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Mord im Wildpark im Schutz der Nacht

Dumm und riesengroß: Wilderer haben leichtes Spiel mit den vom Aussterben bedrohten Nashörnern  ■ Aus Umfolozi Willi Germund

Felsengleich ragen die graubraunen Rücken der Zweitonner über das hüfthohe Gras. Mit hohem Piepsen, einem Laut, der angesichts der massigen Körper völlig fehl am Platz scheint, warnt eine Kuh die anderen fünf Nashörner vor dem Wagen von Ranger Wayne Whitfield. Nervös spielen die gewaltigen Tiere mit den Ohren. Eine schlachterprobte Kuh – ihr fehlt ein Ohr – schwenkt nervös den fünfzig Kilo schweren Kopf mit dem fast einen Meter langen spitzen Horn hin und her.

„Das ist jetzt die Tageszeit, in der die Wilderer zuschlagen“, sagt Wayne und hört mit einem Ohr dem Gewisper seiner Mitarbeiter zu, die über Sprechfunk miteinander reden. Zwischen einigen dicken Regenwolken sinkt die Sonne langsam hinter den Horizont. In Sichtweite, nur ein paar hundert Meter entfernt, läuft in einer schnurgeraden Linie der elektrisch geladene Wildzaun entlang, der den „Umfolozi-Naturpark“ in Südafrikas Provinz Natal absperrt.

In wenigen Minuten wird die Dunkelheit hereinbrechen. Der Vorteil für Wilderer: sie können sich im Schutz der Nacht mit ihrer Beute davonmachen, mögliche Verfolger müssen bis zum nächsten Morgen warten, um ihren Spuren zu folgen. Und dann ist es meist schon zu spät. „Die Wilderer agieren in Gruppen von vier Leuten“, erklärt Wayne, „zwei sitzen auf einem hohen Hügel wie dem dort drüben, zwei schleichen sich an und schießen. Wenn wir auftauchen, werden sie von ihren Kollegen gewarnt.“

Wildhüter Wayne fügt hinzu: „Es ist einfach, ein weißes Rhinozeros zu schießen. Die Tiere sind dumm.“ Wie zum Beweis hebt eines der Nashörner in zwanzig Meter Entfernung den Kopf, wittert kurz und wendet sich dann trotz der lauten Stimmen in aller Seelenruhe wieder dem feuchten und saftigen Gras zu. Doch nicht die „weißen Rhinos“ sind vom Aussterben bedroht, sondern ihre agileren und aggressiveren Artgenossen, die „schwarzen Nashörner“.

Sie unterscheiden sich nicht in der Farbe, sondern in der Größe. Die „Weißen“ leben ausschließlich von Gras, besitzen ein rechteckiges Maul und werden bis zu zweieinhalb Tonnen schwer. Die „Schwarzen“ bringen es „nur“ auf eineinhalb Tonnen, leben vor allem von Blättern und Geäst und sind zwar ebenfalls fast blind, aber weitaus aufmerksamer, beweglicher und aggressiver.

65.000 schwarze Rhinos gab es noch 1970 in Afrika, 1980 war der Bestand auf 14.000 dezimiert. In Simbabwe, wo Wildhüter Anfang 1993 1.400 Tiere gezählt hatten, gibt es jetzt noch ganze 100. In Botswana wurden vergangenes Jahr die letzten drei Rhinos eingefangen – eines war vorher schon von Wilderern verletzt worden und starb in der Gefangenschaft.

Mangel an Nachfrage kennen die Wilderer nicht. Auf der arabischen Halbinsel, besonders im Jemen, sind Rhino-Hörner als Dolchgriffe begehrt. In Fernost träumen Männer davon, mit dem pulverisierten Horn ihrer erschlafften Manneskraft auf die Sprünge helfen zu können. Doch sie leiden derzeit unter einem mangelnden Angebot. Denn Afrikas Wilderer haben nicht nur zur letzten Offensive gegen die Tiere mit einer Ahnengeschichte von 35 Millionen Jahren geblasen. Ihre Hintermänner behandeln die Hörner nun auch als „Investitionsgut“, um großes Geld zu machen.

