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Ein Drittel weniger Drogentote 1993

■ Jugendsenator Thomas Krüger (SPD) zieht positive Bilanz / In Berlin gibt es dennoch etwa 8.000 Heroinabhängige

Jugendsenator Thomas Krüger (SPD) verzeichnet für 1993 einen drastischen Rückgang der Drogentoten. Seinen Angaben zufolge starben in diesem Jahr 111 Menschen an Rauschgift, im Vorjahr waren es noch 200. Eindeutige Erklärungen für diesen Rückgang gebe es allerdings nicht, es könnte aber mit der Verringerung des Reinheitsgehalts des Heroins zusammenhängen, sagte der Senator gestern bei einer Bilanz seiner Drogenpolitik.

Mit der rückläufigen Zahl der Suchttoten liegt Berlin auch im bundesdeutschen Trend. Laut Bundeskriminalamt starben dieses Jahr bundesweit 1.458 Menschen Menschen an harten Drogen, was im Vergleich zum Vorjahr einen Rückgang von 22 Prozent bedeutet.

Eine Entwarnung für den Drogenbereich gab Krüger allerdings nicht, denn nach wie vor seien etwa 7.000 bis 8.000 Berliner und Berlinerinnen heroinabhängig. Davon lebten etwa 500 bis 800 Süchtige in der freien Drogenszene, der Rest führe entweder ein unauffälliges Leben oder stütze sich auf familiäre Hilfe. Für 1994 kündigte Krüger eine verstärkte Zusammenarbeit mit Innensenator Dieter Heckelmann (CDU) an. Der Jugendsenator kritisierte aber gleichzeitig die Politik des Innensenators, der in den letzten Monaten mit polizeilicher Gewalt gegen die Drogenabhängigen vorgegangen sei. „Mit solchen Maßnahmen zerschlägt man nur die Szene und verhindert, daß die Süchtigen die gesundheitlichen und sozialen Hilfsleistungen annehmen“, meinte der Jugendsenator.

Gleichzeitig distanzierte er sich von dem Vorschlag aus der Gesundheitsverwaltung, sogenannte „Druckräume“ einzuführen. Erfahrungen aus anderen Städten hätten gezeigt, daß Druckräume eine Sogwirkung auf Süchtige ausüben und dort der Rauschgiftkonsum steige, erklärte Krüger. Die Gesundheitsverwaltung hatte vor kurzem vorgeschlagen, sogenannte „Hygieneräume“ einzuführen. Dorthin könnten die Abhängigen ausweichen und in hygienisch einwandfreier Atmosphäre ihre Drogen, ohne daß Ärzte oder Sozialarbeiter aufpassen, konsumieren. Das schone die ohnehin angeschlagene Gesundheit der Junkies, lautet das Argument der Gesundheitsverwaltung.

Drogenbeauftragte Elfriede Koller will 1994 besonders das niedrigschwellige Angebot ausbauen. „Es gibt Jugendliche, die Drogen ausprobieren, aber nicht manifest abhängig sind, die wollen wir aufsuchen.“ Weiterhin stehe auch noch der Aufbau einer Methadon-Ambulanz sowie die Einrichtung von zwei Stellen beim Drogennotdienst auf dem Programm. Derzeit erhielten 747 Drogenabhängige die Ersatzdroge L-Polamidon, man strebe aber einen Ausbau der Substitution an, sagte Koller.

Der Vorwurf der „Konzeptlosigkeit“, der hinsichtlich der Berliner Drogenpolitik aufgekommen war, wies Senator Krüger weit von sich. Seit 1990 sei der Etat für den Kampf gegen Drogenmißbrauch um 36 Prozent auf 24 Millionen Mark im Jahr gestiegen. Kritisiert wird Krüger unter anderem vom gesundheitspolitischen Sprecher von Bündnis 90/Grüne, Bernd Köppl. Der Grünen-Politiker bezeichnete es als „gesundheitspolitischen Skandal“, daß es der Jugendsenator noch nicht einmal geschafft habe, die Verteilung steriler Spritzen in Berliner Gefängnissen einzuführen. Thomas Nagel

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