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Schlammschlacht grauer Männer

Am Sonntag in einer Woche dürfen die FinnInnen ihr Staatsoberhaupt erstmals direkt wählen. Trotz zweier populärer Kandidatinnen hat eine Frau an der Spitze keine Chance. Die Linke setzt auf einen dichtenden Jazzpianisten und bringt damit Farbe in den Wahlkampf  ■ Aus Helsinki Reinhard Wolff

Am 16. Januar dürfen sie nach 75 Jahren der Selbständigkeit erstmals ihren Staatspräsidenten direkt wählen, die FinnInnen. Doch Wahlfieber will nicht aufkommen – und das nicht nur wegen der winterlichen Temperaturen. Die Mehrheit scheint die eigene Haushaltslage und die des ganzen Landes mehr zu beschäftigen als die Frage nach dem Nachfolger von Präsident Mauno Koivisto. Und das, obwohl Finnlands Präsident durchaus nicht nur repräsentative Funktion hat: Er darf mit der Auflösung des Parlaments auch direkt in verfahrene Mehrheitsverhältnisse eingreifen und hat auch außenpolitisch ein gewichtiges Wort mitzureden. Zwar nicht mehr wie zu Zeiten des Über-Präsidenten Urho Kekkonen, der nahezu im Alleingang ein „besonderes“ Verhältnis mit dem damaligen großen Nachbarn Sowjetunion aufbaute. Aber das finnische Staatsoberhaupt hat allemal mehr zu sagen als beispielsweise Deutschlands Bundespräsident.

Nicht verwundern kann also, daß sich unter den fünf Millionen FinnInnen gleich elf KandidatInnen fanden, die um das höchste Amt kämpfen. Immerhin zwei Frauen neben den neun Männern. Die beiden Frauen waren im letzten Jahr gut ins Rennen gegangen, galten sie doch jede einmal eine Zeitlang als die populärsten der gesamten männlich- weiblichen finnischen PolitikerInnenschar. Doch sowohl Elisabeth Rehn, als Verteidigungsministerin sicherlich eine weltweite Besonderheit, als auch Eeva Kuuskoski, die ihr Amt als Sozialministerin im Sommer hingeschmissen hatte, als die Regierung ihr das soziale Netz auseinanderschnitt, werden es schwer haben, beim Endspurt überhaupt mitzumischen. „Für die Finnen ist ein Landesvater offenbar etwas ganz anderes als eine Landesmutter“, weiß auch Ministerin Rehn. Während die norwegischen NachbarInnen mit ihrer Präsidentin Gro Harlem Brundtland ein ebenso dauerhaftes wie herzliches Verhältnis verbindet, scheint in Finnland die Zeit für eine Frau im Präsidentenamt tatsächlich noch nicht gekommen zu sein.

Das ist durchaus erstaunlich, vergleicht man insbesondere die Kandidatin Eeva Kuuskoski mit ihren männlichen Konkurrenten. Umfragen zeigen, daß die FinnInnen genug haben von der alten PolitikerInnenkaste, die sie blind, inkompetent und begleitet von immer neuen Korruptionsskandalen in die jetzige wirtschaftliche und gesellschaftliche Krise geführt hat. Doch Frau Kuuskoski, die sich überzeugend aus diesem Kreis abgesetzt hatte, war es nicht einmal gelungen, bei der Aufstellung der parteioffiziellen KandidatInnen zu gewinnen. Ihre Zentrumspartei setzte mehrheitlich auf einen Repräsentanten der verbrauchten Politikergeneration, den Ex-Außenminister Paavo Väyrynen. Für Eeva Kuuskoski blieb nur der Weg, als parteiunabhängige „Ausbrecherin“ in die Wahl zu ziehen. Auch ihrer Volksbewegung „Veränderung 94“ ging bald der Atem aus, und das nicht nur aus finanziellen Gründen.

Der offizielle Zentrums-Kandidat, Paavo Väyrynen, war zunächst völlig chancenlos ins Rennen gegangen. Die Kandidaten der beiden großen Parteien, der Sozialdemokraten und der Konservativen, schienen die Sache unangefochten unter sich auszumachen. Doch in dem Maße, in dem die FinnInnen daran erinnert wurden, daß an ihrer Ostgrenze politische Unruhe und Chaos heraufzuziehen drohen, war plötzlich wieder ein erfahrener Außenpolitiker gefragt, der als Minister schon zu sowjetischen Zeiten bewiesen hatte, „mit den Russen zu können“. Von einem Drei-Prozent-Ausgangsplatz schoß Väyrynen mit guten Aussichten auf einen zweiten Platz und möglicherweise den Sieg in einer Stichwahl nach oben. Den jüngsten Umfragen zufolge liegt er genau wie sein Konkurrent Raimo Islaskivi bei fünfzehn bis sechzehn Prozent.

