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Strahlend schön: Der Atompilz

Faustischer Schauer in den Versuchslabors: Besinnliches zum 40. Geburtstag der H-Bombe „Bravo“  ■ Von Thomas Worm

„...vollendet das Begonnene in die Wolken“(Goethe)

Was, wenn die militärische Kernspaltung ein abstoßendes Gebilde hervorgebracht hätte? Häßlich wie die Metastasen, von der Strahlung im Körper ausgelöst. Mißgestaltet wie die Babys aus der Umgebung von Semipalatinsk, die nun bleich in Konservierungsgläsern schweben. Wäre so lange unter freiem Himmel getestet worden? Eine hypothetische Frage. Denn wunderbar leuchtete das grollende Inferno. „Blendendes Weiß zuerst, dann Gelb und Orange und Rot und Marengo und Tiefviolett schießen in den Wolkenhimmel. Immer höher, immer höher. Die berühmte Pilzform entsteht in einem zehnmal größeren Ausmaß, als man je zuvor gesehen, in allen Farben des Prismas“, ließ sich ein deutscher Reporter in den 50er Jahren vom Anblick der H-Bombe Cherokee überwältigen. Schön. Unantastbar schön.

In der Einöde New Mexicos stampften die USA während der letzten Jahre des Zweiten Weltkriegs das Manhattan Project aus dem Boden. In einer logistischen Anstrengung ohnegleichen bereiteten 150.000 Menschen den Schattenwurf des Pilzes vor, arbeiteten hin auf seine stille Majestät. Wer sie jemals auf Fotos, opferlosen Fotos, sah, wird sie nicht vergessen. Etwas nie Dagewesenes entstand. Tausenden von Mäzenen des Manhattan Project – Wissenschaftler, Politiker, Militärs – gelang es, in der Wüste einen atomaren „Babelgedanken in der Seele zu zeugen, ganz groß und bis in den kleinsten Teil notwendig schön, wie Bäume Gottes“ (Goethe übers Straßburger Münster).

Was da herrlich in den Äther wachsen sollte, war umfriedet von sinnstiftenden Begriffen: Sieg über Hitler, nationale Sicherheit, world peace. Doch weniger die Politik als vielmehr faustischer Schauer durchdrang die Bombenlabors. Das Mysterium selbst war ihr Arbeitsgebiet: Kernphysiker entschleierten im Unterschied zu Sprengstoffchemikern die tief verhüllte Urgewalt der Materie. Die Glut der Begeisterung in der Atomforschergemeinde verhielt sich zu der konventionellen Waffenschmiede wie die Millionen Kelvin des Sonneninneren zu den paar tausend Grad einer Dynamitexplosion.

Der Pilz, der dabei herauskam, schied das Profane vom Mythischen. „Ich bin stärker als die Natur – dieses Gefühl ist in dieser Schönheit drin“, sagt Robert Jungk, der den Pilz mit eigenen Augen „diese Kuppel über uns gewaltsam auseinanderreißen“ sah.

Der Anblick des betörenden Ungetüms riß die Betrachter fort. Im Pilz paarten sich lethale Ästhetik und jenes menschlich-männliche Machtgefühl, das verborgene Rumoren in der Schöpfung freizusetzen. Der Pilz löste religiöse Schauder aus. Als US-General Farrell am Morgen des 16. Juli 1945 durch seine geschwärzte Brille den ersten Atompilz der Welt erblickte, schien darauf das Antlitz Gottes wider: „Dreißig Sekunden später kam zuerst die Explosion, der Luftdruck prallte hart gegen die Leute und Dinge. Und dann folgte fast unmittelbar ein lautes, anhaltendes, schauerliches Donnern, wie eine Warnung vor dem jüngsten Tag, das uns spüren ließ, daß wir winzige Wesen in blasphemischer Weise wagten, an die Kräfte zu rühren, die bis dahin dem Allmächtigen vorbehalten waren.“ Was immer auch sich in diesem Moment zur High-speed- Kathedrale entlud, es katapultierte Robert Oppenheimer, der sich im Kontrollstand an einen Pfosten klammerte, zurück in den indischen Mythos. „Ich bin der Tod, der alles raubt / Erschütterer der Welten“, raunte es dem Baumeister der ersten Atombombe Trinity durch den Kopf. Es waren die Worte des Sri Krishna, dem Herrn über das Schicksal der Sterblichen. Oppenheimers und Farrels Empfindungen und die zahlloser anderer werden später im Philosophen Paul Virilio ihren Interpreten finden: „Der absolute Tod, der durch die Atomwaffe möglich wird, führt wieder zur Frage nach Gott zurück.“

Die 521 oberirdischen Atomtests, die nun weltweit folgten, die Hunderte von Pilzen der 40er, 50er und frühen 60er Jahre dienten vor allem auch medizinischen Risikostudien. Die größte und schmutzigste Wasserstoffbombe aller Zeiten detonierte in der Dämmerung des 1. März 1954 auf den Marshall-Inseln. Nach zehn Minuten maß die Pilzwolke 120 Kilometer im Durchmesser. Bravo verseuchte auf Generationen hinaus die menschlichen Versuchskaninchen der pazifischen Atolle. Und weiter stiegen die Pilze. Sie waren der vorweggenommene dritte Weltkrieg, die heißen Embleme der Kalten Krieger.

