: Pink-Panther- Philosophie
Will aus der Philosophie hinaus und gerät immer tiefer hinein: Neue vermischte Schriften von Gilles Deleuze ■ Von Klaus Englert
Was hat der rosarote Panther mit der Philosophie zu tun? Auf diese Frage weiß nicht einmal Radio Eriwan eine Antwort. Jedoch der französische Philosoph Gilles Deleuze. In „Tausend Plateaus“ schreibt er des Rätsels Lösung: „Der rosarote Panther imitiert nichts, er reproduziert nichts, er malt die Welt mit seiner Farbe, rosarot auf rosarot, dies ist sein Welt-Werden, so daß er selber unsichtbar wird.“ Unsere klassische binäre Logik könnte nur aussagen, daß der Panther die Welt malt und daß diese vom Panther gemalt wird. Für Deleuze ist dies das traurige Bild eines Denkens, das im starren Schema von Subjekt und Objekt, von Aktivität und Passivität befangen bleibt. Um das Welt-Werden des Panthers und das Panther-Werden der Welt zu verstehen, müßte man zu einer anderen Logik gelangen, die den Dualismus hinter sich läßt. Da es nichts gibt, das der Panther nachahmt, ist der Mimetismus ein untaugliches Modell: Er ist zu statisch, um das Prozeßhafte erfassen zu können. Spätestens seit seinen frühen Schriften „Differenz und Wiederholung“ und „Logik des Sinns“ hat sich Deleuze immer wieder gefragt, wie eine Theorie dem Wandel und der Verbindung der Gegenstände angemessen sein kann. Für ihn führte dies zur Konsequenz, mit einer Geschichte der Welterklärung aufzuräumen, die ein starres System durch ein anderes ersetzte. Die klassische Metaphysik bevorzugte als Erklärungsmuster vor allem das Bild des Baumes mit seinen deutlichen Zuordnungen – Deleuze hingegen das des Rhizoms, des Wurzelwerks, mit seinen chaotischen Verbindungen. Das Baum-Modell findet sich schon bei Descartes: „Die Philosophie ist wie ein Baum, dessen Wurzel ist die Metaphysik, der Stamm ist die Physik, die Zweige, die daraus entspringen, bilden die anderen Wissenschaften.“ Der Baum verdeutlicht also eine tiefe Struktur, worin alles seinen Grund hat, und eine genealogische Folge, die die Entwicklung der Dinge darlegt. Deswegen hat die Metaphysik die Vielheiten immer ausgehend von einer höheren Einheit und einem Zentrum gedacht – dem unum, bonum, verum.
Ganz anders funktioniert das Rhizom, das für Deleuze zum Sinnbild eines „neuen Denkens“ wurde. Wie kann man schon, wenn nichts imitiert und reproduziert wird, das Welt-Werden des rosaroten Panthers verstehen? Oder den Weltbezug des Buches, das auch eine organische Innerlichkeit, ein Bild der Welt ist? Deleuze versteht das Buch als Rhizom. Das Außen dringt in die vermeintliche Abgeschlossenheit des Buches ein und verursacht, daß die literarische Maschine in bezug zu anderen Maschinen kommt – etwa zur Kriegsmaschine, zur Liebesmaschine, zur Revolutionsmaschine. Diesen Außenbezug hat Deleuze, auch inspiriert durch Foucault, an der Sprache aufgezeigt, die man nicht nach „arboresken“ Strukturen formalisieren kann. Sie ist ein „azentrisches System“: Sie bezieht sich niemals nur auf sich, sondern auf biologische, politische und ökonomische Funktionsweisen. In der Rhizom-Theorie geht es um derartige „Zeichenregime“, um Konnexionen, den Bezug auf ein Außen, um Verbindungen zu Kunst und Wissenschaft.
In den letzten Jahren hat sich Deleuze verstärkt mit diesen Bereichen oder „Plateaus“ auseinandergesetzt. Dies will vornehmlich heißen: mit ihren Konnexionen und Funktionsweisen. Denn in einem Buch, so Deleuze, gibt es nichts zu verstehen, und es gibt auch keine Identität des Subjekts, statt dessen gibt es „unpersönliche Inidividuationen“ und ein Subjekt- Werden, das abhängig ist von den verschiedenen Formen (gesellschaftlicher) Anordnungen.
