piwik no script img

Aus Wissen wurde Eigentum

■ M.D. Nanjundaswami leitet den Bauernverband im indischen Bundesstaat Karnataka / Bauern als Produktionseinheiten

taz: Hundertausende indische Bauern protestieren gegen das geplante Gatt-Abkommen. Was haben sie dagegen — es soll doch indischen Agrarprodukten internationalen Absatz sichern?

M.D. Nanjundaswami: Die Vorschläge für das Gatt behandeln die Bauern nicht mehr als Menschen, nur als Produktionseinheiten. Die Bauern kämpfen um ihre Menschenrechte. Daher rührt die grundsätzliche Opposition. Amerikanische Farmer sind doch heute schon nur Traktorfahrer, alles andere wird für sie im Konzernlabor entschieden. Die auf dem Tisch liegenden Dunkel-Entwürfe würden zu kollektivem Kolonialismus der Dritten Welt gegenüber den Industriestaaten führen.

Es geht ihnen doch vor allem um die Saatgutfrage.

Nicht nur die Saatgutfrage. Die Bauern wenden sich grundsätzlich gegen das Konzept der sogenannten Trips (trade related intellectual property rights), der handelsbezogenen intellektuellen Eigentumsrechte. Ich weiß nicht, seit wann Wissen plötzlich zu Eigentum geworden ist. Das ist doch eine inhumane, antisoziale Vorstellung. Mit diesem Konzept der Trips versuchen sich die Industriestaaten in intellektueller Piraterie. Das Wissen und die Traditionen der indigenen Völker werden zuerst gestohlen, um sie ihnen dann auch noch wieder zu verkaufen.

Aber das gilt doch längst nicht für alle indischen Bauern. Ein Teil der Bauern ist seit Jahrzehnten in den Weltmarkt integriert und kauft dort sein Saatgut.

Genau die Subsistenzlandwirtschaft soll mit dem Gatt zerstört werden, die völlige Selbstständigkeit der Bauern, die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln. Letztlich wollen die Industriestaaten so die Dritte Welt kontrollieren, Nahrungsmittel als Waffe einsetzen bei der Etablierung des neuen Kolonialismus.

Aber warum sollten die Industriestaaten die Staaten des Südens kolonisieren wollen, sie haben doch genug Probleme zu Haus?

Glauben Sie? Wozu dann diese Gatt-Runden, wozu der Eingriff in unsere Innenpolitik und der Druck zur finanziellen Diziplin bei den Regierungen der Dritten Welt? Mit welchem Recht gehen die Industriestaaten hin und verbieten uns Nahrungsmittelsubventionen? Das sind doch Eingriffe in unsere Souveränität.

Sie verlangen Souveränität gegenüber westlichen Firmen und dem Weltmarkt. Ist diese Art von Souveränität wirklich das beste für die Menschen in Indien? Ich kann nicht erkennen, daß diese Souveränität in den vergangenen 40 Jahren zu einer akzeptablen Einkommensverteilung geführt hat.

Das ist eine ganz andere Frage. Natürlich gibt es innerindischen Kolonialismus. Natürlich richtet sich unser Zorn nicht nur gegen den internationalen Kolonialismus, den nationalen bekämpfen wir auch. Wir wollen eine Wirtschaft der Menschen, für die Menschen. Nicht eine Staatswirtschaft, nicht eine Privatwirtschaft, eine Wirtschaft der Menschen. Wir übernehmen Verantwortung. Das Land gehört uns, nicht den 25 Prozent halbgebildeter Eliten.

Trotzdem kümmert sich ihre Regierung öffentlich kaum um Gatt, es gibt keine Parlamentsdebatten, nicht einmal eine Übersetzung der Vorschläge in relevante Landessprachen.

Das ist ein neuer Höhepunkt der Unverantwortlichkeit und ein Mangel an Rückgrat. Indirekte Demokratie, wie sie in Indien praktiziert wird, mit den gewählten Repräsentanten, das Konzept ist gescheitert. Die Menschen greifen jetzt zur direkten Demokratie. Wir versuchen, die Regierungsgeschäfte jetzt selbst zu führen.

Das schließt dann im Zweifel auch Gewalt ein, die Zerstörung von Einrichtungen des amerikanischen Multis Cargill?

Das gehört zur direkten Demokratie. Die Regierung von Indien hat uns verlassen, da haben wir die Verfassung selbst in die Hand genommen. Wir sind 75 Prozent der Bevölkerung, wir tragen Verantwortung für die Freiheit und Souveränität unseres Landes.

Und wo ist die Grenze dieser Gewalt?

Die Zerstörung von Leben ist Gewalt, die Zerstörung von Sachen nicht. Schon Ghandi sagte während der Quit-India-Kampagne, einen Passagierzug zu sprengen ist Gewalt, einen Güterzug zu sprengen nicht. Die Grenze ist erreicht, wenn die Multis uns verlassen haben, wenn die ausländischen Konzerne uns unsere eigenen Probleme wieder selbst lösen lassen.

Interview: Hermann-Josef

Tenhagen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen