: Frau Obelix liebt Dackelpisse
Christoph Schlingensiefs „Kühnen '94“ in der Volksbühne – ein wütendes Pantoffelspektakel ■ Von Thorsten Schmitz
Nur der Papst spielt diesmal keine Rolle. Ansonsten ist die Belegschaft komplett. Die Besetzungsliste von Christoph Schlingensiefs „Kühnen '94. Bring mir den Kopf von Adolf Hitler“, das am Silvesterabend in der Volksbühne das Licht der Welt erblickte, liest sich wie ein „Who is who“ aller gesellschaftlichen Sphären. Gerhard Frey und Wladimir Schirinowski, David Irving und Mutter Theresa, Petra Kelly und Gert Bastian, Zarah Leander und Jerry Lewis, Ewald Athans und Alice Schwarzer, Familie Scholl und Familie Kühnen, Rollstuhlfahrer, Juden, Sadomasochisten, TV-Moderatoren. Und und und.
Wie nur, um Himmels willen, lassen sich zwei häßliche Stunden nacherzählen, zwei Stunden, in denen Schlingensief alle Scheußlichkeiten dieser Welt komprimiert? Und alles scheußlich skizziert, was scheußlich gar nicht ist. Zwei Stunden banalstes Bombardement: die Christoph Horror Picture Show. Und das war's dann auch schon.
Niemand verlangt vom Theater das große Aha-Erlebnis, nach dem Motto: So also ist die Welt gestrickt! Theater ist ja auch deshalb Theater, weil es Gefühle aktiviert, Stimmungen vertieft, Gedanken anschiebt. Für Christoph Schlingensief, den Berufs-Proleten und Benjamin unter Deutschlands Theaterregisseuren, ist die Bühne Neuland. Allein: Er betritt es nicht zaghaft, hält nichts vom Ausprobieren, vom Experiment. Schlingensief erfüllt die in ihn gesetzte Hoffnung, er möge ja heftige Reaktionen hervorkitzeln. Schlingensief, der Biedermann und Anbiederer.
„Kühnen '94. Bring mir den Kopf von Adolf Hitler.“ Schon der Titel trompetet unsittlich provokant, da möchte man mehr von hören. Man möchte von der Provokation naschen, die Schlingensief zu servieren verspricht. Und deshalb strömt das angestammte Volksbühnen-Publikum in Massen. Sie alle erwarten appetitlich offerierte Skandälchen und keine Überraschung, sie erwarten – und kriegen zu sehen – politisch korrektes Gesinnungstheater. Christoph Schlingensief enttäuscht sie nicht. Doch der 32 Jahre alte Mühlheimer macht Mogelpackungen: viel Drumherum – also viel Müll – und ansonsten Luft.
Zumindest demonstriert Schlingensief anhand der Figur von Michael Kühnen, dem vor zwei Jahren gestorbenen schwulen Neonazi, vortrefflich, wie ein deutscher Regisseur sich an einer deutschen Theaterfabrik an dem Thema der Deutschen abarbeitet – und dann doch scheitert. Schlingensief sieht in seinem Politpotpourri den Versuch, „sich nicht kühl und vernünftig von Gebieten zu distanzieren, von wo die Gefahr droht, sondern gerade Verbindung mit den Regionen unter dem Gürtel, mit der Nacht, mit den Mythen aufzunehmen“. Doch er zeigt nur Funkstille. Die Bühne ist voll, alle reden, aber man sieht und hört nichts.
„Kühnen '94“ changiert zwischen sozialarbeiterischem Impetus und bloßer Bilderwut. Alles und jeder kommt darin vor, über das und den man sich den Kopf zerbricht. Aber alles und jeder nur in Zitatform, Dialoge wie Steinbrüche, keine Spur von assoziativer Phantasie. Statt dessen erfahren wir, daß Kühnens Mutter eine „starke Persönlichkeit“ gewesen ist, und wir sehen per Video, wie ein Mann kotzt, seine Kotze in sich reinschaufelt, auf ihr liegt, seinen Schwanz mit ihr bestreicht, auf sie pißt und dann wieder ißt.
Wir erfahren, daß Hitlers Geliebte in Wahrheit nicht Eva Braun, sondern Hanna Berthold war. Frau Berthold ist das weibliche Pendant von Obelix – ein Fleischklops, tierisch fett, mit blonden Gretchenzöpfen und Brüsten, die jeder begrapschen soll. Sie liebt es, wenn man sie mit der Scheiße Adolf Hitlers einreibt. Auch Dackelpisse ist sie nicht abgeneigt, und wir sehen, wieder via Video, wie eine Katze erst liebkost und dann tranchiert und gehäutet wird. (Frank Castorf, dem Volksbühnen-Boß, war diese Filmszene zu bestialisch, weshalb er das Video ein bißchen hat verfremden lassen, damit es nicht zu grausam daherkommt...)
Wir erfahren, wie Gert Bastian und Petra Kelly ihre letzten Minuten verbracht haben (Gert zu Petra: „Du alte Schlampe!“), und die Leinwand flimmert einen kindertätschelnden Hitler ins Publikum. – Wir sehen ein Pärchen, das live und ausdauernd in allen Stellungen rammelt, und auf der Leinwand bluttriefende Hände, die in einem Menschenkörper wühlen. Rußlands oberster Rechter und Antisemit, Wladimir Schirinowski, vergewaltigt eine Frau, und Michael Kühnen sagt fistelstimmig: „Ich bin ein Judenjunge und komme aus dem KZ.“ Wenig später bittet er seine Freundin Sophie Scholl um Dackelblut, weil er sonst wegen seiner Schußverletzung sterben müßte. – Beate Uhse tritt auch auf, denn „Nazisein heißt Jasagen zum Eisprung“.
Am Ende tönt eine Stimme aus dem Off: „Diese Aufführung möchte etwas Bestimmtes erreichen.“ Kann ja sein, aber leider kommt dieses Pantoffeltheater 20 Jahre zu spät.
„Kühnen '94. Bring mir den Kopf von Adolf Hitler“. Regie: Christoph Schlingensief, Bühne: Petra Korink, Musik: Peter Eichstädt. Nächste Aufführungen am 5., 13. und 19. Januar, 19.30 Uhr, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Mitte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen