■ Soundcheck: The Pretenders / Agurk!
Gehört: The Pretenders. Wollte man uns weismachen, daß wir mit dem Kauf eines Tickets eine Reise in der Rock-Zeitmaschine gewonnen hätten oder was sollte das ehrfurchtsvolle Gerede von den „Pretenders in Originalbesetzung“? Die Aura des Außergewöhnlichen hat Chrissie Hynde seit jeher umweht, ganz gleich, welche Musiker sie um sich scharte. Dabei war sie stets eine verläßliche Begleiterin, die nur alle paar Jahre auftaucht, um unserem Leben mal wieder ein wenig Zeitlosigkeit zu borgen.
Live bedeutet ihr Souveränität alles, breitbeinige Rockposen und pathetische Gesten werden nur angedeutet. Wenn die Gitarren mal Dreck schleudern, bleibt der Sound dennoch perlweiß und Chrissie Hyndes Sinnlichkeit steigert sich nie zur völligen Hingabe. Die kühle Verletzlichkeit ihres Gesangs läßt selbst in Zeilen wie „I'll stand by you“ ein leises „Fuck you“ mitschwingen. Vielleicht lag es an dieser scheinbaren Nebensächlichkeit, daß das Publikum zunächst in einer Mischung aus Demut und zurückhaltender Freude verharrte. Erst bei den Klassikern schlug die Unentschlossenheit um in die Erkenntnis, daß der alte Zauber immer noch funktioniert. Wenn sich Chrissie Hynde ihre Energien weiterhin so ökonomisch einteilt, wird sie in ein paar Jahren immer noch großartig sein.
Björn Ahrens
Heute: Agurk!. Die 76.26 Minuten, die der Titel der Debut-Veröffentlichung der Agurk-Players vollmundig verspricht, sind Etikettenschwindel. Es sind nur 75.28 Minuten. Damit wäre alles, was sich an diesem unglaublichen schwedischen Quintett kritisieren ließe, gesagt. Ansonsten gibt dieser Tonträger nur gespeicherte Schätze frei, pure Freude. Freude darüber, endlich mal wieder von einer Formation überrumpelt zu sein, die so ganz ohne Querverweise und Szeneneinbettung musikalische Qualität offenbart. Freude über eine gestenfreie Spielfreude, so offensiv und pointiert. Freude über die Musik, die, wie es klugen Künstlern geziemt, sich nirgendwo anbiedert und so in der von Unmengen von Tondaten überfütterten Landkarte trotzdem nicht in Relation zu irgendetwas gesetzt werden muß. Dieser Landstrich hat tief und gründlich Musikgeschichte, besonders schwarze, geatmet, Funk im Sinne Browns und Clintons, Jazz im Sinne Davis' und Coltranes. Oder so, wie all deren Sinn heute wäre. Dazu frei schwingende Gitarrenarbeit, dezentes DJ-Wirken und alles flieht koordiniert nach vorne. Freude allerorts.
Holger In't Veld
Westwerk, 22 Uhr
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