: Wenn Demokratie zum Reizwort verkommt
Zwischen Haitis Exilpräsident Aristide und US-Gastgebern läuft nichts mehr. Chronik einer Entfremdung ■ Von Andrea Böhm
Es ist ein schlechtes Zeichen, wenn der Umgangston zwischen Verbündeten plötzlich von diplomatischen Floskeln beherrscht wird. „Kooperativ und konstruktiv“ – mit diesen beiden Codewörtern antworten derzeit VertreterInnen der Clinton-Administration und des haitianischen Exilpräsidenten Jean-Bertrand Aristide, wenn sie von der Presse nach dem Gesprächsklima gefragt werden.
In Wirklichkeit wachsen Meinungsverschiedenheiten, Frustrationen und Antipathie auf beiden Seiten. Bei einem Pressegespräch Anfang Januar erklärte US-Präsident Bill Clinton erstmals öffentlich, daß er die Aussichten für eine Rückkehr Aristides in Amt und Würden nach Haiti für „düster“ halte und daß seine Regierung ihre Unterstützung für den im September 1991 gestürzten haitianischen Präsidenten „neu überdenken“ müsse. Am meisten Aufsehen erregte diese Äußerung in Haiti, wo Aristide-AnhängerInnen nun ihr letztes Stück Hoffnung aufgegeben haben, während sich unter ihren Gegnern endgültig Siegerstimmung breitmacht.
Innerhalb der Militär- und Business-Elite des Landes ist man nun überzeugt, daß die USA nicht mehr auf einer Rückkehr Aristides bestehen. „Jetzt ist es nur noch eine Frage der Zeit“, erklärte ein haitianischer Geschäftsmann strahlend einem Reporter der New York Times, „bis sie auch die Sanktionen wieder aufheben.“
Soviel Optimismus auf seiten der Putschisten und ihrer Unterstützer ist zweifellos verfrüht. Mitarbeiter im US-Außenministerium versicherten in den folgenden Tagen, an den Prinzipien der US-Politik gegenüber Haiti ändere sich nichts. Einer erklärte sogar unter dem Schutz der Anonymität, daß Präsident Clinton bei seinem Pressegespräch über die Ereignisse in Haiti nicht auf dem laufenden zu sein schien.
Aristide wird unbequem
Doch Haitis Militärs um Generalleutnant Raoul Cédras ist nicht entgangen, daß Aristide in Washington immer mehr zu einem unbequemen und lästigen Koalitionspartner geworden ist. Der Grund ist aus Sicht der Aristide-AnhängerInnen ebenso simpel wie bitter. Allein durch seine Präsenz in Washington erinnert der haitianische Präsident an ein Versprechen, zu deren Einhaltung die Clinton-Administration mehr tun müßte, als sie will: Die Wiederherstellung der Demokratie und die Rückkehr Aristides nach Haiti als Präsident – im Juli 1993 unter internationaler Aufsicht von Aristide und Cédras im Abkommen von Governors' Island vereinbart – ist ohne internationalen militärischen Druck nicht durchzusetzen. Dazu ist die Clinton-Administration nicht mehr bereit, seit sie sich im Oktober letzten Jahres von AnhängerInnen Cédras' und des Polizeichefs von Port-au- Prince, Michel François, düpieren ließ. Damals beorderte das Pentagon ein Schiff mit 300 kanadischen und US-amerikanischen Militärs, die im Rahmen des Abkommens auf Haiti stationiert werden sollten, wieder zurück, nachdem im Hafen von Port-au-Prince eine johlende und Steine werfende Menge von Aristide-Gegnern aufgetaucht war.