Der Feuersturm als touristische Sensation

Unterdessen machte sich in den USA, dem Geburtsland der Bombe, promethische Schaulust breit. Schausucht. Die „schreckliche Schönheit“ (Oppenheimer- Mitarbeiter Gregory Breit) blieb nicht allein den US-Truppen vorbehalten, die mit erhobenem Bajonett in Nevadas Wüste der gleißenden Strahlenhaube entgegenmarschierten, die sich wenige Kilometer entfernt ins Gigantische aufblähte. Auch Zivilisten durften am göttlichen Feuer teilhaben. Galdwin Hall freute sich in der New York Times vom 9. Juni 1957. „Zum erstem Mal wird die Atomenergiekommission das Nevada- Testprogramm auf die touristische Sommersaison ausdehnen, bis in den September hinein.“ Und deshalb empfahl Hall: „Die beste Sicht auf die Explosionen hat man vom Mount Charlston aus, der genau östlich von Bundesstraße 95 liegt, nur eine Autostunde von Las Vegas entfernt, über gute Straßen erreichbar.“ Tausende Pilzjünger erlebten dort das erst lautlose Wachstum und den nachgeschickten Feuersturm. Zu einer Zeit, da vergnügte Generäle neben dekolletierten Offiziersdamen ihre Atompilze aus Buttercreme anschnitten, um den „Big Bang“ zu feiern, waren Naivität und Radioaktivität noch austauschbare Begriffe.

Das allumfassende Kunstwerk blitzt auf im Atompilz – der zersplitterten Postmoderne zum Trotz. Naturwissenschaftlich ein Triumph, militärisch eine Allmachtsphantasie, politisch ein Balanceinstrument, human-ökologisch ein Verbrechen. Mindestens 2,5 Millionen Menschen müssen durch die „kalt“ gezündeten Pilze nach Hiroshima und Nagasaki sterben. Einen anonymen Tod. Der Pilz ist wahrhaft menschengemacht. Er entsteht nicht ohnehin von Zeit zu Zeit wie etwa Waldbrände. Der Pilz blüht nur da, wo Menschen atmen können, in der Atmosphäre. Für dort ist er auch gedacht. Jede Atombombe will Pilz werden, so lautet ihr eingebauter Auftrag.

Milliardenfach kopierte man das Signum der Bombe – den Pilz – auf Postkarten und Fotos, in Zeitungen, Magazinen und Büchern. Ob als drohende weiße Dampfkuppel hinter den winzigen Palmenschöpfen von Bikini oder als magisch berstendes Orange, eingefaßt von ungeheuren Kondensringen. Wann wäre je den eingekapselten Bakterien von biologischen Waffen, die ähnlich stark töten können, diese Faszination zuteil geworden? Die Verzauberung wirkte interkontinental. „Die Erde zitterte, die Fenster schepperten... Aber die Regenbogenfarben haben mich doch damals sehr beeindruckt“, erzählt der Schriftsteller Rollan Seisenbajew, der in einem Dorf 40 Kilometer vom russischen Atomtestgelände Semipalatinsk aufwuchs.

Sogar die Proportionen lagen fest, die das leere, gottlose Blau ausfüllen sollten. „Im Megatonnen-Bereich ist der Stiel nur ein Fünftel bis ein Zehntel so dick wie die Wolke“, hieß es dazu in einem amerikanischen Lehrbuch. Der Atompilz – eine Säule, darauf das Gewölbe. Androgyne Basilika. Ungewollt enthielt seine Form eine Botschaft an beide Geschlechter: das männliche, welches ihn schuf, und das weibliche, welches ihn zuließ.

Wie in den gepfeilten Domspitzen der Gotik offenbart sich im Pilz das Verlangen, den Himmel einzunehmen. Der Vergleich zur gotischen Kathedrale ließe sich weitertreiben. Hier wie dort ein bewundernswerter logistischer Akt im Dienste des Absoluten. Hier wie dort mischen sich Schöpferkraft und Wissen auf der Höhe der Zeit. Hier wie dort entstehen die Schauer erregenden Zeichen eines geheiligten Ordens. Nur, der Pilz steigt himmelwärts, um zu töten. Der Dom hingegen überwindet den Tod, indem er das Ewige abzubilden sucht.

Bis 1957 dauerte es, ehe der erste Atomtest 240 Meter unter den Boden verlegt wurde, nurmehr ein bedrohliches Grummeln in den Eingeweiden der Erde. Und erst 1963 hat es mit der Fixierung auf die morbide Anmut des Pilzes ein vorläufiges Ende. Durch den oberirdischen Atomteststopp – Frankreich und China schlossen sich aus – wurde der Pilz geächtet. Verdrängt. Der gequetschte Pilz tief unten im Gestein ist eine Lüge. Denn jede Bombe will als schrecklich schöne Kathedrale emporströmen. Erst dann werden sich die Überlebenden fragen, wie seinerzeit Georg Forster, der 1790 über den Kölner Dom staunte: „Wer ist der hohe Fremdling in dieser Hülle?“

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