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■ "Die Schüler starben einer nach dem anderen"Wer aus Burundi kommt, kann viele Leidensgeschichten erzählen. Einige hundert der über 50.000 Toten der letzten Monate sind Oberschüler aus dem Ort Kibimba, wo nur wenige überlebten. ...

„Am Donnerstag, dem 21. Oktober, zwischen 11 und 12 Uhr beendeten die Lehrer den Unterricht der vierten Stunde und gingen nach Hause. Einige hundert Meter von der Oberschule von Kibimba entfernt sahen sie sich mit etwa dreißig Bauern konfrontiert, die mit Macheten, Lanzen und Knüppeln bewaffnet waren. Die Lehrer kehrten um und rannten in das Haus, in dem die weiblichen Aufsichtspersonen des Gymnasiums wohnen. Die Angreiter folgten ihnen, sie gingen in das Haus und entführten zwei Tutsi-Lehrer.

Die Schüler verließen ihren Raum und versammelten sich im Schulhof. Sie fragten sich, warum diese Horde bewaffneter Bauern ihre Lehrer entführt hatte und was sie wohl mit ihnen machen würde.

Einige Zeit später kam der Direktor aus seinem Büro. Wir fragten ihn, warum diese bewaffneten Bauern Lehrer entführten, ohne daß er auch nur einen Finger rühre. Er antwortete lakonisch: „Man hat einen Hutu entführt. Sobald er frei ist, werden diese Bauern die Lehrer freilassen.“ Später erfuhren wir, daß der Hutu, auf den er anspielte, Präsident Ndadaye (der von Tutsi-Putschisten ermordete gewählte Staatschef Burundis – d. Red.) war.

Wir baten den Direktor, die Bauern wegzujagen. Er antwortete: „Ich habe sie nicht eingeladen. Das ist nicht meine Angelegenheit.“ Die Gruppe von Erziehern und Studienaufsehern um uns herum war voller Unruhe; wir schlugen ihnen vor, mit uns zu fliehen, denn wir waren sicher, daß die Bauern die Lehrer und dann uns töten würden. Der Direktor versuchte, uns zu beruhigen: Die Bauern wollten nur die Lehrer umbringen. Wir beschlossen zu fliehen.

So verließen die dreihundertneunzig Schüler und die zehn Tutsi-Lehrer die Oberschule in Richtung Mwaro, ohne Koffer oder Stöcke, um nicht die Aufmerksamkeit der Bauern zu wecken. Zehn Kilometer entfernt stießen wir auf rund hundert bis an die Zähne bewaffnete Bauern, unter denen wir einen gewissen Gabriel erkannten, einen Studenten, der öfter zur Oberschule kam, sowie Roger, Ehemann unserer Wirtschafterin. Die Gruppe versperrte uns den Weg. Gabriel forderte uns auf, unsere Ausgangsscheine zu zeigen, wir antworteten, sie seien nicht befugt, das von uns zu verlangen. Er mahnte uns, die Scheine vorzulegen – andernfalls werde er Gewalt anwenden. Angesichts unsere kategorischen Weigerung entschloß sich Gabriel, nach Hause zu gehen, nachdem er den Bauern den Rat gegeben hatte, ihre Mission zu erfüllen.

Die Bauern begannen, uns mit ihren Waffen zu bedrohen. Wir wichen zurück, und sie begannen, uns niederzumachen. Die ersten von uns stürzten zu Boden. In Panik versuchten wir, uns zu befreien, und bemerkten dann, daß eine andere Kohorte Bauern von hinten kam – wir waren wie in einem Sandwich. Einige von uns konnten, von Angst getrieben, die Böschung der durch einen Hügel gegrabenen Straße erklettern und fliehen.“

Mehr als zweihundert Schülern gelang die Flucht. Was mit den anderen geschah, berichtet ein anderer Überlebender:

„Die Schlächter hetzten hinter uns her und kreisten uns ein. Unter Knüppelschlägen führten sie uns zu unserer Oberschule. Wir waren mehr als hundert Schüler. Einige hatte es geschafft, einen von einer Machete an der Schläfe verletzten Kamaraden aufzulesen. Die Bauern erlaubten, ihn zum Krankenhaus zu bringen.

