■ Tour d'Europe: Haftgründe
Die meisten der Staaten Mittel- und Osteuropas haben die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten unterzeichnet, doch nicht überall wurde die Todesstrafe abgeschafft. In Moldawien sollen 1992 Regierungskräfte Häftlinge aus der selbsternannten moldauischen Republik Dnestr illegal hingerichtet haben. Ende des Jahres waren insgesamt 15 Gefangene von der Exekution bedroht. An zwei politischen Gefangenen moldauischer Herkunft wurden in Transnistrien Scheinhinrichtungen vollzogen. In Polen verhängten Gerichte im gleichen Zeitraum gegen zwei Angeklagte die Todesstrafe und in Weißrußland wurden 28 Gefangene hingerichtet.
Die Verweigerung des Kriegsdienstes gilt in einigen dieser Länder als Strafbestand. Haft und Zwangsarbeit drohen in Rußland bei Mißachtung des Einberufungsbefehls. Mindestens zwei junge Männer, Anhänger der Zeugen Jehovas, verbüßten 1991 Freiheitsstrafen. In Polen wurde 1992 ein junger Katholik zu einer Gefängnisstrafe von 18 Monaten verurteilt, weil er den Militärdienst aus Gewissensgründen ablehnte. Die römisch-katholische Kirche befürworte die Verweigerung nicht, hieß es. In Litauen dauert der Ersatzdienst zwei Jahre und kann daher als Strafmaßnahme gelten. Auch in der Ukraine beträgt die Zivildienstzeit das doppelte der des Militärdienstes. 1992 wurde in Kroatien Tausenden von Menschen vor Gericht bewaffnete Rebellion vorgeworfen; in der Mehrzahl waren es wegen ihrer ethnischen Herkunft verfolgte Serben, einige davon gewaltlose politische Gefangene.
Weniger bekannt ist, daß Homosexualität in manchen Staaten des ehemaligen Ostblocks nach wie vor einen Verstoß gegen die geltenden Gesetze darstellt und insbesondere in den christlich-orthodoxen Gesellschaften stigmatisiert wird. In der Russischen Föderation wurden 1992 mehr als zehn Menschen aufgrund des Paragraphen 121 zu Freiheitsstrafen verurteilt. Ein politischer Gefangener, 1991 wegen homosexueller Handlungen für schuldig befunden, kam erst nach fast zwei Jahren Haft frei. In Litauen stehen nach Paragraph 122 des Strafgesetzbuches einvernehmliche homosexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen ebenfalls unter Strafe. In Rumänien liegt inzwischen ein neuer Gesetzentwurf vor, der erst auf Druck des Europarats eine mildere Form erhielt. Homosexualität wird strafbar, wenn sie „öffentlich Ärgernis erregt“. In einem Appell an das Parlament sprach sich das Oberhaupt der orthodoxen Kirche gegen die Novellierung des Paragraphen 200 aus und die Theologiestudenten gingen auf die Straße. Die Inhaftierung von mehr als 30 Homosexuellen und in einigen Fällen auch ihre Mißhandlung ist bekannt.
Doch die von der Öffentlichkeit geduldete Diskriminierung dieser Minderheit macht es in solchen Ländern sehr schwierig, Namen strafverfolgter Personen und die ihnen zur Last gelegten Taten herauszufinden.rh
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