: Ökonomie des Schwarzen Lochs
Das „verborgene Gesicht der Weltwirtschaft“ – dreckig: Gelder aus dem Verkauf von Drogen und Waffen, aus Bestechung und Erpressung, die den Weg in die Banken finden ■ Von Werner Rügemer
Über den Zeitraum der letzten vierzig Jahre haben die französischen Wirtschaftsexperten Jean François Couvrat und Nicolas Pless die internationalen Zahlungsstatistiken verglichen. Die Ware, die mit einem bestimmten Wert aus einer Volkswirtschaft an eine andere geliefert wird, müßte dort als Verbindlichkeit registriert werden und umgekehrt. Doch da tut sich in zunehmendem Umfang das auf, was die Ökonomen der UNO und der OECD das „Schwarze Loch“ nennen.
1939 richteten die europäischen Demokratien ihren dringenden Bedarf nach Waffen an den US- Präsidenten Roosevelt. Für den Transport baute die amerikanische Industrie in einigen Monaten am Fließband „Liberty Ships“, eine riesige, zusammengepfuschte Flotte. Um die geltenden Sicherheits- und Arbeitsrechtstandards zu umgehen, richteten die US- Reeder mit staatlicher Förderung sogenannte „offene Register“ ein. Obwohl die US-Reeder gespenstische Gewinne machten, sank die US-Handelsbilanz, da die Lieferungen in Panama und Honduras registriert wurden, wenn überhaupt. Die Reeder brauchten wegen ihrer nationalen Verdienste keine Steuern zu zahlen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dieses Know-how auf weitere Länder ausgedehnt. Nach der Schließung des Suezkanals durch den ägyptischen Staatschef Nasser gewährte Liberia gegen ein geringes Entgelt seine Flagge allen Schiffen, die unter seinem Namen zugelassen werden: Keine Steuern, keine Sozialabgaben, keine Sicherheitsauflagen. Es wurden soviele Schiffe in diesem Wunderregister zugelassen, daß Liberia 1966 offiziell die größte Seemacht der Welt vor Großbritannien wurde.
Ende der siebziger Jahre hat sich die Liste der Billigflaggen anbietenden Länder verlängert: die Philippinen, die Seychellen, Barbados, die Cayman-Inseln und Vanuatu im Südpazifik. Die neueste Kreation sind die sogenannten „Zweitregister“: englische Schiffe sind im Steuerparadies der Kanalinseln Isle of Man registriert, französische auf den vereisten Kerguelen-Inseln in der Antarktis, spanische auf den Kanarischen Inseln, holländische auf den Antillen. Mit ihren exotischen Standorten gehören diese etablierten Piraten des „Schwarzen Lochs“ zum normalen internationalen Handelsverkehr. 1980 transportierten die Schiffe unter Billigflagge ein Drittel der Importe der entwickelten westlichen Länder sowie ein Viertel ihrer Exporte.
Interessant die Angaben über den Gesamtumfang der Märkte etwa bei Waffen. Wenn die UNO ein Waffenembargo beschließt, wird es umgangen, und zwar auch von denen, die es beschlossen. Der Iran-Irak-Konflikt gab dem illegalen Waffenhandel einen riesigen Auftrieb und führte dazu, daß zahlreiche Regierungen zu Mittätern wurden. Die Grenze zwischen legalem und illegalem Handel hat sich verwischt. Die Rubrik 951 der UNO-Nomenklatur soll „Kriegsfeuerwaffen und ihre Munition“ erfassen, Im- und Exporte geordnet nach Ländern. Frankreich gibt insgesamt nur Feuerwaffen in Höhe einiger Dutzend Millionen Dollar an, die für zivile Zwecke bestimmt sind. Andere Länder, darunter die USA und Großbritannien, sind ein wenig großzügiger, aber sehr zurückhaltend über die Empfängerländer. Global kommt die UNO-Statistik deshalb für 1986 auf 4,4 Milliarden Dollar Exporte und 2,7 Milliarden Dollar Importe. Diese Zahlen stellen höchstens ein Achtel der wirklichen Rüstungsexporte und höchstens ein Dreizehntel der Importe dar. – Die Wege ins „Schwarze Loch“ und aus ihm heraus werden durch ein eigenes Finanzinstrumentarium geöffnet. Es wurde im Laufe der letzten beiden Jahrzehnte in den sogenannten „off- shore“-Zentren aufgebaut. Viele sind auch Residenzen der Billigflaggen. Das mehr oder weniger geheime Geld fließt hier durch die Konten von über 30 Filialen internationaler Banken, von über 300 Bankenadressen und ungefähr 13.600 Scheinfirmen. Hier werden keine Steuern erhoben. Auflagen über Mindestreserven gibt es nicht. Das Bankgeheimnis ist eines der dichtesten der Welt.
Solche „off-shore“-Paradiese auf sonnigen Inseln gruppieren sich rund um die Erde: Cayman-Inseln, Bermudas, Bahamas, Turks- und Caicoinseln, Anguilla, Antigua, Barbuda, Saint Martin, Saint- Vincent, Nauru, Vanuatu, Cookinseln, Isle of Man. Aus Werbeanzeigen können Zahnärzte, Bundestagsabgeordnete und Oberstudienräte die Adresse abschreiben, wo sie ihre Anlagen steuerfrei unterbringen können. Ihre deutsche Hausbank übernimmt die Transaktion. Etwa ein Fünftel der Weltfinanzströme läuft inzwischen über die „off-shore“-Zentren.
Die verborgene Ökonomie des „Schwarzen Lochs“ ist damit größer als die US-Volkswirtschaft. Freilich gibt es besondere Beziehungen zwischen diesen beiden Ökonomien. Das stellte sich unter anderem heraus, als die Zentralbank der USA untersuchte, was mit den von ihr neu gedruckten und ständig wieder verschwindenden Dollars passiert. Die erwachsenen Amerikaner besitzen nicht mehr als zwanzig Milliarden Dollar. Da jeder Schein 4,7 mal im Monat den Besitzer wechselt, reichen sie aus, um ein Drittel der Zahlungen der amerikanischen Haushalte zu vollziehen. Für den Rest benutzen sie Schecks, Kreditkarten, Sparbuch, Kapitalanlagen und Banküberweisungen. Neun von zehn grünen Dollarscheinen sind nicht dort, wo man sie zu finden glaubt – in den Geldbeuteln der amerikanischen Haushalte. Die offiziell als fehlend registrierten Dollarscheine sind die universale Währung des „Schwarzen Lochs“. Mit ihrer Hilfe findet der größte Teil der Gelder aus dem Verkauf von Drogen und Waffen, aus Bestechung und Erpressung den Weg in die Banken. „Die Untergrundökonomie funktioniert in Symbiose mit der sichtbaren Ökonomie. Die Bankiers sind das Bindeglied.“
Jean-François Couvrat, Nicolas Pless: „Das verborgene Gesicht der Weltwirtschaft“. Verlag Westfälisches Dampfboot, 295 Seiten, 48 DM
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