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„Wir sind das Improvisieren gewöhnt“

Frankfurter freie Kinder- und Jugendinitiativen: Selbstverwaltung als kostensenkender Faktor  ■ Aus Frankfurt am Main Heide Platen

Das wäre für jede Personalabteilung eine helle Freude: engagierte, hochmotivierte MitarbeiterInnen, unter Tarif bezahlt, unbürokratisch, mit kreativen Ideen und Eigeninitiative, die ihren Arbeitsplatz selber putzen. Der Jahresbericht der Frankfurter freien Kinder- und Jugendeinrichtungen ist trotz leerer Stadtkassen, zusammengestrichener Zuschüsse und allgemein schwerer Zeiten ein Musterbeispiel für „positive thinking“.

Dabei sind die 17 Initiativen, die sich seit 1989 im „Zusammenschluß“ e.V. organisiert haben, durchaus nicht nur Vorzeigekinder in mustergültiger Stromlinienform. Das Café Exzeß, Treffpunkt aufmüpfiger Jugendlicher, gehört ebenso dazu wie ein Verein, der „erlebnisintensive Outdoor-Sportarten“ für Gruppen anbietet. In der Bilanz wird das JUZ Bockenheim in der Varrentrappstraße, das seit Häuserkampfzeiten beharrlich seine Autonomie bewahrte, zum positiven Kostenfaktor „mit unkonventionellen Formen des berechtigten Protests“, was seine finanziellen Vorteile hat: „Der Verein beansprucht allerdings keine hauptamtlichen MitarbeiterInnen und vertritt konsequent die (ehrenamtliche) Selbstorganisation seiner Arbeit“, heißt es in einer Bilanz für 1992.

Die Diplompädagogin Margitta Kunert-Zier und der Lehrer Peter Strohm vom „Zusammenschluß“ e.V. üben sich in moderaten Tönen. Die „ziemlich wüste Öffentlichkeitsarbeit“ der letzten Monate wollen sie nicht als Indiz für querulantisches Gejammere gewertet wissen: „Andere sind von den Kürzungen auch hart betroffen.“ Aber die beiden warnen davor, am falschen Ende zu sparen, nämlich bei den kleineren Kinder- und Jugendinitiativen, die eigentlich doch recht „kostengünstig“ für die Kommunen, nämlich „20 Prozent billiger sind“.

Die Klientel des „Zusammenschluß“ entstand mit ihren Projekten „aus der 68er Bewegung heraus“. „Wir sind“, sagt Dagmar Thiel, „das Improvisieren gewöhnt.“ Sie arbeitet im Kinderhaus im Arbeiterstadtteil Nied im „vernachlässigten Frankfurter Westen“. Ins Kinderhaus, offen für Kinder von sechs bis vierzehn Jahren, kommen auch Kleinkinder, die von ihren Geschwistern mitgebracht werden, und junge Erwachsene. Die SozialarbeiterInnen beraten Jugendliche bei Behördengängen, versuchen, Konflikte in den Familien zu lösen. Im Büro des Kinderhauses herrscht reges Kommen und Gehen. Die Kinder und Jugendlichen haben sich ihre eigenen Gedanken über die Zeiten leerer öffentlicher Kassen gemacht. Sie verteilten ein Flugblatt, dessen Bitterkeit nicht zu überhören ist: „Wir haben keine Angst, daß unser Hallenbad schließt – wir haben keins.“ Eben: Und auch kein Kino, kein Jugendhaus, keine Bücherei, kein Café, keine weiterbildende Schule, keine Lehrstellen, sondern nur „die Straße“ und „die Schnauze voll“.

Das Kinderhaus ist ihnen Hilfe in der Not und Kristallisationspunkt. „Das einzige, was wir hier sonst noch haben“, sagt Özal, „ist Frust und Zoff mit der Polizei.“ Mit einem Jugendhaus, meint er, würde das alles anders werden, na ja, wenn nicht alles, „dann doch schon viel, mindestens 70 Prozent“. Metin erklärt: „Wir haben Langeweile. Alles kostet Geld. Im Jugendhaus könnten wir zusammen etwas unternehmen ohne Geld!“ Vorerst hoffen sie, wenigstens den englischen Doppeldeckerbus, den sie selbst ausgebaut haben, aufstellen und als Zentrum nutzen zu können.

Dagmar Thiel lebt seit 20 Jahren im Stadtteil. Die einstige Idylle wuchs sich immer mehr zum sozialen Brennpunkt aus, Menschen kamen, die Infrastruktur nicht: „Eine gruselige Entwicklung. Die zweite Generation der Kinder und Jugendlichen mit ausländischem Paß ist noch schlechter dran als die erste.“ Das Geld, das jetzt ohnehin nicht mehr da sei, sei schon immer „in einem großen Bogen um diesen Stadtteil herumgeflossen“. Seit Mitte der 70er Jahre kämpfte sie zusammen mit Eltern und Sozialarbeitern für das Kinderhaus. 1989 zogen sie aus dem Keller des Bürgerhauses in den Neubau. Für das Jahr 1994 ist die Finanzierung gesichert – dank der Flexibilität der MitarbeiterInnen. Sie waren bereit, selbst zu sparen, und machten der Stadt ein realistisches, kein taktisches Angebot. Thiel: „Das war vielleicht ein Fehler.“ Zufrieden sind sie allerdings damit, daß sie, zusammen mit den sozialen Einrichtungen der Kirchen, eine neue Stelle erstritten haben, die untereinander aufgeteilt wird. Auch der Öko-Garten ist gerettet. Nachdem das alte Grundstück gekündigt worden war, erwarben sie mit Spenden „von ganz klein bis groß“ ein neues Gelände. Das Angebot im Kinderhaus ist trotz Mangelverwaltung überwältigend vielfältig. Wenn sie ihre Arbeitsstunden zusammenzählt, überkommt Dagmar manchmal das schlechte Gewissen von einer ganz anderen Seite her: „Das sind hier eigentlich keine gewerkschaftlichen Bedingungen.“

An der Hauptverkehrsstraße, zwischen protzigen Neubauten, steht ein einstöckiges, flaches Haus. Hier gründeten Anwohner 1978 ein Jugendzentrum für den „sozialen Brennpunkt“ Biersteiner Straße. Uwe Most und Günther Hinz sind zwei gestandene sozialarbeiterische Mannsbilder. Sie neigen wohl deshalb ein wenig mehr zum Klagen als ihre Kollegin aus Nied. Aber auch sie sind „das Improvisieren“ gewöhnt: „Zu CDU-Zeiten hatten wir immer wenig Geld.“ Dann war es gerade zwei Jahre lang „etwas besser“, seit 1991 ist die Lage wieder prekär: „Zwischendurch hatten wir sogar mal 20.000 Miese auf der Bank. Das Inventar fehlt, ist kaputt und überaltert.“ Zahlreiche Einbrüche in den Computer- und Musikkeller kosteten Geld für Sicherheitsmaßnahmen. Einen Zuwachs der Einzelfallbetreuung verzeichnen sie nicht: „Das war hier schon immer nötig.“ Straßenbanden gibt es nicht. „Die sind“, vermutet Uwe Most, „am mangelnden Organisationstalent gescheitert.“ Auch die Drogenkriminalität ist gering, dafür sind aber Diebstähle und Prügeleien häufig. Der 16jährige Ibrahim beschwert sich pauschal: „Die Welt ist voller Ungerechtigkeit!“ Er möchte die Computer wieder abschaffen. Das scheint ihm einfacher, als den Schulabschluß in Angriff zu nehmen.

Selbstverwaltung der Jugendlichen gibt es hier nicht mehr: „Das ist immer mehr abgebröckelt.“ Die deutschen Jugendlichen blieben weg, weil ihnen das Zentrum „nicht genug gestylt“ war, die nachgerückten Kinder ausländischer Eltern „wollen eher unterhalten werden“. Uwe Most versucht sich in prognostischem Optimismus: „Ich glaube, der Wunsch nach Eigeninitiative und der Bedarf an Zentren wird wieder größer werden.“

Die Jugendarbeit, sagen Kunert-Zier und Strohm, habe sich in den letzten Jahren grundlegend gewandelt. Sie brauche „stabile Leute, die einiges vertragen können“: „Existenzangst ist dabei nicht förderlich.“ Immer mehr Einzelhilfe für Kinder und Jugendliche sei nötig, psychische Störungen müßten früh erkannt, Konflikte vorausgesehen und entschärft werden. Bikulturelle Spannungen und Gewaltbereitschaft in einer aggressiven Gesellschaft haben zugenommen. Was zum Beispiel ist zu tun, wenn die Jugendlichen im Zentrum sich isolieren, nur noch in der Sprache ihres oder des Herkunftslandes der Eltern reden und immer „motziger“ werden? Die MitarbeiterInnen brauchen selbst Fortbildung und Beratung: „Sonst fühlen sie sich abqualifiziert und mit den neuen Anforderungen allein gelassen.“ Die Kürzungen im Sozialbereich würden von ihnen oft als „Mißachtung ihrer Arbeit“ empfunden.