Deleuze geht es um eine radikal neue Weise, mit der Philosophie nochmals zu beginnen. In „Differenz und Wiederholung“ heißt es programmatisch, es komme darauf an, die Differenz endlich aus dem Zustand ihrer Verfemung zu befreien. Das Denken in Hierarchien, das Erbe des auf Transzendenz ausgerichteten Idealismus, wird verabschiedet. Ähnlich wie Derrida versucht Deleuze, die Welt als ein System „dezentrierter Zentren“ zu verstehen – als ein „System, in dem sich das Differente durch die Differenz auf das Differente bezieht“. Mit diesem Neubeginn müssen noch einmal die alten Fragen gestellt werden: „Was ist die Philosophie?“ und „Wie kommt man aus der Geschichte der Philosophie heraus?“
Von Beginn an hat Deleuze den Ballast des in Frankreich ehemals dominanten phänomenologischen und strukturalistischen Erbes ignoriert. Nicht die traditionellen Kommentare zur Philosophiegeschichte interessierten ihn, auch nicht die tausendmal gestellte Frage nach dem ungeteilten Ursprung, der reinen Wahrheit, der ungetrübten Transzendenz und der aufgeklärten Vernunft. Eher interessierte ihn das Herauskommen aus dieser Geschichte als Antworten auf die immergleichen Fragen. Die Konfrontation der Philosophie mit der Schrift, der Malerei, dem Kino und der Politik, mit den „marges de la philosophie“ (Derrida) führten natürlich weg vom gesicherten Terrain der Philosophiegeschichte.
Wichtig ist für Deleuze aber nicht nur ein philosophisches Verständnis der Begriffe (concepts), sondern auch der – nicht auf die Aktivität der Subjekte zurückführbaren – „Perzepte“ (percepts) und „Affekte“ (affects). In „Tausend Plateaus“ ist Deleuze dieser Konfrontation im Bereich der bildenden Kunst und der Musik nachgegangen. Und in dem Sammelband „Unterhandlungen“, der Interviews und Aufsätze aus den Jahren 1972 bis 1990 vereinigt, hat er sich nach seinem monumentalen Kino- Buch nochmals die Frage gestellt, wie man zu den neuen Bildern des zeitgenössischen Kinos neue Begriffe erfinden kann. In einem Brief an Serge Daney sagt er, daß die Massenkunst der Eisenstein und Gance mit ihrem metaphysischen Optimismus verbraucht, die Bildsprache von Hawks und Huston mit ihrem metaphysischen Pessimismus ans Ende gekommen sei. Erst nach dem Krieg mit den Filmen der Straubs, Syberberg und Godard habe man eine neue Funktion des Bildes entdeckt. Man etablierte brüchige Beziehungen zwischen den Bildern: inkommensurable Verhältnisse zwischen dem Akustischen und Visuellen, irrationale Schnitte zwischen den Einstellungen. Was zählt, ist nun nicht mehr die Assoziation der Bilder, sondern die Differenz und der Zwischenraum, der die Bilder voneinander trennt. Man sieht, Deleuze interessiert sich nicht für Inhalt oder Bedeutung der Filme. Vielmehr geht er von Konnexionen und Funktionsweisen aus, etwa von der Frage, wie bestimmte Bilder miteinander zu verknüpfen sind, wie es auch die Methode Godards ist.
Deleuze will das Kino keinesfalls zum untergeordneten Fall der Philosophie machen, zum bloßen Anlaß, um mit Begriffen zu brillieren. Für ihn ist es selbstverständlich, daß Kino und Philosophie ihre jeweils eigenen Rhythmen, Veränderungen und Geschichten aufweisen. Diese Differenz gilt es zu achten, wenn man erkennen will, daß es zwischen den verschiedenen Bildtypen und den philosophischen Begriffen einen wechselseitigen Austausch gibt, und daß sogar zwischen Begriff und Bild, zwischen Bild und Begriff eine Beziehung existiert. Philosophie und Kino treffen sich an einem für viele überraschenden Punkt: Beide sind „ihrem Wesen nach revolutionär“, da sie nicht nur unaufhörlich neue Begriffe und Bilder, sondern auch wechselseitig ein neues Beziehungsgeflecht schaffen.
