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Kleine Klauer in der City

■ Libanesische Kinder-“Gangs“ machen Wirbel in der Stadt - bislang kümmert sich allerdings nur die Kripo um sie/ Kriminalität in Bremen, Teil 11

Achmed ist ein kleiner Pummel, grad mal fünfzehn Jahre alt. Die meisten Leute finden ihn „niedlich“. Bis er ihnen bei Gelegenheit einmal die Vorderzähne ausschlägt. Achmed klaut nämlich, rund siebzig mal ist er dabei schon erwischt worden. Und wer ihn festhält, muß mit einem Kopfstoß gegen den Kiefer rechnen. Achmed trifft sich nachmittags mit rund 30 anderen Jungs beim Brunnen an der Ecke Obernstraße/Pieperstraße. Dann gehen sie „spazieren“.

In Grüppchen suchen die Kinder und Jugendlichen Kioske und Boutiquen auf, die nur von einer einzigen Verkäuferin bewacht werden. Einer gibt vor, sich für eine Ware in der entlegensten Ladenecke oder im Schaufenster zu interessieren und beschäftigt damit die Verkäuferin, der andere räumt währenddessen die Ladenkasse aus. Bleibt aber die Verkäuferin unbeirrt bei der Kasse stehen, wird schon mal ein Zeitungsständer angezündet. „Trickdiebstahl“ nennt die Polizei das.

Die überfallenen VerkäuferInnen kommen meist nicht mit dem Schreck davon, oft müssen sie dem Ladenbesitzer den Schaden aus eigener Tasche bezahlen. Eine Süßwarenverkäuferin, die immer wieder bedroht wurde, hat mittlerweile ihren Job gekündigt.

Mit dem geraubten Geld schmeißen die Jungs bei McDonalds ein Essen für alle, fahren mit der Taxe bis ins niedersächsische Umland, kaufen sich eine 280-Mark-teure „Raiders“-Jacke oder eine Mütze mit dem Emblem der Basketballmeister Chicago-Bulls. Für die deutsche Freundin - ein Statussymbol - geht natürlich auch Geld drauf. Ob die Jungs auch den Eltern Geld geben, vermutet die Polizei nur.

Achmed ist 1989 mit seinen Eltern aus dem Libanon nach Bremen gekommen. Er ist kurdischer Abstammung. Die meisten Asylanträge dieser Flüchtlingsgruppe wurden abgelehnt, die Flüchtlinge jedoch geduldet. Seit 1989 sind immer wieder libanesische Kinder und Jugendliche wegen Ladendiebstahl und Trickdiebstahl angezeigt worden. Zunächst stromerten sie nur durch das Steintor und durch das Ostertorviertel, heute durch die ganze Stadt.

Die Verfahren werden fast immer eingestellt. Oft sind die Kids unter 14 Jahre alt, also strafunmündig. Außerdem wird ohnehin bei Bagatelldelikten wie Ladendiebstahl oder Schwarzfahren bei Erst- und auch noch bei Zweittätern üblicherweise eingestellt. Völlig zu Recht, sagen Jugendgerichtshelfer, denn der geringste justitielle Eingriff sei immer noch der beste.

Der Kripobeamte:

Einer kennt sie alle: der Kripobeamte Oswald Herzog. Und er mag seine Pappenheimer, besonders auch den offenherzigen Achmed, den er allerdings für ziemlich geltungssüchtig hält. „Ich bin so eine Art Ersatz-Pappi für die. Die kommen ganz gern zu mir, ich tu denen ja auch nichts. die legen hier die Füße auf den Tisch, lesen in den Akten - nur klauen dürfen sie nicht“, sagt Herzog, den die Jungs nur „Du, Herzog“ nennen. Herzog fragt sie nach den einzelnen Straftaten, die sie zum Teil zugeben, manche auch nicht, dann klappt er die Akte zu, und dann wird ein bißchen geplaudert.

„Eigentlich müßte man die hauteng führen, sonst laufen die Ihnen aus dem Ruder“ - aber er allein könne das gar nicht leisten. Grad daß er sie mal ein bißchen an ihre Zukunft erinnert und ihnen einbläut, daß irgendwann der Knast droht. Weil er sich so alleingelassen fühlt, hat er schon mal eine Beschwerde an die Jugendbehörde losgelassen. „Aber hier machen doch alle Beteiligten einen großen Bogen um diese Jungs“.

