: Akute Erkältungsgefahr
SG Wattenscheid 09 – 1. FC Nürnberg 2:1 (1:0) / In der Lohrheide ist alles noch ungemein nett – nur nicht mit dem Gegner ■ Aus Wattenscheid Christoph Biermann
Schon 122 Spiele hat Wattenscheid 09 in der Bundesliga absolviert, und trotzdem ist der Klub dort immer noch nicht richtig angekommen. Alles ist in der Lohrheide so nett anders als in der sonst doch gemeinen und kalten Welt der Bundesliga. Das fängt schon damit an, daß am Eingang noch richtige Ordner die Karten abreißen, rüstige Frührentner mit erkalteten Zigarren im Mundwinkel und nicht diese windigen Sicherheitsdienstler, von denen man sonst belästigt wird. Die Currysauce am Würstchenstand ist selbstgemacht und natürlich vorzüglich, von den europapokalverdächtigen Teilchen in der Pressekonferenz ganz zu schweigen.
Und weil alles so freundlich familiär und selbstgestrickt ist, geben sich die „Fans“ der Wattenscheider auch als Anhänger alter Schule, eher moderat als blind ergeben. Deshalb hätte man den offiziellen Fan-Klub des Vereins auch gar nicht besser benennen können als „Lohrheide Pandas“, nach dem friedfertig vor sich hinmümmelnden Vegetarier unter den Bären. Da ist zwar, so Trainer Bongartz, „die Unterstützung von den Rängen gleich Null“, aber wer weiß, wozu es gut ist.
In einem solchen Umfeld ist nämlich Bongartz' Trainerbank noch wirklich eine solche und kein Schleudersitz. Selbst wenn seine Mannschaft 14 Spiele lang nicht mehr gewonnen hat, auf dem vorletzten Tabellenplatz steht und vier von sieben Heimspielen verloren hat.
Außerhalb Wattenscheids wäre da längst die Zeit der Krisensitzungen, Schlagzeilengewitter und Fan- Proteste angebrochen. In Nürnberg sowieso. Beim Verein mit dem zweitgrößten Trainerverschleiß der Liga (nach Schalke) war am Dienstag Willi Entenmann entlassen worden, am Samstag durfte sein ehemaliger Assistent erstmals ans Ruder. Die mitgereisten FCN-Fans schossen sich wegen dieser Entscheidung auf Vereinspräsidenten Gerhard Voack ein. Der kam unter Polizeischutz und mußte Transparente lesen, auf denen in seinem Fall zumindest nicht auf Vorsatz, sondern nur auf Affekt plädiert wurde: „Voack, Du FCN-Töter.“
Doch die Atmosphäre in Wattenscheid, so wunderbar weit von der Bundesliga entfernt, beruhigte die Nürnberger Gemüter bald wieder. Bei den Spielern ging die Ruhe sogar bis zur Lethargie. Während die Wattenscheider im Rahmen ihrer bescheidenen Möglichkeiten taktisch neu formiert, mit neuem Libero und variabel besetztem sechsten Mittelfeldspieler, tapfer attackierten, schauten die Helden von der Noris nur zu. Fast mußte man Angst um ihre Gesundheit bekommen. Wie sie da in den dünnen Hemdchen und kurzen Hosen durch den kalten Novemberwind schritten, bestand akute Erkältungsgefahr. „Ich vermute, daß es die Mannschaft besonders gut machen wollte“, bemerkte Neu-Trainer Renner hinterher über die Leistung seines Teams in der ersten Halbzeit. Aber was wollten sie? Sich hinterher umziehen können, ohne duschen zu müssen?
Mit den 1:0 durch Souleyman Sané nach Flanke von Günter „Weltmeister“ Hermann zur Pause waren die Nürnberger folglich noch gut bedient. Wohl deshalb verlängerten sie die Halbzeitpause auch noch ein wenig in die zweite Spielhälfte. Sané bedankte sich in der 46. Minute ein zweites Mal und enteilte zum 2:0. Die „Pandas“ und die anderen fünftausend 09-Fans unter den sechstausend Zuschauern jubelten jetzt sogar ganz laut, und der Glühwein (auch lecker!) floß in Strömen (na ja ...).
Leider ließen ihre Schwarz- Weißen in der Folge „ein paar Prozent nach“, wie Hannes Bongartz hinterher bemerkte. Aber gegen diesen 1. FC Nürnberg hätten es sogar noch ein paar mehr sein können. Also schoß Uwe Neuhaus nach 77 Minuten sogar noch ins eigene Tor, aber auch das vermochte dem „Club“ nicht mehr zu helfen. Vielleicht hatten sie sich bis zum Schluß von der Wattenscheider Welt täuschen lassen und gar nicht gemerkt, daß es ein wirkliches Bundesligaspiel war.
Wattenscheid 09 : Mai - Buckmaier - Emmerling, Hutwelker - Wolters, Fink, Neuhaus, Hermann (84. Bach), Kula - Sané (90. Löbe), Lesniak
1. FC Nürnberg: Köpke - Kubik - Friedmann, Kurz - Wiesinger (56. Wück), Golke, Schwabl, Oechler (82. Kramny), Wolf - Criens, Zarate
Zuschauer: 6.000; Tore: 1:0 Sané (27.), 2:0 Sané (46.), 2:1 Neuhaus (77./Eigentor)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen