: Mit Engeln auf Erden
■ Kampnagel: Das Teatr Kreatur mit „Das Stück vom Paradies“
Das Schicksal hätte ihn härter nicht treffen können: Schmuel muß Mensch werden. Durch einen harten Schlag auf die Nase, der ihn das Paradies vergessen lassen soll, wird der kleine Engel auf die Erde katapultiert. Und - zack! - ist er hier, uns Unwissenden zu erzählen, was da oben so los ist.
Das Stück vom Paradies beginnt mit einem Prolog im Himmel, den Regisseur Andrej Woron auf der Leinwand zeigt. In bester expressionistischer Stummfilmtradition werden uns seine Figuren vorgestellt: Es sind wie immer beim Teatr Kreatur, die Leidenden und Getretenen dieser Welt, da scheinen sich Himmel und Erde nichts zu nehmen. Mit dem Verschwinden der Leinwand von der Bühne finden dieselben Figuren dann Worte, doch die Sprache des Berliner Theaters bleiben Bilder.
Es ist die große Kunst Worons, der neben der Regie auch die Ausstattung leitet, auf leerer Bühne nur mit Menschenmaterial Landschaften zu zeichnen. Sein armes Theater beschwört verlorene Welten, mit emphatischer Nostalgie entführt er in das Leben des fahrenden Volkes, der Marktschreier, der Zirkusmusik. Somnambule Gestalten in Lumpen erzählen und singen mit großen Augen ihr Schicksal - daß die Geschichte nicht in Semtimentalität ersäuft, ist allein den grotesken Momenten zu verdanken, die der polnische Regisseur nicht nur in seine Inszenierungen einbaut, sondern als Grundstimmung unterlegt. Jede Sequenz ist ein pathetisches, doch skuriles Gemälde für sich.
Das Hamburger Publikum konnte dies schon 1990 bewundern, als das Teatr Kreatur Die Zimtläden beim Internationalen Sommertheater Festival zeigte. Das Stück vom Paradies ist atmosphärisch leider nicht so dicht wie die vorangegangenen drei Produktionen des Ensembles. Die Folge der 14 Bilder fällt etwas auseinander, die Bühne wirkt zu groß und statt des Skurilen wird eine Volkstümlichkeit betont. Überwältigend hingegen ist erneut die Ausstattung: Worons urzeitliche Flugmaschinen sind himmlischer als alle Engelsflügel dieser Welt.
Christiane Kühl
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen