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Mit ganz viel Gefühl

Olympia '94 schminkt sich der amerikanische TV-Sender CBS, der die Rechte für 295 Millionen Dollar erworben hat, nach seinem Rezept zurecht  ■ Von Cornelia Heim

Berlin (taz) – Das ist schon seltsam, was Draggan Mihailovich da behauptet: Die Winterolympiade in Albertville habe mehr Zuschauer auf die Couch gelockt als die Sommerspiele von Barcelona, die freilich auch Konkurrent NBC übertragen habe. Wo doch olympisches Sommerfernsehen viel teurer ist! Für die Übertragung der Olympischen Spiele von Atlanta 1996 wird NBC 456 Millionen Dollar bezahlen. CBS kommt im Februar 1994 in Lillehammer mit läppischen 295 aus. Kaum zu glauben?

Na ja, auf Mihailovichs Visitenkarte steht immerhin „Producer Olympics“. Der 32jährige ist also der Olympiamacher des amerikanischen Senders CBS. Er wird schon wissen, was er sagt. Zumindest macht er all die vielen schönen bunten Bilder von den vielen schönen Menschen, die zu Joe und Ethel in Kansas in die Wohnstube spazieren. Sein Konzept: „Den Schmutz holen wir nicht unterm Teppich hervor.“ Nein, nein, drunterkehren.

Chauvinismus kann man den nordamerikanischen Herrschern über Flimmern und Rauschen nicht vorwerfen. „Mir wäre lieber, es gewinnt kein Amerikaner, sondern ein echter Star.“ Bekannt muß dieser sein, bekennt Mihailovich, der beim Filmen zwangsläufig ans Verkaufen denkt. Nach seiner Dollar-Logik ist ein Alberto Tomba mit Wein, Weib und Gesang allemal wertvoller als eine blasse Mrs. No-name. Wintersport ist in den Staaten, wo die Sterne im Banner auch durch Bälle ersetzt werden könnten, nicht gerade der Hit. Gerade mal fünf (!) US-Goldmedaillen gab's in Albertville. Im Sommer in Barcelona doch 37.

„Sport ist Unterhaltung“, sagt Mihailovich. Und so kann es nicht angehen, die Langlaufloipe von Anfang bis Ende unverfremdet und detailgetreu in die Prärie zu transportieren. Vielmehr geht es um Gesichter und Geschichten. Als Wasserratte Franziska van Almsick in Barcelona erstmals Wellen schlug, zeigte NBC die Schwimmerin bei ihrer eigentlichen Tätigkeit – schwimmend, zwangsläufig kopfunter. Ein Fauxpas sondergleichen, nach Mihailovichs Empfinden: „Als Zuschauer möchte ich Gesichter sehen.“ Die Konsequenz: CBS montiert Kunstfilmchen, die das eigentliche Ereignis in seiner eintönigen Echtheit zerstückeln. 150 solcher sogenannten „Features“ hat der Sender in der Spule. Drei Viertel davon werden vorab gedreht, in Italien, in Neuseeland, in Malaysia.

Aus der Not wurde die Idee zum „Sportler als Menschen“ 1992 geboren. Live zur Prime-time zwischen 20 und 23 Uhr berichten ging in Albertville nicht – wegen der Zeitverschiebung. „Jeder hat uns belächelt, daß wir uns trotzdem nach 30 Jahren Olympia-Abstinenz ausgerechnet nach Frankreich wagten“, schmunzelt Mihailovich, „jetzt lachen wir.“ Über die Konkurrenz natürlich. Denn CBS lockte nach eigenen Angaben 184 Millionen US-Amerikaner vor die Glotze, die Werbequoten stiegen auf 18,7 Prozent im Vergleich zu 17,1 in Barcelona.

Das moderne olympische Motto – mehr Einschaltquoten, höhere Werbequoten, mehr Kohle – hat zur Folge, daß CBS die Olympiade nach Belieben schminkt. „Albertville wurde alleine für die Medien veranstaltet“, resümierte der Stern vor zwei Jahren. 243 Millionen Dollar bescherte CBS dem Veranstalter, die Eintrittskarten nur 30 Millionen. Ist doch logo, daß Olympia vor dem Fernsehgerät stattfindet. Schließlich werden nicht umsonst 5.200 Radio- und Fernsehjournalisten im 23.000- Seelendorf Lillehammer stationiert. Mit einem Troß von tausend Leuten kommt allein CBS nach Norwegen. Gegen die Macht der Bilder nehmen sich die 2.200 Printjournalisten aus aller Welt bescheiden aus. Zeitungen zahlen ja auch nichts fürs Dabeisein bei Olympia. Noch nicht.

Trotz Telegigantismus hat aber human touch allerhöchste Priorität. CBS wird – in guter alter Boulevardtradition – „den Sport vermenschlichen“ (Mihailovich). Wo's menschelt, da ist Gefühl. Viel Gefühl. Wird mitgebibbert wie im Kino. Nur heißt Meryl Streep nicht Clara und Jeremy Irons nicht Esteban. Gestatten, das „Geisterhaus“ von CBS im Schnee: Der Superstar – allen voran Alberto Tomba, der sich selbst gerne Albertone, Alberto der Große nennt. Tja, auf so etwas stehen die Amis. Und auf Katarina Witt noch viel mehr. Nicht weil sie eine schöne Frau ist – vielleicht doch ein bißchen – und in Albertville für CBS als Kommentatorin mehr verführerisch in die Kamera lächelte, als inhaltsschwanger kommentierte. Nein, angeblich ist Eiskunstlauf der US- Renner. Vor allem bei der weiblichen Klientel, die dem amerikanischen Sport in der Variante von Baseball und Rugby angeblich nicht so hold ist: „58 Prozent unserer Zuschauer waren Frauen.“ Folglich konstruiert CBS auch in Lillehammer seinen eigenen Olympia-Zeitplan, in dem der Frauen Lieblings-Fernsehsport an allererster Stelle steht: „An zehn von 16 Abenden wird Eiskunstlauf zum Hauptschwerpunkt.“ Da sage noch einer, daß Männer keine Rücksicht nähmen...

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