Mit Sanktionen allein wird sich die Rückkehr Jean-Bertrand Aristides nach Haiti nicht mehr erzwingen lassen. In den Armenvierteln, wo die Popularität Aristides am größten ist, sind die Folgen des Embargos bereits brutal zu spüren. Organisationen wie CARE haben zwar Hilfsgüter aufgestockt, doch aufgrund des Ölembargos fehlt ihnen das Benzin, um Medikamente und Nahrung im Land zu verteilen. Nun sollen die Hilfsorganisationen eigene Öllieferungen erhalten, doch ihre MitarbeiterInnen befürchten, daß der Brennstoff zum großen Teil in private Kanäle verschwinden wird.
Da der Druck auf die eine Seite, die Militärs, wenig Wirkung zeigt, erhöht man in Washington nun weiter den Druck auf die andere Seite: Aristide. Haitis Präsident hatte bereits im Abkommen von Governors' Island auf Druck der USA enorme Zugeständnisse gemacht und unter anderem einer Amnestie für die Putschisten zugestimmt. Nachdem die Militärs das Abkommen vollends ignorierten und sich weigerten, ihre Posten zu räumen, während die von Aristide eingesetzte Regierung unter Premierminister Robert Malval faktisch unter Hausarrest agieren mußte, wuchs wiederum der US- Druck auf Aristide, konservativere Kräfte in sein Kabinett aufzunehmen, um Militär und die haitianische Oberschicht ruhig zu stimmen. Der endgültige Tiefpunkt der Beziehungen war erreicht, als Aristide seine Unterstützung für eine von Malval organisierte neue Verhandlungsinitiative mit den Militärs erst zusagte und dann zurückzog. Begründung: Niemand könne bei den geplanten Gesprächen auf Haiti die Sicherheit seiner Delegierten garantieren. Ein triftiger Einwand, wenn man sich daran erinnert, daß nach Unterzeichnung des Abkommens von Governors' Island Aristides Justizminister sowie einer seiner engsten Freunde und Berater in Port-au-Prince erschossen worden sind – von den zahlreichen Morden an seinen AnhängerInnen in den Armenvierteln ganz zu schweigen.
Aristides plötzliche Kehrtwende, die innerhalb der Clinton- Administration erneut zu Klagen über die angebliche Unberechenbarkeit des haitianischen Präsidenten geführt hat, dürfte allerdings noch einen anderen Grund haben: Die Clinton-Administration läßt zunehmend erkennen, daß sie lieber mit dem Geschäftsmann Malval über neue Kompromisse in Haiti verhandeln würde als mit dem Priester Aristide. Zwischen den beiden ist es inzwischen zum kompletten Zerwürfnis gekommen. Nach dem Scheitern seiner Verhandlungsinitiative trat der fünfzigjährige Malval von seinem Amt als Premierminister zurück und übte scharfe Kritik an Aristide, dem er ein zu großes Ego vorwarf. Malval ist zwar bis zur Ernennung eines Nachfolgers noch kommissarisch im Amt, doch Aristide hat ihm jede weitere politische Initiative untersagt.
Statt dessen hat der Exilpräsident nun zum Wochenende seine eigene Konferenz in Miami einberufen. Ursprünglich sollte ein umstrittenes und für die USA beschämendes Thema zum Mittelpunkt gemacht werden: die US-Flüchtlingspolitik gegenüber den haitianischen Boat people. Denn US- Schiffe sorgen nicht nur dafür, daß kein Öl nach Haiti geliefert wird; sie sorgen auch dafür, daß keine Flüchtlinge die Insel verlassen können. Auf amerikanischen Druck nun hat Aristide die Tagesordnung geändert. Nicht mehr von Flüchtlingen soll die Rede sein, sondern davon, wie auf Haiti „eine breitere Koalition“ für seine Rückkehr hergestellt werden kann. Mit herkömmlichem Demokratieverständnis ist dieses Ansinnen schwer zu vereinbaren: Immerhin hat Aristide mit rund 70 Prozent aller Stimmen bei den Wahlen eine sehr viel breitere Basis hinter sich versammelt als Bill Clinton, der die Präsidentschaftswahlen knapp mit 46 Prozent gewann.
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