Abgesehen von Finnland dürfte es wohl kaum ein Land geben – außer vielleicht Bayern –, in dem eine solche Politikergestalt längerfristig erfolgreich oben mitmischen könnte. Kein Skandal war zu tief, keine Niederlage zu hoch, als daß er nicht immer wieder aufgestanden wäre. Drei Bücher hat er im letzten Jahr herausgegeben, um – wie er sagt – den Wahlkampf zu finanzieren. Aber auch, weil etwas, was in einem Buch steht, in Finnland als wesentlich glaubwürdiger und ehrenwerter eingeschätzt wird, als wenn es auf Zeitungspapier gedruckt daherkommt. Man tritt Väyrynen nicht zu nahe, wenn man seine literarischen Ergüsse als Keulen bezeichnet, um die Schlammschlacht gegen die Konkurrenz so wirksam wie möglich zu führen. Seine Hauptzielscheibe in diesem Gewürge ist der Kandidat der sozialdemokratischen Partei, Martti Ahtisaari. Der in der Vergangenheit bei verschiedenen UN- Missionen mal mehr, mal weniger erfolgreiche Ahtisaari ist nicht ohne Angriffsflächen. Väyrynen stellte mehr vage als beweisbare, jedenfalls aber wirkungsvolle Andeutungen zusammen, daß der Ex- Diplomat mal hier bei der Abrechnung geschludert, mal da zu luxuriös gegessen habe, insgesamt aber eine Null auf seinem Posten gewesen sei. Was noch pikanter wird, wenn man berücksichtigt, daß Väyrynen als Außenminister eine Zeitlang Ahtisaaris direkter Chef war.

Das Dreckschleudern zeigte Wirkung. Ging der sozialdemokratische Kandidat mit einem Stimmenpolster von über 50 Prozent ins Rennen, baute er seither stetig ab. Mit zuletzt 26 bis 28 Prozent winkt zwar immer noch der erste Platz. Doch reicht der nur, um zusammen mit dem Zweitplazierten in die Stichwahl zu kommen. Denn um Präsident zu werden, braucht man eine absolute Mehrheit. Doch war es nicht die Schlammschlacht allein. Ahtisaari ging ebenso unbedarft wie inkompetent ins Kandidatenrennen. In den ersten Fernsehdiskussionen konnte er das noch dadurch vertuschen, daß er sich einfach einer von der Konkurrenz geäußerten Meinung anschloß, ohne viel eigenes zu sagen. Aber die JournalistInnen stellten sich schnell auf diese Taktik ein – er wurde gezielt und konkret direkt gefragt, blamierte sich bodenlos und verlor nach jedem derartigen Auftritt ein paar Prozentpunkte mehr. Die FinnInnen erwarten gar nicht, daß sich der Präsident in jeder Einzelheit des politischen Alltags auskennt, aber ein wenig Einsicht in wirtschaftliche Zusammenhänge sollte er doch zeigen.

Um den Platz hinter Ahtisaari – sollte sein Vertrauensvorschuß wirklich bis zum Wahltag noch nicht aufgezehrt sein – kämpft neben Paavo Väyrynen der Kandidat der Konservativen Sammlungspartei, Raimo Ilaskivi. Der jetzt pensionierte Ex-Bürgermeister von Helsinki ist ein Mann der deutlichen, volksnahen Worte. Kommt im Fernsehen und vom Rednerpult herunger gut an und läßt regelmäßig einfließen, daß „Herr Ahtisaari“ nur die Volksschule besucht habe, während er darauf achtet, als „Doktor Ilaskivi“ vorgestellt zu werden. Auch was ihn angeht, wurde der finnische Buchmarkt mit einigen Neuerscheinungen gefüttert, die vor allem seine Frauengeschichten zum Inhalt haben. Doch waren seine verschiedenen „Romanzen“ sowieso ein öffentliches Geheimnis, und ihre offizielle Enthüllung scheint ihm eher genutzt als geschadet zu haben.

