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Nicht ohne meinen Fawzi

■ Ägyptischer Film zwischen Musalsalat im Fernsehen und Zensur im Kino

Fawziya, Bankangestellte in Kairo, Hausfrau und Mutter eines Kleinkindes, ist verärgert: Im Betrieb werden ihre männlichen Kollegen stets zuerst befördert. Und ihr Ehegatte, Journalist von Beruf (Intellektuellenschelte!), hat angeblich zwei linke Hände beim Kochen, Putzen, Babywickeln und so weiter. Eines schönen Tages hat Fawziya genug: Auf dem Operationstisch wird aus der schönen Fawziya ein smarter Fawzi. Der Ehemann tobt, die Arbeitskolleginnen sind hell entzückt, doch die Begeisterung währt nur kurz: Der softe Fawzi entwickelt sich alsbald zum handfesten ägyptischen Macho.

Wie der Film „Meine Herren Männer“ (Regie: Ra'afat Al-Mihi) ausgeht, wird hier natürlich noch nicht verraten, und leider wird man diesen ägyptischen Kinokassenschlager von 1988 hierzulande auch nicht so bald sehen können. Denn obwohl ägyptische Filme auf Festivals sich meistens großer Beliebtheit erfreuen, bleiben sie mangels Untertitel und Synchronisation dem deutschsprachigen Publikum leider im allgemeinen verschlossen.

Ägypten? Das ist doch das Land mit den Pyramiden und Pharaonen, exotischen Früchtebechern, Tausendundeiner Nacht. Neuerdings gesellt sich zu diesem Potpourri auch der heilige Terror islamistischer Untergrundkommandos. Welche Fernsehserie die Ägypter gerade begeistert, worüber man dort im Kino gerne lacht, darüber erfährt man hierzulande nur wenig.

Dabei sind die Anfänge der ägyptischen und der deutschen Filmindustrie auf überraschende Weise miteinander verknüpft: Der erste ägyptische Profiregisseur und „Vater“ des realistischen Films am Nil, Mohammed Bayyoumi, reiste 1919 nach Berlin, um bei der Ufa das Filmhandwerk zu erlernen. Über 2.500 Filme und Fernsehserien hat die ägyptische Filmindustrie in den letzten 65 Jahren produziert. Damit liegt die Traumfabrik am Nil nach den USA und Indien weltweit an dritter Stelle. Ägyptische Filme und die beliebten musalsalat, Straßenfeger-Familienserien im Stil der „Lindenstraße“, werden in sämtliche arabische Länder exportiert und prägen den Alltag von rund 220 Millionen Menschen vom Atlantik bis zum Golf.

Wie in Europa, befindet sich auch in Ägypten die Kinoindustrie in der Krise. Durch die rasche Verbreitung von Videorecordern und Statellitenschüsseln ist die Zahl der Kinosäle in Ägypten von 450 auf 140 gesunken. Das Budget für einen ägyptischen Durchschnittsfilm liegt umgerechnet bei 300.000 Mark, ein Bruchteil im Vergleich mit Europa und den USA. In den letzten Jahren haben die reichen arabischen Golfstaaten, vor allem Saudi-Arabien, mit ihrer Prüderie und ihren zahllosen Tabus an Einfluß gewonnen. Aber auch in Ägypten selbst wird jeder Film bis zu viermal zensiert. Fernsehen und Kino gelten bei einer Analphabetenrate von 60 Prozent als besonders massenwirksam.

In ihren Anfängen war die ägyptische Filmindustrie vor allem auf Kommerz ausgerichtet. Melodramen, Komödien und Musikfilme stillten in den zwanziger Jahren die Sehnsüchte der Mittelschichtsbürger von Alexandria und Kairo. Aber schon früh entstanden auch einzelne sozialkritische Filme, wie die Komödie „Barsum sucht eine Arbeit“ von Mohammed Bayyoumi aus dem Jahre 1923, die von der Arbeitssuche eines Bauern in der Stadt handelt. In den vierziger Jahren setzten sich die realistischen Filme durch. Sie wurden neben den Musikfilmen zum ägyptischen Genre schlechthin und waren oft an Romanvorlagen orientiert, zum Beispiel von Naguib Mahfouz. „Nur selten hat das ägyptische Filmschaffen subjektive Erlebnisse, seelische Entwicklungen oder individuelle Erfahrungen zu seinen Themen gemacht“, schreibt Kristina Bergmann, die das bislang umfassendste Buch zum Thema „Ägyptischer Film“ geschrieben hat. Sie hält die engagierten Filme, die die Sorgen der einfachen Leute beschreiben oder versuchen, Geschichte und gesellschaftliche Entwicklungen zu bewältigen, für das eigentlich Sehenswerte im ägyptischen Filmschaffen.

Westliche Zuschauer wird überraschen, daß die Themen Islam und Fundamentalismus weder im ägyptischen Kino noch im Fernsehen nennenswerten Niederschlag finden. Die ägyptischen Filme der Gegenwart sind statt dessen oft ausgesprochen witzig und unterhaltsam. Wenn es ernst wird, sind die Themen bestens bekannt: Politikverdrossenheit, Drogen, organisiertes Verbrechen, Gewalt gegen Frauen, Großstadtkoller kommen dem westlichen Betrachter überraschend bekannt vor. Mit ihrem Buch „Filmkultur und Filmindustrie in Ägypten“ öffnet die Korrespondentin der Neuen Zürcher Zeitung in Kairo dem deutschsprachigen Publikum zum ersten Mal eine Tür zum wichtigsten Bereich arabischer Alltagskultur der Gegenwart, jenseits von Propheten und Pharaonen. Detaillierte Inhaltsangaben, eine Chronologie der politischen Ereignisse und vor allem das Verzeichnis ägyptischer Filmschaffender im Anhang machen das unterhaltsame Buch nebenbei auch zu einer praktischen Arbeitshilfe. Martina Sabra

Kristina Bergmann: Filmkultur und Filmindustrie in Ägypten. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, Herbst 1993. Paperback, 304 Seiten, 59 DM

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