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Held oder Ungetüm

■ Die tschechische Autorin Tereza Bouckova liest heute im Literaturhaus aus ihrer Pavel-Kohout-Entblößung

Vor allem mit Hilfe der ehemaligen DDR-Verlage wurde in den letzten fünf Jahren ein intensiver Blick auf den östlichen Literaturhorizont möglich, der sich bis nach Sibirien erstreckt. Ausgangspunkt dieser faszinierenden Landschaft ist fast immer die Bewältigung des sozialistischen Alltags. Und dieser hängt bei der 1957 in Prag geborenen Tereza Bouckova qua Geburt mit dem Namen eines prominenten Staatsfeindes der damalige CSSR zusammen: Pavel Kohout.

Doch die Tochter von einem der Wortführer des „Prager Frühlings“ und Unterzeichner der „Charta 77“ zeigt nicht das Porträt der im Westen gerühmten und herumgereichten Galionsfigur des demokratischen Untergrunds, sondern ein Ungetüm, das seine Familie kläglich im Stich läßt und als Vater und Mensch auf ganzer Linie versagt. In der kurzen, nur dezent verschlüsselten Erzählung Indianerlauf erzählt sie voll Spott und Zynismus von der jämmerlichen Kehrseite des Literaten, der wegen einer „Muse“ seine Frau mit drei kleinen Kindern im Stich läßt, es sich selbst wohlergehen läßt und seine ehemalige Gattin, längst zu Wohlstand gekommen, selbst dann kalt abblitzen läßt, als diese krebskrank um seine Unterstützung bittet.

Aber auch andere Prominente des heutigen politischen Lebens, wie etwa das Vorzeigekind der Revolution und Frank Zappa-Fan Vaclav Havel, werden aus der Perspektive des grenzenlosen menschlichen Versagens gezeigt. Auch Havel verweigert, inzwischen Staatspräsident, Boukovas kranker Mutter, die er einmal geliebt hatte, jede finanzielle Hilfe.

Bouckova war drei Jahre alt, als ihr Vater die Familie verließ. Während er im Ausland seinen Ruhm vermehrte, verarmten die Familie, von ihm unbeachtet, unter der Feme des sozialistischen Regimes. Bei den seltenen Treffen mit ihrem Vater wird dieser für das Kind zu einem perfiden Alptraum. Im Wochenendhaus, wo sie ihn selten besuchen darf, befindet sich in den obersten Regalen das Kinderparadies: Prinzenrolle, Schokolade und Marmelade, sündige Westprodukte, die man nur aus Erzählungen kennt. Doch diese sind nicht für die drei Kinder bestimmt. Später wird Boukova als „Tochter eines Konterrevolutionärs“ weder ins Gymnasium noch in die Prager Musik- und Theaterhochschule aufgenommen. Als Briefträgerin und Putzfrau muß sie ihr Leben fristen.

Die knapp siebzigseitige Erzählung, in der die realen Personen auch hinter Phantasienamen so klar erkenntlich sind, daß Kohout in einem hier dokumentierten Brief mit unverhohlenen Drohungen reagiert, wurden in ihrem Heimatland inzwischen mit einem Literaturpreis ausgezeichnet. Havel habe sogar versucht, so Bouckova, sie mit dem Hinweis, daß das Parlament die Veröffentlichung nicht wünsche, einzuschüchtern.

Obwohl Indianerlauf als erstes eine sehr persönliche, wiewohl literarisch gelungene Abrechnung darstellt, gelingt es Bouckova durchaus, zu Grundsätzlichem durchzudringen. Auch in den drei weiteren kurzen Erzählungen ihres Debüts, die ebenfalls deutlich autobiografische Züge tragen, findet sie einen verbindlichen Ton, ohne den heilsamen Humor der Betrachtung abgründiger Beziehungen zu verlieren. tlb/theo

Teresa Buckova, Indianerlauf, Rowohlt Berlin, 156 S., 28 Mark, heute, Literaturhaus, 20 Uhr

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