Generell, stellen die SozialarbeiterInnen fest, „setzt die Jugend früher ein, und die Jugendlichen werden später erwachsen“. Als neue Problemgruppe machen sie die „Lückenkinder“ aus. Kunert- Zier: „Die passen in kein Programm. Mit 11 bis 13 Jahren sind die JuJus, die jungen Jugendlichen, entweder zu jung oder zu alt.“ Strohm: „Wenn man die allein läßt, schwirren die durch den Stadtteil.“ Städtische Konzepte lassen wegen zu langer Planungsphasen oft „ganze Generationen“ von Jugendlichen allein. Enttäuschung wandelt sich in Randale. Sie wollen, betont „Zusammenschluß“, „die großen Träger nicht ausspielen“, „aber wir sind klein, flexibel und unbürokratisch“. Oft nütze eben ein schnell aufgestellter Bauwagen mehr als ein langfristig geplanter Neubau.

Und noch etwas hat sich geändert. „Kinder in Frankfurt“, sagt Strohm, „sind überwiegend arme Kinder“. Die kinderlosen Paare nehmen zu, Besserverdienende mit Kindern verlassen die Stadt: „Die Kinder hier haben ein Gefühl des Mangels, orientieren sich dabei am Reichtum, der nur wenige Meter entfernt ist.“ Der neue Trend zur Erlebnispädagogik helfe allein nicht weiter. Sie setzen auf „alte Sichtweisen“, „ganzheitliche Erziehung zu Konfliktfähigkeit und Menschlichkeit“. Der Umgang der Menschen miteinander, die Kenntnis ihrer verschiedenen kulturellen Hintergründe müsse eigentlich in Schulen und Universitäten gelehrt werden. Sozialpädagogen hätten, meint Kunert-Zier „ein unklares Berufsbild mit dem Beigeschmack schlechter Qualifikation, so halbakademisch“.

Der „Zusammenschluß“ machte sich nach der Prognose, daß alles nur noch schlechter werden kann, daran, neue Geldquellen zu erschließen. Das Wissen über die Erlangung von Spenden, Stiftungsgeldern und EG-Mitteln sei, stellte Strohm fest, „völlig unterbelichtet“. Und knallt den SozialarbeiterInnen die Begriffe aus der harten Welt des Geldes nur so um die Ohren: fundraising, corporate identity, marketing, sponsoring. Die neuen Wege der Geldbeschaffung sind hart und steinig. 90 Prozent der Firmen, die um Spenden oder Sponsoring gebeten werden, winken ab. Das liege, vermutet der „Zusammenschluß“, oft auch daran, daß Projektideen und anvisierte Partnerschaften nicht zusammenpassen. Manchmal hätten die MitarbeiterInnen auch „einfach Berührungsängste“. Hier sollen Seminare Abhilfe schaffen. Ende 1992 entdeckten sie noch 250.000 Mark „Restmittel“ im Stadtsäckel des Jugendamtes, 40.000 Mark für ein ökologisches Mädchenprojekt kamen aus dem Bonner Bundesjugendplan. Außerdem sollen die MitarbeiterInnen freier Kinder- und Jugendeinrichtungen auch lernen, an sich zu denken. Der „Zusammenschluß“ gibt Informationen über die verschlungenen Pfade des BAT, der Renten- und Zusatzversicherungen.

Zum Arbeitsfeld „Geschlechterspezifische Pädagogik“ kommentiert der „Zusammenschluß“ mit einer gewissen Zufriedenheit: „Unser Anliegen ist gebührend wahrgenommen worden.“ Eine türkische Supervisorin bereitet die SozialarbeiterInnen auf Probleme vor, Kurse informieren über den kulturellen und religiösen Hintergrund ausländischer Familien. Die „hochmotivierten“ Teilnehmerinnen trugen die Hälfte der Kosten dafür selber. So viel Selbstlosigkeit braucht als Korrektiv einen Kurs: „Wir für uns gegen den Alltagsstreß“.

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