Wayne Whitfield: „Die sind überzeugt, daß Nashörner ausgerottet werden. Deshalb halten sie ihre Beute zurück. Denn später, davon gehen sie aus, werden die Preise explodieren.“ Damit sie nicht zu lange warten müssen, haben sie ihre Handlanger angewiesen, jedes Nashorn zu erlegen, das sie aufspüren.

Kein Wunder, daß alle bisherigen Versuche, die Wilderer zu stoppen, scheiterten. In Simbabwes Zambesi-Tal an der Grenze zu Sambia setzten die Behörden sogar Anti-Guerilla-Einheiten mit nur einem Befehl ein: „Shoot to kill“ – ein Wilderer, der sich auf Anruf nicht ergibt, soll erschossen werden. Die Folge: regelrechte Gefechte im Busch. Aber das hielt die Wilderer nicht ab. Im Zweifelsfall türmten sie über den Grenzfluß nach Sambia und versteckten sich dort mit Hilfe korrupter Polizisten.

Simbabwes und Namibias Naturschützer verfielen schließlich auf einen neuen Trick. Den Rhinos wurde das Horn abgesägt, der massige Bauch mit riesigen weißen Kennziffern markiert und ein Radiosender am Hals der Tiere befestigt. Doch auch das hätten sie sich sparen können. Die Wilderer geben sich selbst mit dem kleinsten Stummel ab – und wie gesagt, je schneller die Tiere getötet werden, um so schneller sterben sie aus.

Inzwischen wurden Simbabwes überlebende Nashörner sozusagen zum eigenen Schutz in Intensive Protection Zones eingesperrt. Die letzten hundert Nashörner wurden in die streng bewachten Gebiete verfrachtet und grasen nun mit einem Wildhüter als Leibwächter, der rund um die Uhr aufpaßt. Ein teures Unterfangen, dem prompt der Internationale Weltwährungsfonds den Garaus zu machen droht. 300 Ranger mußten im letzten Jahr wegen Einsparungen entlassen werden.

Nun fehlt auch das Geld, um die Schutzzonen weiter zu betreiben. Wüßten die Wilderer, wie es in einigen dieser Gebiete bereits zugeht, sie hätten sich dort längst über die letzten Nashörner hergemacht. In Sinamatella ist ein Wagen nicht zu gebrauchen, weil der Motor sich festgefressen hat. Ein anderes Fahrzeug rumpelt ohne Stoßdämpfer durch die Schutzzone. Für den schnellen Noteinsatz muß ein vorsintflutlicher Laster angeschoben werden.

„Wir reparieren unsere Fahrzeuge längst selbst“, sagt Wayne Whitfield in Umfolozi, „neue Wagen haben wir schon lange nicht mehr gesehen.“ Zwölf weiße und ein schwarzes Nashorn hat der südafrikanische Naturschutzpark bisher an Wilderer verloren. Doch wenn sie in den Nachbarländern erst einmal ausgerottet sind, wird auch die Bedrohung in Natal wachsen. Zu einem Zeitpunkt, da auch die Mittel der südafrikanischen Schutzgebiete immer dünner werden. Nach Südafrikas ersten demokratischen Wahlen am 27. April werden unter einer mehrheitlich schwarz geführten Regierung laut den Erwartungen der Wildhüter die Prioritäten drastisch geändert werden – und für Naturschutz nur wenig Geld übrigbleiben.

Schon in den vergangenen Jahren litt der Park unter Südafrikas Gegensätzen zwischen Schwarz und Weiß. Die Weißen besuchten den Park mit dem Auto, um das Wild zu betrachten. Die Schwarzen sahen den Zaun nur von außen. „Wir haben über Jahre Erziehungsprogramme in der Nachbarschaft gemacht. Aber machen sie einem hungrigen Menschen mal klar, daß er kein Wild töten soll“, sagt Wayne Whitfield.

300 der weltweit noch lebenden 1.500 schwarzen Rhinos gibt es im 50.000 Quadratkilometer großen Umfolozi-Park inmitten von Zululand. Außerdem leben dort 2.000 weiße Nashörner. Ranger Wayne kann eine gehörige Portion Stolz nicht verhehlen: „Ein Viertel aller Nashörner dieser Welt lebt bei uns.“ Während überall sonst die Zahl der Nashörner abnimmt, wächst sie in Umfolozi.

