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Wachstum allein reicht nicht

■ Mit einem neuen Weißbuch wollen europäische Minister die Arbeitslosigkeit bekämpfen

Brüssel (taz) – Spanien habe das Weißbuch vielleicht noch eine Spur enthusiastischer gelobt als die anderen, berichtete der deutsche Regierungssprecher Dieter Vogel, konnte aber auch nicht genau sagen, warum. Insgesamt sei das Dokument der Europäischen Kommission, das Leitlinien für eine beschäftigungsorientierte Politik entwirft, von den zwölf Regierungschefs positiv aufgenommen worden.

Am ersten Tag des europäischen Gipfels in Brüssel stand das von Kommissionspräsident Jacques Delors vorgelegte Weißbuch zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit im Mittelpunkt der Diskussion. Die Regierungen der zwölf Mitgliedsländer akzeptierten damit weitgehend die Einschätzung der Kommission, daß Wachstum allein nicht ausreicht, um die Arbeitslosigkeit in Europa in den Griff zu bekommen. Im Durchschnitt sind europaweit zur Zeit fast elf Prozent arbeitslos, das sind 18 Millionen Menschen. Nach Berechnungen der Kommission werde diese Zahl noch deutlich ansteigen, wenn die Mitgliedsstaaten so weitermachen wie bisher. Um die Arbeitslosenquote bis zum Jahr 2000 zu halbieren, müßten 15 Millionen neue Stellen geschaffen werden.

Die Vorschläge konzentrieren sich vor allem auf die Flexibilisierung der Arbeitszeit, die Senkung der Lohnnebenkosten – und bei weniger qualifizierter Arbeit auch der Löhne –, die Steigerung der Ausgaben für Forschung und Entwicklung und auf ein europäisches Investitionsprogramm in transeuropäische Infrastrukturnetze. Das Investitionsprogramm ist wegen seiner finanziellen Auswirkungen der umstrittenste Teil des Weißbuches.

Die Richtlinien für die Politik der Mitgliedsstaaten sind ein unverbindlicher Katalog von sehr verschiedenen Maßnahmen. Die Gemeinsamkeit besteht darin, daß nicht mehr Wachstum, sondern vor allem die Beschäftigung in den Mittelpunkt der Wirtschaftspolitik rückt. Da Beschäftigungspolitik weitestgehend in die Kompetenz der nationalen Regierungen fällt und nicht in den Bereich der Europäischen Union, kann das Weißbuch nicht vorschreiben, sondern nur empfehlen. Dabei wird auch erneut der Gedanke aufgegriffen, daß überall in Europa die Arbeit zu hoch und der Verbrauch von Ressourcen zu niedrig besteuert wird: „Das Modell ist gekennzeichnet durch eine ungenügende Nutzung der Arbeitsressourcen und eine übermäßige Nutzung natürlicher Ressourcen und führt zu einer Verschlechterung der Lebensqualität.“

Die Kritik der Regierungschefs konzentrierte sich vor allem auf das dritte Kapitel, das den Ausbau der transeuropäischen Verkehrs-, Energie- und Informationsnetze vorsieht. Die Kommission will für diese grenzüberschreitenden Projekte 16 Milliarden Mark an Krediten aufnehmen, die zusätzlich zu den Mitteln der nationalen Regierungen und zu den Krediten der Europäischen Investitionsbank eingesetzt werden sollen. Hauptargument dafür ist die zusätzliche Beschäftigung, die damit geschaffen werden soll.

Dagegen haben sich bisher vor allem der deutsche und der britische Finanzminister ausgesprochen. Sie wollen verhindern, daß Brüssel in die Kreditfinanzierung seines Haushaltes einsteigt. Bisher hat die EU kein eigenes Schuldenkonto. Bundeskanzler Kohl und Premierminister Major haben das Ansinnen Delors mit ähnlichen Argumenten abgelehnt. Major wetterte noch einmal gegen die Versuche der Kommission, einen Schattenhaushalt aufzustellen. Denn mit Krediten könnte die Kommission künftig ihr Ausgabenvolumen mitbestimmen, fürchtet Major. Die beschäftigungspolitischen Argumente für das Kreditpaket, das von einigen Mittelmeerländern gern gesehen würde, wischte Major mit einem Hinweis auf die Gatt-Diskussion vom Tisch. Wer mehr Beschäftigung wolle, der müsse einfach nur das Welthandelsabkommen unterschreiben. Alois Berger

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