Trotz aller Zuneigung: „Denen gehört mal ein empfindlicher Schuß vor den Bug gesetzt, findet Herzog, sonst halte doch rein gar nichts die Jugendlichen vom Klauen ab. Verwarnungen wären ihnen völlig egal, Bußgelder könnten sie sich zusammenklauen. Zwar weiß auch er, daß oberstes Gebot bei Jugendlichen die Haftvermeidung ist, „aber das sind doch keine normalen Jugendlichen“. Außerdem seien immer wieder andere Jugendrichter mit den einzelnen Delikten befaßt, hätten nie die Gesamtzahl der Delikte vor Augen und würden deshalb auch keinen Haftbefehl aussprechen.

Der junge Dieb:

Eine Woche lang ist Achmed nun schon nicht in die Stadt zum Treff gegangen, erzählt er: Die Nacht auf dem Buxtehuder Polizeirevier, nachdem er das Waffengeschäft überfallen hatte, die hat ihm gereicht. Er verbrachte sie mit Handschellen an einen Bürostuhl gekettet. Und der Vater habe ihn halb tot geschlagen anschließend. Dann hat ihn auch die Mutter noch geohrgfeigt. Weinen tut er aber erst hinterher.

Eigentlich würde er ja auch gern zur Schule gehen. Aber bisher hat ihn noch jede rausgeschmissen, weil er halt doch immer sein Tränengasspray gezückt und LehrerInnen bedroht hat, wenn ihn was ärgerte. Automechaniker würde Achmed gern werden, er bastelt gern, grad erst hat er das Radio zuhause heil gemacht. Aber eine Lehrerin hat ihm mal gesagt: „Du kannst doch noch nicht mal Toilettentieftaucher werden.“

Zwanzig Mark Taschengeld kriegt er pro Woche. Das reicht eigentlich, findet Achmed. „Aber dann kommt mir immer wieder der Teufel in den Kopf“. Wie zwei Stimmen sei das. Dabei hat er im Ramadan nicht klauen wollen.

Die Jugendpfleger:

„Das Thema ist doch in der Öffentlichkeit hochgekocht - denn Kinder- und Jugendbanden hat es immer gegeben“, sagt Bernd Krause, Sachgebietsleiter Jugend im Sozialressort. In Gröpelingen gab es mal eine Clique, „die für jede Schandtat zu haben war“, dann die „african boys“ in Tenever ... Überhaupt sei eine vorübergehende Kriminalität bei männlichen Jugendlichen normal, sind sich die Jugendfachleute im Sozialressort einig. Und die Kids in der Innenstadt, die klauend auch schon in manchem Freizi aufgefallen seien, diese Kids als professionelle, kriminelle „Bande“ zu bezeichnen, sei völlig übertrieben. Das sei doch eher eine lose Jugendclique, die öfter mal „Scheiß baut“.

Und eigentlich kümmere man sich von seiten der Behörde aus durchaus um libanesische Kinder: Schon kurz nach dem Einzug der ersten libanesischen Flüchtlinge in die Unterkünfte in der St.Jürgen- Straße und der Schmidt-Straße zum Beispiel habe man dort Gruppenangebote gemacht, auch Schularbeitenbetreuung, Ausflüge ... Sogar mit heimatsprachlichen Honorkarkräften.

Aber damit sei man ja schon beim Problem: Es gibt kaum heimatsprachliche ausgebildete SozialarbeiterInnen, und wenn, dann fehlt das Geld, sie zu bezahlen. Gerhard-Ludwig Warrelmann etwa, vom Ambulanten Sozialdienst Mitte-West, hat nur 6.000 Mark für die Gruppenarbeit mit ausländischen Jugendlichen, und die hat er in Gröpelinger Schulen eingesetzt.

Größtes Hindernis allerdings: Der sogenannte Paragraph 6 im Kinder- und Jugendhilfegesetz. Der verbiete die Einzelfallbetreuung, wenn eine asylsuchende Familie nicht anerkannt wurde. Und die meisten libanesischen Familien haben diesen Status nicht. Unmöglich wird dann die Jugendwohngruppe, ebenso die Honorarkraft, die in die Familie geht und dort jede Woche 15 Stunden hilft, berät, erzieht. Und auch die Sozialen Trainingskurse für junge Straffällige fallen flach.

Gestern übrigens ist Achmed verhaftet worden. Im Polizeibericht heißt es dazu lapidar: „Er wurde in den Vormittagsstunden festgenommen und die im Dezember ausgesprochene Verurteilung zu Jugendarrest in Rücksprache mit dem zuständigen Jugendrichter sofort in Vollzug gesetzt. Nun müssen die noch offenen Strafverfahren zum Abschluß, das heißt wohl: zur Verurteilung gebracht werden.“

Christine Holch

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