So sehr, daß die Naturparkverwaltung jedes Jahr Tiere fängt und sie dann verkauft oder verschenkt. Der Preis pro Rhino-Bulle: 10.000 Mark. Doch Bernhard Grzimeks wilde Zeiten des Tierfangs sind längst vorbei. Wo sich früher wagemutige Wildhüter mit vorsintflutlichen Betäubungsmitteln auf die Pirsch machten, wo wilde Jagden mit Lastwagen über die Savanne die Tiere nicht nur ermüdeten, sondern unter gefährlichen Streß brachten, wird heute mit allen Tricks der Neuzeit gefangen.

„Das ist eine sehr ausgefeilte Operation“, sagt einer der Wildhüter. Mit einem zweisitzigen Hubschrauber werden die Nashörner erst aufgespürt und dann in die Nähe der Fahrzeuge getrieben. Ein Scharfschütze betäubt das Rhino dann aus dem fliegenden Hubschrauber – mit einer Dosis, die nicht nur schnell wirkt, sondern das Tier auch willfährig macht. Anschließend steigt ein Wildhüter auf die Transportkiste und wedelt mit einem weißen Sack. Das Nashorn folgt ihm willig in die Gefangenschaft.

In der Boma nahe dem Hauptlager für Touristen in Umfolozi folgt dann ein sechswöchiges „Zivilisationsprogramm“. Die Rhinos sollen sich in Ställen mit dicken Stämmen als Absperrung an Menschen gewöhnen, bevor die Reise weitergeht.

Die sechs Nashörner, die nebenan gerade halb betäubt auf einen Sattelschlepper geladen werden, können sich zu den glücklichen zählen. Ihr Bestimmungsort: ein neuer Naturpark. Ursprünglich waren sie mit vierzehn anderen Tieren eingefangen worden, um an Kenia verschenkt zu werden. Der Plan fiel der Politik zum Opfer: Die zwanzig Rhinos werden jetzt erst nach den Wahlen vom 27. April verschickt, damit die Spende aus dem „neuen Südafrika“ kommt.

Andere Nashörner sind nicht so glücklich. Jahr für Jahr finden Versteigerungen statt. Die Käufer: Zoos, Tierparks und private Game Farms, auf denen sie zum Abschuß für zahlungskräftige Kunden freigegeben werden. Rund 3.500 Nashörner sind seit den 60er Jahren auf diese Weise aus dem Umfolozi- Naturpark in alle Welt gereist.

„Auf die Dauer können wir das nicht weitermachen“, argumentiert Wayne Whitfield, „denn wir zahlen drauf. Wir müssen überlegen, ob wir nicht erlauben sollen, zahlungskräftige Kunden in den Parks jagen zu lassen.“ Südafrika ist Mitglied von CITES, der internationalen Artenschutzvereinigung. Eine Bedingung der Mitgliedschaft: In Naturparks darf nicht gejagt werden.

So machen das Geschäft die privaten Game Farms. Die Kunden kommen vorwiegend aus Deutschland und den USA. Da aber der Abschuß des vom Aussterben bedrohten schwarzen Rhino verboten ist, müssen sich die einfliegenden Großwildjäger mit weißen Rhinos zufriedengeben.

In der Boma von Umfolozi stehen bereits zwei Bullen, die es am 25. Februar in der Nähe von Pongola in der Provinz Natal erwischen wird. Zwei einfliegende Jäger werden zwar schon einen Tag früher auf Spurensuche durch den Busch pirschen. Erfolg werden die beiden aber erst einen Tag später haben. Denn als Liefertermin gilt eben der 25. Februar.

Bleibt nur noch ein kräftiges Waidmannsheil für die Jäger: Nicht nur weil die Rhinos „dumm“ und einfach zu erlegen sind, wie Wildhüter Wayne treffend beschreibt. Damit auf alle Fälle ja alles glatt läuft, werden die Nashörner auch noch unter dem Einfluß der Betäubungsmittel stehen, wenn sie sich Kimme und Korn der „Jäger“ aus Übersee mucksmäuschenstill im afrikanischen Busch präsentieren.

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