: Richie lächelt in die Amtsstube
■ Thomas Langhoffs Biberpelz-Inszenierung aus Berlin gastierte zum Jubiläum im Thalia
Der Herr Amtsvorsteher beliebt zu trippeln. Akkurat hebt und senkt er seine Füße. Fast so, als tanze er. So, als habe er Angst, die deutsche Erde mit den Füßen zu beschmutzen. Und zugleich, als bewege er sich in Feindesland. Denn der Herr Amtsvorsteher wittert in seinem Amte Subversion - und muß seine Schritte umsichtig bedenken.
In Karikaturen aus dem deutschen Obrigkeits- und Untertanenleben setzt Thomas Langhoff die Glanzpunkte seiner Inszenierung von Gerhard Hauptmanns Biberpelz, die im Mai im Deutschen Theater in Berlin Premiere feierte und nun zum Jubiläum im Thalia gastierte. Den Amtsvorsteher legt Dieter Mann, in der letzten Spielzeit bereits im Hamburger Schauspielhaus zu Gast, als Studie eines deutschen Beamten an, dem die Pflicht zur Lust geworden ist. Den Blick verbrettert mit der Aufgabe, die Ordnung zu wahren, übersieht er das Naheliegende.
Auch sonst ist die Amtsstube keine Schule des aufrechten Ganges. Bevölkert ist sie von Menschen, die den Kopf in die herrschende Windrichtung gestreckt haben, bis ihnen der Wendehals ganz windschief aus dem Körper ragt, die gebuckelt haben, bis ihr Rücken ganz verkrümmt erscheint.
Allein die patent-pragmatische Kleinbürgersfrau Mutter Wolffen, die sich ohne schlechtes Gewissen durchs Leben gaunert und ihren drögen Mann mit Schnaps beruhigt, weiß, eine gewisse Würde zu bewahren. Aber Jutta Wachowiak macht mit ihrem Spiel klar, daß auch diese Figur sich bloß in den Verhältnissen einrichtet, was sich in schizophrenen Zügen äußert. Ihre Diebereien vermag sie ohne weiteres mit flammenden Plädoyers für Sicherheit und Ordnung zu verbinden. Deutschland - Land der beschädigten Menschen. Als Hauptmann das Stück 1893 schrieb, hatte er das lebensecht vor Augen. Langhoff behauptet hier Kontinuität: Nach Wilhelm II., Hindenburg, Hitler, Heuss und Honecker lächelt am Ende das Porträt Richard von Weizäckers in die Amtsstube. Dirk Knipphals
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen