diese Bedürfnisse in einem halben Jahr nicht mehr gegeben sind.

„Es ist richtig, daß für diese Gruppe nicht genügend Angebote vorhanden sind“, sagt auch Axel Peters. Andererseits werde man nie erreichen, „daß jeder Bürger rundum versorgt wird.“ Steilshoop habe eine ungewöhnlich hohe Dichte an sozialen Einrichtungen. Peters: „Es kann passieren, daß wir durch Überversorgung zu Konsumhaltung und Lustlosigkeit nötigen“. Junge Leute hätten halt das Bedürfnis, etwas selber zu machen: „Da gründen 16jährige eine Gang. Und wenn sie Mist bauen, werden sie verfolgt. Dann spielt man Räuber und Gendarm, und das schaukelt sich dann hoch.“

„Die Behörden betrachten nur und tun zu wenig“, kritisiert dagegen Saga-Sozialarbeiter Klaus Pohlandt, der sich seit 15 Jahren im Stadtteil engagiert. Als vor anderhalb Jahren die „Ghetto-Kids“ in Steilshoop randalierten, hatte er sich dafür eingesetzt, daß den Jugendlichen mit einem Container wenigstens vorübergehend Platz geboten wurde.

Pohlandt sieht ein strukturelles Problem, das man auf alle Großsiedlungen übertragen könne: „Einen speziell anerkannten Bedarf für Jugendliche gibt es nicht“. Wenn ein Vermieter einen Innenhof umbaut, müsse er mit diesem Kriterium nicht umgehen. Dabei hätten Jugendliche ebenso wie Eltern und Kinder auch ein „Recht auf Aufenthaltsqualität“. Und das Bedürfnis, sich frei und unkontrolliert zu treffen.

Doch das ist in einem Stadtteil, in dem jeder Zentimeter verplant ist, nicht leicht. „Früher konnten wir rumhängen, wo wir wollten. Da gab es Plätze in den Höfen, wo wir uns hinsetzen konnten“, sagt Sebastian. Heute seien diese von Eltern in Beschlag genommen, die sich um ihre Kleinkinder sorgen, heute gibt es in den Häuserringen Bürger-Patrouillen gegen Graffiti-Sprühereien.

Bleibt das Haus der Jugend neben der Gesamtschule Steilshoop, einem Bildungszentrum, in dem 2300 Kinder und Jugendliche zur Schule gehen. „Dort wird gute Arbeit gemacht. Das muß man auch mal sagen“, sagt de Vries. „Es gibt hier vor Ort ein hohes professionelles Potential, das sich sehr einsetzt“, sagt auch HdJ-Leiter Rasmus Schwemin.

Auch unter den „normalen“ Bewohnern gebe es eine große Bereitschaft, sich für den Stadtteil zu engagieren. Als kürzlich im Einkaufszentrum ein Waffenladen eröffnete, gab es einen Aufschrei unter den Eltern, die per Unterschriftenliste die Einstellung des Waffenverkaufs durchsetzten.

In Steilshoop gibt es viele Hinweise auf eine amerikanisierte Jugendkultur: Graffities, Hiphop, Street-Ball und entsprechendes modisches Outfit. Das werde alles von den Mitarbeitern des HdJ unterstützt. „Wir haben 50 Interessengruppen, allein 15 Musikgruppen, sogar einen eigenen Spielmannszug und eine Beteiligung am Segelzentrum Dove Elbe“. Wenn man es hochrechne, würden 800 bis 1000 Jugendliche das Haus pro Woche frequentieren.

„Das Haus der Jugend ist randvoll“, sagen Markus und Frauke auf die Frage, warum sie nicht dort hingehen. Ein Wohnzimmer für 4850 Jugendliche ist zu wenig. *Name geändert

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen