■ Normalzeit: Wesentliche Gedanken zur Vereinigung
Es gibt natürlich außer dem Grünen Pfeil und der „Versteckten Arbeitslosigkeit“ (Birgit Breuel) noch so einiges, was die Ostler mit in die Vereinigung „eingebracht“ haben. Zum Beispiel einige ganz wesentliche Gedanken: „Der ist immer Trabi gefahren und war ein anständiger Mensch“, ist so ein Gedanke, zur Einschätzung eines Menschen, seiner Biographie und seiner Politikfähigkeit.
„Eijentlich hat sich nischt jeändert, außer det Jesellschaftssystem“: Auch diese Einschätzung, von einem Müllmann aus Marzahn geäußert, bei dem die vernichtende Kritik am Sozialismus gleichsam wieder durch die Brust, soziale Marktwirtschaft, ins Auge fällt, war bis zur Wende höchstens unter einer Handvoll rätekommunistischer Westlinker verbreitet, und sie wurde nicht einmal von ihnen sonderlich ernst genommen. Heute gibt sie immerhin einem aufrechten Sozialdemokraten, Norbert Gansel, „lange zu denken“.
Vom gleichen Kaliber ist der kapitalismuskritische Satz: „Wir haben das alles in der Schule gehabt, aber daß es wirklich genauso ist, habe ich nicht gedacht.“ Noch pointierter hört man es ost- landauf-landunter aus Arbeitermund: „Langsam kann ich die RAF verstehen!“ Die Bürgerbewegten, Schorlemmer, drücken selbiges, da politik- und öffentlichkeitsambitioniert, gewählter aus: „So haben wir uns die Wende nicht vorgestellt!“ Hinter beidem steckt jedoch die gleiche Drohung: Wenn die da oben in Bonn (als Westler würde man eher von denen dahinten sprechen) nicht bald einen anderen Kurs fahren, dann ...
Zwischen Nörgeln und Drohen
Die West-Medien – und das sind eigentlich bis auf Neues Deutschland und Junge Welt alle – kontern dieser zwischen Nörgeln und Drohen schwankenden „Befindlichkeit“ (auch ein Ostwort, aus der Feuilleton-„Strecke“) mit vornehmlich von Ausländern (am besten dienen dazu pseudo- französisierende Polen) geschriebenen „Essays“, in denen unterm Strich und abgesehen vom unterschiedlichen Zeilenhonorar immer dasselbe rauskommt: Grad die Ostdeutschen sollten am besten die Schnauze halten, ihnen geht es doch noch gold, mit all den Milliarden aus Bonn, im Vergleich zu Polen oder Rumänien etwa.
Grober Unfug! Wer jetzt nicht wenigstens vulgärmarxistisch argumentiert, hat nix kapiert. Man braucht im Osten nur an der erstbesten Stelle, und selbst im abgelegensten Kaff, ein wenig zu kratzen, und schon quillt einem die ganze Scheiß-Situation entgegen: Die Jagd ist an einen Kölner verpachtet, das ehemalige FDGB- Heim ist (wieder) im Besitz des früheren Schloßbesitzers, die LPG-Ländereien wurden an einen Landwirt aus Hameln verpachtet, die besten Häuser gehören einem übelst beleumdeten Berliner Immobilienhai, die örtlichen Fabriken werden gerade von einem Duisburger Konzern mit ABM-Geldern in bestes altlasten-entsorgtes Bauland verwandelt.
Im Rathaus, in den Ämtern und in den Parteien haben aus dem Westen abgeschobene Subalterne bzw. Abenteuerlustige das Sagen, die Unternehmensberater kommen aus München, Versicherungen, Sparkassen, Postämter, Bahnhöfe, Müllabfuhr, Supermärkte sowie Strom- und Gasversorgung sind im Besitz von West-Konzernen bzw. Behörden, und die letzten alten Handwerksbetriebe weichen gerade unmerklich irgendwelchem neumodischen Dienstleistungs- Schnickschnack, also letztlich Einweg-Produkten aus Taiwan und Hongkong.
Inmitten dieser Furie des Verschwindens, die ganze Gewerkschafts-Sparten erfaßt hat, kam es neulich zu einer kurzen Diskussion zwischen Warschauer und Berliner Betriebsräten, im ehemaligen Kulturhaus des Werks für Fernsehelektronik in Oberschöneweide, das nunmehr ein kurdisches Veranstaltungs-„Saray“ ist. Dabei kam heraus, daß die Belegschaftsvertreter zwischen Politik und Unternehmensführung in Polen vielerorts wirklich eine „dritte Kraft“ sind, an denen die wenigsten Entscheidungen vorbeigefällt werden, selbst die Ferien-Schlösser sind (noch) in Betriebsräte-Verwaltung.
Die letzte Durchhalteparole
In Deutschland finden ihre Positionen, als Klagen, dagegen höchstens Eingang in die Medien. Dazu meinte jedoch ein Treuhand-Manager: „Die Ost-Betriebsräte messen der Öffentlichkeit zu viel Bedeutung bei, die meinen, wenn sie in der Zeitung stehen, dann ändert sich schon was, das ist ein großer Irrtum.“ Zumal vermutlich die Zeitungsfritzen am allerwenigsten wollen, daß sich irgendwas ändert. Im Gegenteil: In der Woche verstieg sich Peter „Panzergeneral“ Morner gerade zu einer neuen Ost- Offensive: „Der Marsch zu neuem Wohlstand wird weit, der Weg steinig sein. Aber bangemachen gilt nicht. Auf also nach Sibirien – ohne Zaudern, ohne Angst.“
Zur Erinnerung: Die letzte Durchhalteparole, damals, 1945, hieß: „Sibirien oder Sieg!“ Helmut Höge
Wird fortgesetzt
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