Für Deleuze bedeutet Schreiben nichts anderes, als Fluchtlinien aufzuspüren, jene déformation professionelle zu überwinden, die den Sinn als etwas Gegebenes, als Grund oder Ursache vorspiegelt, sei es in der Gestalt Gottes, der vergessen, oder des Menschen, der entfremdet ist. In „Logik des Sinns“ hat er dargelegt, daß es nicht Aufgabe der Philosophie sein kann, den vergessenen oder entfremdeten Sinn wieder in seiner Ursprünglichkeit herzustellen. All den Menschen- und Gottgläubigen hält er dort entgegen: Nicht soll der Sinn ent-deckt, sondern durch immer neue Maschinerien produziert werden. Was also ist Philosophie? Sie soll sich, nach Deleuze, nicht um die Gegebenheiten, sondern um die gegebenen Möglichkeiten kümmern. Hier gilt es vor allem, den Kampf gegen den Glauben an die sprachlichen und personalen Identitäten aufzunehmen, wie sie der gesunde Menschenverstand auffaßt. In „Logik des Sinns“ heißt es, daß der common sense alles auf die Identität eines Subjekts, die Permanenz eines Objekts oder der Welt bezieht. Alles, was passiert, muß eine berechenbare Dauer, einen Anfang und ein Ende haben. Doch im Denken gibt es niemals einen gemeinsamen Ausgangspunkt, niemals stellen die Denker die gleichen Fragen. Folglich gibt es keinen „sens commun“. Auch „Differenz und Wiederholung“ und „Tausend Plateaus“ setzen deswegen dem gesunden Men
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schenverstand das Denken des Ereignisses, des Vielfältigen, der Differenz und der Intensität gegenüber.
Nach Gilles Deleuzes Verständnis gibt es für den Philosophen nichts zu interpretieren, denn Interpretieren ist die Frömmigkeit des „unfreien“ Denkens. Seitens der Fachphilosophen hat es Versuche gegeben, Deleuze zum Ideologen, gar zum faschistischen Ideologen zu stempeln. Man kann nun unmißverständlich in den soeben erschienenen „Unterhandlungen“ nachlesen, daß sein philosophisches Verständnis nichts, aber auch gar nichts mit solcher Ideologie der verblichenen Mythen zu tun hat. Die Philosophie ist die Schöpfung neuer Begriffe, so wie die (Film-)Kunst die Erfindung neuer Bilder ist. Allerdings bleibt festzuhalten, daß Deleuzes mit seiner Verherrlichung des Schöpfertums in eine Art Metaphysik ohne Subjekt zurückfällt. Schon seit den Frühromantikern und vollends seit Nietzsche diente die Figur des Künstlers als Autor und Schöpfer als Ausweis der Modernität einer Philosophie. Novalis und Wackenroder haben das Schöpfer-Subjekt verabsolutiert, Nietzsches Artistenphilosophie sang Lobeshymnen auf den „unmoralischen Künstler-Gott“ und den zum Kunstwerk gewordenen Menschen. Die auf Leben, Kunst und Denken zielende Schöpfung wird auch von Deleuze als Singularität beschworen – und ist doch nur ein weiteres Universal. Sein Versuch eines Neuanfangs in der Philosophie wird damit von ihm selbst konterkariert.
„Lasset unser Leben in ein Kunstwerk verwandeln“, hieß es bei Wackenroder, und Deleuze fügt hinzu, es komme auf „die Erfindung neuer Lebensmöglichkeiten“, auf „die Existenz als Kunstwerk“ an. Vornehmlich in seinen letzten Schriften spukt noch der romantische Schöpfungs-Mythos umher. Er wurde bekanntlich von den Künstler-Avantgarden unseres Jahrhunderts aufgenommen und stimulierte schließlich den Wunsch nach einem totalen Kunstwerk: Sowohl die kommunistischen als auch die faschistischen Künstler träumten von dem „ästhetischen Akt“, der nach dem Systemprogramm der Frühromantiker zum „letzten, größten Werk der Menschen“ werden sollte. Von solchen abschließenden Gesten müßte sich Deleuze eigentlich distanzieren.
Folgende Werke von Gilles Deleuze sind besprochen:
„Unterhandlungen“. 1972 – 1990. Aus dem Französischen von Gustav Roßler. Suhrkamp Verlag, 262 Seiten, 19,80 DM
„Logik des Sinns“. Aus dem Französischen von Bernhard Dieckmann. Suhrkamp Verlag, 397 Seiten, 27,80 DM
„Differenz und Wiederholung“. Aus dem Französischen von Joseph Vogl. Fink Verlag (1992), 408 Seiten, 58 DM
Gilles Deleuze/Félix Guattari: „Tausend Plateaus“. Aus dem Französischen von Ronald Voullié und Gabriele Ricke. Merve, 716 Seiten, geb., 98 DM/brosch. 78 DM
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