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Wand und BodenWas man in das Auto hineinstopft (ein Schaf)

■ Kunst in Berlin jetzt: Yvonne Trapp, Käthe Löwenthal, Ken Currie und Andrew Savulich

„1985 schien ich zu verstehen, was ich tun mußte: Ich formte den ,Prototyp 0‘. Seitdem arbeite ich an der Figur des Ewigen Mannes.“ Auf einem Mini-Flyer gibt Yvonne Trapp über das Anliegen Auskunft, das sie in ihrer „provisorischen Werkstatt“ in der Galerie Likörfabrik verfolgt, wo ihre „Informationsstelle für Verbreitung, Kenntnis und Studium des Ewigen Mannes“ zu finden ist.

Der Ewige Mann ist für Yvonne Trapp der inspirierende Mann, das männliche Pendant zur weiblichen Muse. Da ein solcher, wie man sich unschwer vorstellen kann, nicht leicht zu finden ist, hat ihn sich Yvonne Trapp aus Tonerde selbst gestaltet, als nackte, aufrechte Figur, mit unter die Achseln gezogenen Armen und den Kopf mit einem Helm bedeckt. Die Anmaßung einer eigenmächtigen Schöpfung verneint jede Ironie. Im Gegenteil ist die Kenntnis und Verbreitung des Ewigen Mannes eng an Ausdrucksweisen und Rituale des Reliquienkults angelehnt. Dieser Reliquienkult, als Informationssystem gelesen, heißt: Der Fetisch wird reflektiert und tausendfach gespiegelt als Andachtsbild verbreitet, aber auch als Siegel, Glücksbringer, als Teig-„Ausstecherle“ oder Linoldruck. Eine seiner schönsten Evokationen und Anrufungen ist diese Statue unter einem Glassturz. In der Außenwand der Kunsthalle in Dijon wurde letztes Jahr eine ihrer Reliefformen eingelassen, was nun Anlaß zu einem Fest gibt, das jährlich am 10. Oktober stattfinden soll. Ein Schrein des Ewigen Mannes reist an die Orte seiner Verbreitung. Am 13. November kam er bei der Familie Glasmeier in Berlin für zwei Stunden zur Ausstellung. Die nächste Station seiner Präsentation wird Rotterdam sein.

Bis 27. November, Auguststraße91, Mi.–Sa., 15–19 Uhr

Ferdinand Hodler war im Fall Käthe Löwenthal der inspirierende Mann, bei dem die Siebzehnjährige 1895 studierte. 1877 in Berlin geboren, wuchs sie in Bern auf. Zuletzt hatte sie ihr Atelier in Stuttgart, wo sie 1933 als Jüdin Malverbot erhielt. 1942 wurde sie deportiert und im Vernichtungslager Izbica/Polen ermordet. Die Ausstellung im Verborgenen Museum verdankt sich unter anderem dem elfjährigen Sohn einer Freundin, der eine Mappe mit etwa 250 Pastellen, Grafiken und Aquarellen, Fotos und Briefen rettete.

Die wenigen Ölgemälde, vielen Pastelle und Zeichnungen zeigen vor allem Landschaften, die Alpen, naheliegenderweise, aber auch die Insel Hiddensee, wo sie ihre Sommer im Haus ihrer Schwester verbrachte. Dazu kommen zwei Portraits und mehrere Stilleben, wie etwa die „Äpfel“ (1903/04), die stark von Cézanne beeinflußt sind. Die von Löwenthal bevorzugten, gedeckten Farben bekommen allerdings in den Gebirgslandschaften eine fast expressionistische Heftigkeit, grelles Grün der Wiesen steht gegen das satte Blau der Berggipfel. Interessant ist, zu beobachten, wie sich im Laufe der Jahre die Linie immer stärker als malerisches Mittel emanzipiert, das den anfänglichen Naturalismus immer deutlicher in eine wenig modellierte, flächige, fast neusachliche Malweise überführt. In der Radierung „Hucke und Leuchtturm auf Hiddensee“ wird sie zur fast kalligraphischen Linie, die eher Text denn Bild ist, radikalisiert.

Bis 5. Dezember, Schlüterstraße70, Do.–Fr., 15–19 Uhr, Sa.–So., 12–16 Uhr

Das Verbrechen im 20. Jahrhundert, das Käthe Löwenthal nicht überlebte, Völkermord und Krieg, brennt ein Loch in die Landkarte, die ein Protagonist im großformatigen Ölbild „The Bathers“ (1992) des schottischen Künstlers Ken Currie in den Händen hält. In einer Mischung von Brueghel, Otto Dix und Francis Bacon zeigt Ken Currie in der Raab Galerie eine Totentanz-Serie, die wohl dem Zusammenbruch des sowjetischen Imperiums zu verdanken ist. „So Falls Tyranny“ (1992), Kohle und Pastell auf Papier, zeigt auf einem am Fenster stehenden Tisch das Bild einer Maria mit Kind, vor dem eine brennende Kerze aufgestellt ist. Durch das Fenster erblickt man eine stürzende Männerstatue, von Seilen und Leitern noch knapp gehalten. Spitze Kapuzenzipfel und Kreuze deuten eine weiter nicht sichtbare Menge an. Die Fabrik- und Schlotelandschaft zitiert den Stil des Konstruktivismus ebenso wie die Denkmalsfigur die politische Ikonographie der Leninstatuen. Die neuen und die alten Götter und immer das gleiche Elend: „Tolerance means weakness“ (1993) ist ein Männerkopf betitelt, auf dessen Stirn „Ubu“ tätowiert ist, während der Halsausschnitt des Unterhemds ein blutig in die Haut geschnittenes „Le Roi est mort – vive le Roi“ freigibt. Die redundante Botschaft der Bilder ist simpel: Die Brüder des Zentralbildes des „5th Triptychon“ haben alle blutige Hände – sowie offene Hosenschlitze, aus denen der Signifikant aller Männlichkeit unvorteilhaft erbärmlich hervorspitzelt. Ken Currie hat in früheren Zeiten heroische Wandgemälde in marxistischer Tradition und Geschichtsutopie gemalt. Trotz der „Verwerflichkeit“ dieses Tuns, wie er in „So Falls Tyranny“ signalisiert: Noch immer sind es die anderen, die in „falschem Bewußtsein“ befangen sind.

Bis 10. Dezember, Potsdamer Straße 58, Mo.–Fr., 10–18.30 Uhr, Sa. 10–14 Uhr

Tod, Gewalt und Verbrechen ist auch das Thema des amerikanischen Fotografen Andrew Savulich. Wegen seiner Bilder lohnt sich der Weg in die Fotogalerie des Kulturamts Friedrichshain. Obgleich sich Savulich als von Weegee beeinflußter hard core- Fotoreporter geriert, zeigen seine scheinbar in surreal-absurde bis schockierende Einzelbilder zerfallenden Fotoserien eine konzeptionelle Unterströmung. Vor allem wie sich Mord, Unfall, Körper, Leben und das Ding an sich, das Auto, im Schnappschuß begegnen, ist das Studium wert. Türen so oder so geöffnet, was man in das Auto hineinstopft (ein Schaf) und wieder herausholt (Verdächtige, Tote), mit dem Schneidbrenner womöglich, das provoziert den Schock des Erkennens.

„Zwischen Realität und Fiktion – Arbeiten 4 amerikanischer Fotografen“. Bis 11. Dezember, Helsingforser Platz 1, Di.–Fr., 11–18 Uhr, Sa. 14–18 Uhr. Brigitte Werneburg

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