: Fußbad im Aquarium
■ Uraufführung in der Baracke des Deutschen Theater: „Unser Dorf soll schöner werden“ von Klaus Chatten
Die Provinz im Kopf, die Füße im Aquarium: So präsentiert sich Herr Hubert Fängewisch, ein ganz normaler Deutscher. Er sitzt im Fernsehsessel, klopft Sprüche und hortet Erinnerungen an die erlittenen Ungerechtigkeiten im Leben.
In der Regie von Johanna Schall spielt Klaus Piontek diese Figur ganz wunderbar. Er zeigt seine Tristesse, seinen Witz, seine vermeintliche Harmlosigkeit. Das abgrundtief Böse kommt auf sehr leisen Sohlen, verschwindet immer schnell wieder im Dunkeln, wie die wenigen Diabilder, die auf die Wohnzimmerwände projiziert werden, um Herrn Fängewischs Erinnerungen zu illustrieren.
Diese Erinnerungen freilich bleiben immer dort stehen, wo sie eigentlich beginnen sollten. Da sind die Puppen des Sohnes, die der sorgende Vater im Keller verbrennt, weil der Sohn mit anderem spielen soll. Oder der Kanarienvogel des Sohnes, den der Vater in der Tür einquetscht. Natürlich nicht mit Absicht. Plötzlich ist der Sohn stolz, ein Deutscher zu sein, seine Haare werden immer kürzer. Schließlich geschieht das Verbrechen, und der Herr Fängewisch erinnert sich an nichts Böses und versteht die Welt nicht mehr. Seinen Kummer ertränkt er in 21 Gläsern Korn, die er auf drei Tabletts verteilt zu Beginn des Abends neben sich stellt.
Klaus Chatten setzt in seinem ersten Theatertext auf Untertöne – ein gelungenes Debüt: „Da kanns du nix gegen machen. Dat is Vererbung“, lautet einer der vielen Sprüche, die Herr Fängewisch so gerne klopft. Ansonsten sammelt er alles mögliche, liebt Kreuzworträtsel und seine Heimat und schreibt Gedichte, war Mitglied des Heimatvereins, der Knappenkapelle und der SPD.
Als er gegen Ende seines Monologs zur Anklage aus dem schwarzen Rahmen tritt, der sein Wohnzimmer umgibt, und sein privates Unglück beklagt, steht ein sympathischer gebrochener Mann vor uns, dem wir am liebsten tröstend auf die Schulter klopfen wollen. Es riecht nach Fichtennadeln (vom Fußbad im offenen Aquarium). Daß die anfangs so erfolgreiche Werbekampagne „Unser Dorf soll schöner werden“ den Hubert nicht zu einem glücklicheren Menschen gemacht hat, tut uns fast leid. (Fast) vergessen ist die SS-Uniform im Keller.
Klaus Chatten hat seine subtile Charakterstudie geschrieben, die einen Prototypen vorstellt, ohne platt zu werden, die die Banalität des Bösen zeigt, ohne zu pädagogisieren. Der Autor verzichtet darauf, uns zu zeigen, daß er klüger ist als seine Figur.
In die Fänge dunkler Mächte ist der gute Hubert geraten: die Macht unverarbeiteter Familientragödien und die Macht des Fernsehens. Was das Fernsehen an gemeinsamem Erinnerungspotential produziert – von den diversen Olympiaden bis zu „Aktenzeichen XY“ –, erleuchtet dem Herrn Fängewisch nicht gerade das Dasein.
Als er das Publikum auffordert, zum Loblied auf seinen sechzigsten Geburtstag – zur Melodie von „Kennst du die Perle Tirols“ – mitzuschunkeln, wird er in der Baracke des Deutschen Theaters nur milde angelächelt. Das Brauchtum darf verweigert werden. Margit Knapp Cazzola
„Unser Dorf soll schöner werden“ von Klaus Chatten. Regie: Johanna Schall, Bühne und Kostüm: Meentje Nielsen. Musik: Uwe Hilprecht. Mit Heinz Piontek. Die nächsten Aufführungen sind am 4., 13. und 17. Dezember, jeweils um 20 Uhr in der Baracke des Deutschen Theaters, Schumannstraße 13a, Mitte.
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