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■ Zur politischen Orientierung der „Bündnisgrünen“Sich langlegen oder sich querstellen?

Bei der Debatte zur wirtschafts- und sozialpolitischen Orientierung des Bündnis 90/Die Grünen zu den Bundestagswahlen werden wir Zeugen des Versuchs, an die Stelle der bestehenden eine neue Partei zu setzen. Würden wir den Vorschlägen von Fritz Kuhn, Ralf Fücks und ihren Freunden folgen, so müßte diese Partei vor allem mittelschichtorientiert sein, brav und ohne jede Flausen von radikalen Positionen, Visionen oder gar Utopien. Auch die Orientierung an gesellschaftlichen Interessen soll die Partei aufgeben, um möglichst für jedeN, der/die guten Willens ist, wählbar zu werden. Also eine Partei, die für nichts mehr Partei mehr nimmt (schon gar nicht angesichts die Reichshaushaltsordnung und die Kompromißbereitschaft der Scharping-SPD überfordernder Themen wie der globalen Öko-Krise und der europaweit anschwellenden Massenerwerbslosigkeit und Massenarmut)! Gleichsam die grünbürgerbewegte Variante zu Kohls Standortsanierung auf Kosten der sozial Schwächeren.

Aber schon der Länderrat des vergangenen Wochenendes hat bewiesen, daß diese Konzepte scheitern. Die vorliegenden Entwürfe des Bundesvorstandes zur Programmatik, mit der die Bündnisgrünen in die Bundestagswahl gehen werden, sind zum Glück ebenfalls nicht von dieser Handschrift geprägt. Das ist gut so. Die imaginäre Mittelschichtklientel, die gar nichts von Interessenkonflikten hören will und am liebsten auch die ärmeren Schichten dieser Gesellschaft (und die ärmeren Völker des Südens und des Ostens) mit den Kosten für den überfälligen ökologischen Umbau belastet sehen will, gibt es für die Bündnisgrünen gar nicht, beziehungsweise wählt sie sowieso schon FDP.

Seit den 60er Jahren im Westen, seit der „Wende“ im Osten haben sich die Lebensverhältnisse individualisiert und differenziert. Ausbildungsstand und Einkommen werden zunehmend entkoppelt. Individualeinkommen, soziale Lage und politisches Bewußtsein driften auseinander. Traditionalistischen Politikkonzeptionen, die mit der Orientierung auf „Mittelschichten“ auf nicht mehr existierende Klassen- und Schichtungskategorien abstellen, wird schlicht die Grundlage entzogen. Der habilitierte Taxifahrer, die Studentin, aber auch der Studienrat für Biologie, der sich über den Stand der Klimakatastrophe informiert hat, der aktive Mitarbeiter einer ostdeutschen Beschäftigungsgesellschaft – sie alle erwarten etwas anderes von den Bündnisgrünen: eine Politik, die reale Interessen anspricht und neu zusammenfaßt, nicht eine Politik der „weißen Salbe“, die niemandem weh zu tun verspricht. Ein Konzept der ökologisch-solidarischen Wirtschaftspolitik gegen soziale Ausschließung. Eine Verknüpfung von Maßnahmen gegen die ökologische Krise mit Schritten, die den Prozeß der sozialen und ökonomischen Umverteilung und Ausschließung rückgängig machen, wie er seit der Schmidt-Kohlschen Wende betrieben worden ist. Eine solche Strategie hätte unter den unterschiedlichen sozialen Milieus von bündnisgrünen Stammwählern eine solide Basis und wäre zugleich in der Lage, neue Wählerschichten anzusprechen: im Westen die FacharbeiterInnen- und Gewerkschafter„eliten“, die sich von der Scharpingschen Politik „Umverteilung in einer Klasse“ nichts mehr erhoffen können, im Osten die vielen „AnschlußverliererInnen“, die bisher allein in der PDS eine genuine Ost-Opposition entdecken konnten.

Nachdem die Kompetenzzuschreibung für Wirtschaftspolitik den Regierungsparteien verlorengegangen ist, können die Bündnisgrünen heute darum kämpfen, die Hegemonie als Träger einer realitätssüchtigen wirtschafts- und sozialpolitischen Initiative zu erringen. Die Konzepte dafür liegen weit entwickelt vor, vom ökologisch-solidarischen Umbau der Volkswirtschaft über den Aufbau Ost, die Umverteilung der Arbeit, eine wirksame soziale Grundsicherung – bis hin zu einer umfassenden ökologisch-solidarischen Steuerreform. Sie hätte den ökologischen Umbau und die sozioökonomische Wiedereingliederung der in den letzten Jahrzehnten Ausgeschlossenen durch eine gezielte Belastung des Stoff- und Energieeinsatzes sowie der seit Anfang der 70er Jahre explosiv gewachsenen Rentiersvermögen zu finanzieren. Das Problem ist allenfalls, daß die Bündnisgrünen noch Angst vor der eigenen Courage bekommen, ihre Forderungen auf das reduzieren, was ohne gesellschaftliche Auseinandersetzungen durchzusetzen ist. Eine klare Gegenposition zur weiteren Fortsetzung der ökologischen Zerstörung durch das Industrieland Bundesrepublik und zur erneuten Umverteilung von unten nach oben, eine mit allen verfügbaren politischen Mitteln geförderte Wochenarbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden, eine soziale Grundsicherung, die diesen Namen verdient und zur Wiedereingliederung beiträgt, und eine ökologisch-solidarische Steuerreform, die keinen Etikettenschwindel betreibt – darunter wird bündnisgrüne Politik es nicht machen können, ohne diese große Chance zu verspielen.

In der Nord-Süd-Politik, der Friedenspolitik und der Verteidigung der Menschen- und Bürgerrechte sowie der Demokratisierung der Gesellschaft ist die Programmdebatte bei den Bündnisgrünen ohnehin auf gutem Weg.

Das Projekt eines kleinen Teils des früheren „Realo-Flügels“, bereits im Vorfeld eine spätere Koalitionsbildung dadurch zu erreichen, daß die eigenen Forderungen verundeutlicht werden, läuft darauf hinaus, daß die „Parteielite“ sich eine neue Wählerbasis sucht. Das wäre ein Vabanquespiel – das nicht einmal das damit verbundene existentielle Risiko lohnt. Die breite Basis der Partei, dessen bin ich relativ sicher, wird sich nicht zu derart riskant ausgedachten Manövern verleiten lassen.

Es wird nicht einfach sein, daß Maß an klarer wirtschaftspolitischer Profilierung zu bestimmen, das diese Parteibasis aus ihrer eigenen politischen Erfahrung heraus – und nicht weil sie einfach ein paar TheoretikerInnen vertraut – mittragen kann. Bislang stehen sich ein eher zurückhaltend formulierter Bundesvorstandsentwurf und eine Globalalternative gegenüber, die den zugespitzten Stand der grünen Konzeptionsdebatte formuliert. Das ist ein gesunder Streit, der dem wirtschafts- und sozialpolitischen Bewußtsein vieler bündnisgrüner Mitglieder nur aufhelfen kann. Denn das Entscheidende dafür, ob die Bündnisgrünen dieses Mal ihre Chance wahrnehmen, wird nicht so sehr daran liegen, welche Formulierungsvorschläge sich im einzelnen durchsetzen, sondern daran, ob es gelingt, die Parteibasis dauerhaft für diese Probleme zu aktivieren und Menschen in Funktionen zu wählen, die glaubwürdig das Engagement der Partei auf dem Feld der Wirtschafts- und Sozialpolitik verkörpern Frieder O. Wolf

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