In der Schule führten unsere Angreifer uns zum Direktor. „Hier sind unsere Schüler“, sagten sie. Der Direktor forderte sie auf, uns dorthin zu führen, wohin sie die anderen gebracht hatten.

Ein Biologielehrer schloß uns im Lehrerzimmer ein. Die Hutu- Schüler, die in der Schule geblieben waren, hatten sich inzwischen mit Messern und Speeren bewaffnet; während wir eingeschlossen waren, aßen sie mit den Bauern zu Abend. Danach forderten sie laut den Schlüssel des Raumes, wo wir eingesperrt waren. Der Biologielehrer verweigerte dies. Unsere Hutu-Mitschüler und die Bauern traten daraufhin die Tür ein, ließen uns herauskommen und führten uns auf den Weg des Todes wie eine Herde zum Schlachten.

Beim Krankenhaus forderten die Hutu-Schüler die Herausgabe der vier Schüler, die ihren verletzten Kameraden dorthin transportiert hatten. Ein Hutu-Bauer verweigerte die Übergabe. „Nehmt die hier mit“, rief er. „Ich kümmere mich um die vier“.

Unter Schlägen führten unsere Schlächter uns nach Bubu. Dort stießen wir auf Hunderte von Bauern, bewaffnet mit Lanzen, Macheten, Schwertern und Knüppeln. Mit dem Finger zeigten sie auf ein brennendes Haus, aus dem verzweifelte Schreie drangen, und sagten: „In dem Haus dort werden wir euch unterbringen.“ Es war vielleicht 19 Uhr.

Wir zitterten wie Laub im Regen. Unsere Henker nahmen uns unsere Bekleidung und Schuhe ab. Sie teilten uns in zwei Gruppen ein: Die kleinere Gruppe wurde sofort zum Scheiterhaufen geführt. Einer, der versuchte, sich zu widersetzen, wurde sofort mit einer Machete getötet. Ich war in der größeren Gruppe. Man entfernte uns von unseren Kameraden, von denen wir nur noch Verzweiflungsschreie hörten. Man drängte uns am Straßenrand an einer Bushaltestelle zusammen und begann, uns totzuschlagen. Die Schüler, die oben auf dem Haufen waren, starben einer nach dem anderen.

Ich war unter dem Haufen der Körper meiner Mitschüler, etwas an der Seite. Die Schläge trafen mich nicht an einer lebenswichtigen Stelle. Im Blutrausch bemerkten die Bauern, daß einige von uns nicht tot waren, und beschlossen, uns auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen.

Sie begannen, zu zweit die bereits verformten und blutigen Körper zu packen, um sie den Flammen zu übergeben. Als ein Mitschüler und ich bemerkten, daß wir gleich an die Reihe kommen würden, entwanden wir uns in einer letzten Anstrengung den leblosen Körpern über uns und liefen in die Dunkelheit.“

Die beiden Überlebenden wurden am nächsten Morgen nackt von Soldaten gefunden. Die Soldaten konnten noch etwa zehn Lebende aus dem brennenden Haus bergen; zuvor hatten sich etwa zehn weitere Schüler aus diesem Haus gerettet. Eine Schülerin konnte auf kuriosem Wege dem Tod entgehen:

„Unsere Henker hatten uns gesagt: Ihr habt die Wahl, mit der Machete geköpft zu sterben oder auf den Scheiterhaufen geworfen zu werden. Dann fragte mich ein Hutu-Bauer abrupt: „Hast du Geld?“ Ich antwortete: Ja, aber nicht viel. Wieviel? fragte er. Ich antwortete: 1.000 Franc. Er entriß sie mir, als er den grünen Schein sah, und ließ mich heimlich von der Gruppe meiner Mitschüler, die zum Verbranntwerden anstanden, verschwinden. Das Durcheinander war riesig. Die Schüler sträubten sich, den Scheiterhaufen zu besteigen, während die Treiber sie in Richtung der Flammen stießen. Mein Retter führte mich in ein Tal, wo seine Tutsi-Frau und drei seiner Kinder warteten. Die Frau hatte gerade ihre Eltern und Brüder verloren. Als Soldaten kamen, nahmen sie mich und die Frau zur Seite. Dann töteten sie den Mann und die drei Kinder.“

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