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„Los Mädel, schlag zu!“

■ Mädchen üben bei Polizei Selbstverteidigung / Wendo-Trainerin schaut zu

“Das Manko bei der Frau ist, daß sie sich nicht wehren mag. Die steht wie die Maus vor der Schlange“, sagt Polizeitrainer Rainer Fischer. Diese Scheu wollte er diese Woche zusammen mit einer Polizeibeamtin Schülerinnen abtrainieren. Und nach einigen Fang- und Raufspielen werfen sich die Mädchen ohne großes Zögern zu Boden, strampeln, treten, ziehen und zerren. „Immer in den Unterleib treten! Und vergeßt das Schreien nicht“, schreit der Trainer. Aber mit dem Schreien bei den Mädels will es noch nicht so recht klappen.

Erstmals hat die Bereitschaftspolizei auf Bitte des Schulzentrums Obervieland im Rahmen einer Projektwoche einen Selbstverteidigungskurs für Mädchen angeboten - 60 wollten, doch nur 16 konnten teilnehmen. Die Polizei sah's mit Freude - man hofft, auf diese Weise Mädchen für den Polizeiberuf zu interessieren.

Zum Abschluß des Kurses sollen die Mädchen ihr Können an dem Trainer ausprobieren. Sie dürften ruhig zutreten, sagt der, „hier unten bin ich geschützt“. Und schon steht er vor einer zarten Siebzehnjährigen. „Kommst du mal?“ - „Nein“, sagt die und drückt sich gegen die Wand. Doch ihr „Nein“ gilt nicht. Der Trainer stürzt sich auf das Mädchen, die strampelt und haut, kommt endlich hochrot frei. Die WenDo-Trainerin, die auf taz-Anfrage auch zuguckt, wendet sich mit Grausen.

Den Mädchen hat der Kurs gefallen: „Jetzt glaube ich, daß ich vielleicht doch eine Chance hätte“, sagt Zerrin (17). Und Sandra (16) denkt auch nicht mehr automatisch: „Der ist eh stärker als ich.“ Komplizierte Techniken haben sie nicht gelernt, nur gezieltes Treten, den Handballenstoß gegen's Kinn und für den äußersten Notfall die „Augenkralle“. Statistiken haben gezeigt, erzählt Fischer, daß Frauen, die sich wehren, egal wie, immer davonkommen. Der Täter sei völlig überrascht von der Gegenwehr.

In seiner Statistik steht aber auch, daß vor allem Bekannte und Verwandte die Täter sind und Tatorte oft Wohnungen. Das hat er den Schülerinnen auch vorgelesen. Dennoch übt Trainer Fischer plötzliche Überfälle von hinten - „als wenn die Täter vom Baum auf die Frau drauffielen“, sagt WenDo- Trainerin Wilma . Und auch die Schülerinnen, so zeigt sich im Abschlußgespräch, stellen sich als Täter doch wieder vor allem den Fremden vor, der sie in der dunklen Unterführung in Kattenturm überfällt oder beim Trampen. Die Lehrerin Rosemarie Woltermann erklärt sich das so, daß die Mädchen eben eher Fremde als gefährlich erfahren haben.

Unsinn, findet die WenDo-Trainerin Wilma Pannen, man muß die Mädchen einfach nicht nur nach Überfällen fragen. Sondern zum Beispiel danach, wann sie was über sich haben ergehen lassen, obwohl sie's nicht schön fanden. Da sprudeln ihre Kursteilnehmerinnen nur so. „Alles, was ich nicht schön finde, darf ich blockieren - auch wenn der Junge zum Beispiel sagt, ,aber das ist doch nur Spaß'“, sagt Wilma Pannen den Mädchen. In ihren Kursen definiert nicht der Polizeitrainer, was ein Übergriff ist, sondern das einzelne Mädchen selbst: „Da kann es durchaus sein, daß die eine sich ärgert, wenn ihr ein Bauarbeiter hinterherpfeift, die andere das aber nett findet, weil sie sich an dem Tag grad für so häßlich hält.“

Problematisch findet die WenDo-Trainerin an dem Polizeikurs aber auch, daß das Angstbild dort stark vom Fernsehen geprägt sei: „Daß nämlich alles sehr schnell geht, und daß alles zu spät sein kann, wenn ich mich nicht sofort wehre.“ Die meisten Situationen liefen jedoch ganz anders ab - wenn zum Beispiel der Zahnarzt die Tür abschließt. Aber auch wenn das Mädchen zu Boden gerissen worden sein sollte - ausgezogen ist es dann noch lange nicht. „Wenn ich dann sofort reagiere, kann es sein, daß ich mich in Panik auspowere und doch nichts erreiche.“ Die WenDo- Trainerin rät den Mädchen dagegen: Nach dem schreckhaften Luftanhalten erst mal ausatmen und ruhig einatmen, damit das Hirn wieder Sauerstoff kriegt. Mit ein bißchen Überlegung läßt sich dann auch eine Situation meistern, die der Polizeitrainer für gänzlich aussichtslos hält: Ein Mädchen allein gegenüber einer Jungsclique. Und einer sagt zum anderen: “Ei die Alte da drüben, schaffst du die?“ Warum da nicht die Jungs spalten und zu dem aufgeforderten Angreifer sagen: „Läßt du dir das etwa von dem vorschreiben?“ Christine Holch

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