Dabei bietet er genügend andere Angriffsflächen. Nicht nur beschreiben ihn ehemalige MitarbeiterInnen als machtgieriges, beschränktes und unfähiges Ekel, das vor allem seine Untergebenen und seine Umgebung tyrannisiert. Auch sein politischer Standort fließt von konservativen regelmäßig in ultrarechte Positionen hinüber. So meint er, für Finnlands Misere seien die Gewerkschaften verantwortlich, die man am besten abschaffen sollte. Ilaskivis Ideal ist eine nach militärischen Prinzipien organisierte Gesellschaft. Das alte Rom ging seiner Meinung nach unter, weil dem Volk zuviel Brot und Spiele geboten wurden. Das will er in bezug auf Finnland gründlich ändern, was bei der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage des Landes kein langer Weg mehr wäre. Doch der Demagoge kommt an und liegt derzeit knapp vor seinem Widersacher Väyrynen.

Glücklicherweise gibt es auch einen richtig angenehmen Kandidaten vorzustellen. Zwar völlig chancenlos, aber allein wegen seiner öffentlichen Auftritte eine Erholung in diesem Wahlkampf. Der Arzt und Psychiater Claes Andersson ist so etwas wie Finnlands Antwort auf Václav Havel. Nur, daß er nicht Präsident werden wird. Politiker ist er nebenberuflich, er ist auch noch Verfasser und Jazzpianist. Einer von Finnlands besten. Zusammen mit seinem Trio finanziert er durch die Jazzkassette „Präsidentenblues“ seinen Wahlkampf. Ist er gut aufgelegt, und steht ein Klavier in der Stadt- oder Turnhalle, gibt's zum Abschluß einer Wahlveranstaltung allemal eine musikalische Zugabe.

Der 56jährige Claes Andersson bewundert den Alt-Präsidenten Urho Kekkonnen, der Finnlands Selbständigkeit durch die schwersten Zeiten des Kalten Krieges gelotst habe, und er will diese Selbständigkeit auch nicht durch einen EG-Beitritt des Landes eingeschränkt wissen. Womit zwei inhaltliche Themen dieser KandidatInnenkür genannt wären. Denn Inhalt gibt es auch hier und da, selbst wenn man ihn zwischen den persönlichen Lobpreisungen der KandidatInnen und der Diskriminierung der GegnerInnen mühsam suchen muß. Die EG ist ein Thema – über sie wird aber das Volk entscheiden. Außenpolitisch steht – außer bei Andersson – eine engere Anlehnung an den Westen bis hin zu einer möglichen Nato-Mitgliedschaft kaum noch in Frage. Unterschiedlich und allesamt wenig erfolgversprechend sind die wirtschaftspolitischen Rezepte, mit denen Finnland aus der Krise kommen soll. Aber dazu wird der künftige Präsident sowieso nur in Sonntagsreden etwas zu sagen haben. Was schließlich die Persönlichkeit angeht, mit der jedeR der KandidatInnen das Amt ausfüllen will – so können die FinnInnen durchaus aus dem Wahlkampf ihre Schlüsse ziehen.

Pianist Andersson wäre da auch europaweit ein Gewinn. Denn so wie er Blues spielt, denkt und redet er auch – welch ein Gegensatz zu den leeren Phrasen der meisten BerufspolitikerInnen. Die ehemals erfolgreichste westeuropäische und jetzt ex-kommunistische Linkspartei hat ihn zu ihrem Kandidaten gemacht. Zusammen mit dem für die humoristische Seite des Wahlkampfs zuständigen Kandidaten der Grünen, dem Künstler und Rocksänger Pertti Virtanen, in der Szene „schlapper Virtanen“ genannt, brachte Andersson ein wenig Farbe in diesen grauen Wahlkampf grauer Gestalten. „Gedichte vom Meeresboden“ heißt sein letzter Gedichtband. KritikerInnen meinten, die Szenerie da unten im Meer sei doch so weit weg von der politischen Wirklichkeit: Man könne im Dunkeln die reale Welt nicht einmal ahnen. Da haben sie Andersson nicht besonders gut verstanden: „Genau das ist doch die tote, trockene, geschmacklose Welt der Politik bei uns.“

Will er wirklich Präsident werden? „Ist das nicht ein Job wie jeder andere?“ Er wird den Job nicht kriegen. Schade.

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