: „Perser“-Lektion aus München
Im antiken Griechenland gab es noch keine strikte Trennung von Schauspielern und Publikum. Vor allem die Chöre wurden mit normalen Bürgern besetzt. Und die Zuschauer erwarteten, daß ihre Sache im Theater verhandelt wurde. Nun ist die selbstverständliche Einbindung des Spiels in den gesellschaftlichen Alltag längst zerbrochen. Aber Dieter Dorn hat bei der Inszenierung der Perser, mit der seine Münchner Kammerspiele jetzt für leider nur zwei Tage am Thalia gastierten, viel Mühe darauf verwandt, die Verbindung von Spiel und Publikum wieder herzustellen.
Die Beleuchtung bleibt an, die Schauspieler sitzen mitten unter den Zuschauern. Wenn sie an der Reihe sind, stehen sie auf und spielen: mit spärlicher, aber eindringlicher Mimik und Gestik, untheatralisch. Dann setzen sie sich wieder. Und Dorn holt das Geschehen ganz nah an das Publikum heran. Oft läßt er die Spieler in einem schmalen, von den Sitzen befreiten Gang mitten im Publikum agieren.
Es ist nicht das geringste Verdienst dieser Inszenierung, zusammen mit dem Stück eine bestimmte Form des Theaterspielens wieder erfahrbar zu machen. Eine ernsthafte, aber nie pathetische Form, die von den Themen lebt und nicht von Effekten, die vor allem die Möglichkeiten der elektronischen Medien nicht mit allerlei Tricks überholen will, sondern ganz bewußt allein auf die spezifisch theatralischen Möglichkeiten setzt: die Präsenz der Schauspieler und ihrer Stimmen. Das Ergebnis ist beeindruckend: So einfach, ehrlich und erregend kann Theater sein.
Mattias Brauns hat bei seiner Adaption von Aischylos antikem Drama aus dem Jahre 1960 die Vorlage gleichsam ausgehöhlt und mit Themen aus dem Geist des Existenzialismus wieder gefüllt. Er erzählt von dem Widerstreit zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik, von den Schrecken des Krieges, von der Macht der Herrschenden, die sich auf die Willenlosigkeit der Mitläufer gründet. Das sind Themen, die - siehe Ex-Jugoslawien, siehe Blauhelm-Einsätze - wieder aktuell geworden sind. Doch Dorn brauchte keine vordergründigen Aktualisierungen, um diese Bezüge klarzumachen. Er verließ sich auf den Text und konnte in Thomas Holtzmann, Gisela Stein, Rolf Boysen und den anderen auf ein Ensemble vertrauen, das antikisierende Verse heutig sprechen kann und in der Lage ist, das Publikum auch mit einfachen Mitteln in den Bann zu ziehen.
Am Thalia, das in letzter Zeit Stücke eher auf ihren Unterhaltungswert abklopfte, als zu zeigen, was an ihnen unsere Sache ist, darf das durchaus als Lektion verstanden werden. Dirk Knipphals
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