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Das Ende der Klappertechnik

■ Über die digitale Zeitverpuffung im Bremer Ortsnetz / Warum das vertraute Klickern nach und nach in den Hörmuscheln verstummt / Die neue Technik macht's

Daß Zeit nur verrrinnt, ist Schnee von gestern. Heute verzischt sie mit Lichtgeschwindigkeit, ihr Tempo ist schneller geworden – wer auf dem Telefon wählt, bekommt es zu spüren.

Nein, nicht was Sie nun denken: Nicht per Zeitansage oder im Gespräch mit irgendjemandem, mit dem sich im sechs- Minutentakt die Zeit zerquasseln läßt. Da möchte man lachen: Die Zeit zu bemessen in Sekunden, Minuten und Stunden womöglich oder gar per Gefühl – das ist so endgültig vorbei, wie das Zeitalter, als man noch auf dem Kohleherd kochte.

„Digitalisierung“ heißt das lautlose Phänomen, das ahnungslose AnruferInnen bis ins Mark erschrecken kann: Weil schon beim x-beliebigen Wählen einer x-beliebigen Nummer die Sekunden von früher zwischen den Verbindungsenden der Telefonierenden lautlos verpuffen.

Vom Bremer Ostertor aus, hin zum nördlichen Sankt Magnus zum Beispiel, benimmt sich die Zeit in der Telefonleitung wie geplatzt und ausgelaufen: Das gemütliche Klickern in der Hörmuschel, das beim Wählen von der Zahl Eins aufwärts immer länger und geruhsamer wurde, ist einfach verstummt. Ein für allemal implodiert ist die gnädige Gelegenheit, vor dem Klingeln am anderen Ende noch schnell eine Notiz auf's Blatt zu bannen – nicht einmal für ein letztes Räuspern vor dem ersten Ton ist Zeit, schon meldet sich wer.

Wenn man Herrn Wildt, den Pressesprecher der Telekom nach dem Verbleib des vertrauten Klickerns fragt, antwortet wird er mit technischen Angaben: „Rund 35 Prozent beträgt der Digitalisierungsgrad der Bremer Telefonanschlüsse“, erklärt er. Und gerät über die neue „fantastische Sprachvermittlung“ und einen „sehr schnellen Verbindungsaufbau“ dienstlich ins Schwärmen.

Seit 1985 bereits hält die neue Technologie in den alten Kupferleitungen Einzug in Bremen, ohne daß ahnungslosen KundInnen Verdacht schöpfen mußten. Es wurde nicht gebohrt, gegraben oder gebaut. Fast unbemerkt begann damals in Schwachhausen, an der Weser und in Findorff, was mittlerweile die meisten Stadtteile erreicht hat: Die „alte Klappertechnik“, die in den rund dreißig Bremer Vermittlungszentralen der Telekom noch lauter elektrische Schalter rattern ließ, wurde ersetzt. Heute herrscht in den Vermittlungsstellen elektronische Stille. „Am lautesten rauscht die Klimaanlage, die die Anlage kühlt“, sagt Telekom-Pressesprecher Wild.

In den Stadtteilen, in denen digitalisiert wurde, fiel das Klickern in der Leitung weg – statt der alten „Impulse“ für die Ziffern von eins bis null wurden die Zahlen nun auf zwei lautlosen Frequenzen übertragen.

In diesem Jahr stehen Arbergen und Gröpelingen auf der Digitalisierungsliste, ab 1995 sollen, wenn es nach der Telekom geht, auch die Leitungen von Oberneuland, Horn, Blumenthal und der Vahr schweigen – theoretisch jedenfalls. Denn nur in den Häusern, wo die Anschlüsse vom Monteur umgestellt oder neue Anlagen angeschafft werden, wird der elektronische Fortschritt als rasante Verbindung spürbar sein.

Solange ist es möglich, daß es auch im Ostertor, in Schwachhausen oder in Sankt Magnus weiterhin in den Hörmuscheln klickert. Und daß den Menschen vorerst der Schreck erspart bleibt, daß ihnen die Zeit abhanden gekommen sei. Oder das Gefühl, noch ein wenig Zeit zu haben.

ede

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