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SanssouciVorschlag

■ Theatertreffen auch zu kulturpolitischen Debatten nutzen / Vorschlag * "Festival des politischen Liedes" in der KulturBrauerei

Die Himmelfahrtspremiere des Theatertreffens im Theater am Halleschen Ufer endete mit einer ungewöhnlichen Geste: Nach der Vorstellung von „Brennende Finsternis“, einer Koproduktion des Bochumer Schauspielhauses mit der Westfälischen Schauspielschule, unterbrach eine Darstellerin den Applaus und trug „im Namen des Bochumer Ensembles“ einen vorbereiteten Text vor. Man protestiere fortgesetzt gegen die Schließung des Schiller Theaters, und man weise darauf hin, daß auch die Westfälische Schauspielschule, deren Qualität hier soeben ja demonstriert wurde, von der Schließung bedroht sei. Dann aber wurde auch der prinzipielle Berlin-Boykott, auf den sich viele nordrhein-westfälische Intendanten nach dem letzten Schließungs- Sommer verständigt hatten, von Bochumer Seite noch einmal bestätigt. Frank-Patrick Steckel, der Intendant, führte dies gestern mittag beim Theatergespräch im Spiegelzelt noch weiter aus: Nur weil es sich hier um eine Koproduktion handle, habe sich das Schauspielhaus zähneknirschend dazu entschlossen, in eine Stadt zu kommen, „in der der Skandal noch stinkt“. Daß er mit einem solchen Boykott unmittelbar das Berliner Publikum treffe, und überdies das ohnehin finanziell nicht gerade abgesicherte Theatertreffen in Frage stelle, ist für ihn dabei nicht so wichtig wie der symbolische Akt, mit dem er sich dadurch von der „Bande von (kulturpolitischen) Verbrechern“ distanziere, die seit Jahrzehnten in Berlin ihr Unwesen treibe. Unbegreiflich sei ihm, daß man in Berlin nicht tagtäglich den Rücktritt des Kultursenators fordere.

Das sind fundamentalistische Worte, die aber eines deutlich machen: den Debattennotstand in Berlin, das bisherige Versäumnis, im Rahmen des Theatertreffens anderes anzusprechen als Produktionsinterna und die Notwendigkeit, wenigstens die Schlußdebatte auch zur kulturpolitischen Diskussion zu machen – mit dem Kultursenator natürlich und dem Regierenden, der zumindest um 12 Uhr greifbar ist, wenn er Bernhard Minetti den Theaterpreis verleiht. Petra Kohse

Spiegelzelt vor dem Deutschen Theater, morgen, ab 12 Uhr.

Vorschlag„Festival des politischen Liedes“ in der KulturBrauerei

Im Festivalbüro rollt jemand nervös ein Fax zwischen den Händen. Die Rechtsabteilung einer nicht ganz kleinen Plattenfirma ist auf das „Zwischenwelt – Festival des politischen Liedes“ aufmerksam geworden. Dieses hatte, als herausragenden Überact, für heute abend (Die Halle, Weißensee) etwas vorschnell die Gipsy Kings angekündigt. Tatsächlich kommen jedoch „Chicos Gipsys“, eine Abspaltung der „echten“ Flamencopopper. – Im letzten Jahr hieß die Veranstaltung „Zwischenweltfestival“, jetzt hat man das „politische Lied“ wieder drangehängt. Trotzdem ist der Hof der KulturBrauerei ziemlich menschenleer. Früher war das Festival das Aushängeschild der DDR, wenn sie sich jugendlich und weltoffen geben wollte. Nur mit der Definition des Begriffs „Politisches Lied“ im eigenen Land hatte man so seine Problemchen. Alles kalter Kaffee, irgendwie vorbei. Die Kulturmutter aller sozialistischen Staaten ist abgekackt, vom Erdboden verschwunden. Das Festival aber gibt's immer noch. Warum? „Wir wollen uns mit der eigenen Geschichte auseinandersetzen“, sagt Leiterin Ray-Dany Mathiscig.

Das ist bekanntlich nicht ganz einfach, und so verschwimmt einem das Blauhemd auf dem farbigen Geschichtsbildschirm. Heftiges Flimmern schon im Programmheft: Dort beginnt „die Geschichte“ mit der Vorbereitung des „20. Festivals“ 1990. Das Jahr der Gründung, 1970, wird nicht erwähnt. Die übrigen 20 Jahre, immerhin das, worauf viele heute schon wieder ein bißchen stolz sein wollen dürfen, mutiert zum Gefühl. Ein Grund, weiterzumachen: Die „Ideen“ seien es gewesen, die „die Leute bewegten, das Festival von innen her unverwechselbar machten“. Welche Ideen? Keine Antwort. Das „Innen“, die Harmonie aber war reichlich vorhanden im Mutterbauch DDR. Also Widerstand geleistet, in die Hände gespuckt, weitergemacht. Das ist die Ausgangsbasis, erst irgendwie Opfer der DDR, jetzt des brutalen BRD-Kapitalismus. Ein Opferprogramm: Bettina Wegner, S. Krawczyk, Renft, alle dabei, „endlich“. Also opfern wir unsere Zeit einer Frau, die es wirklich verdient hat. Denn sie ist durch die Hölle zweier Systeme gegangen, ja man hat in ihren Konzerten mitgeschrieben, hat sie inhaftiert und ausgewiesen, in unsere schöne kleine BRD eingeschleust. Und hier hat sie weiter ihr Wesen umgetrieben, von kleinen, nicht schmutzigen, nein sooo zerbrechlichen Händen gesungen. In jeder West-WG.

Sie, die Bettina, hatte am Donnerstag alte Weggefährten mit auf die Bühne gebracht, denn: „Wir wurden hier früher nie eingeladen“. Bettina Wegner scheint die letzten fünf oder sogar 20 Jahre in einer Eistruhe verbracht zu haben. Sie ist 46, wirkt aber zerbrechlich und weinerlich wie 1979. Kompliment, besseren Geschichtsunterricht hätten wir nicht kriegen können. Alles genau wie früher, nein, früher gibt's gar nicht: wie immer: „Sie haben uns belogen, und sie tun es immer noch.“ Und, ist es nicht schlimm, daß die Leute dem Papst zujubeln, ihm glauben? „Die fehlen uns, wenn wir uns vor die brennenden Häuser stellen.“ Gast Karsten Troyke setzt a cappella noch einen drauf: „Welcome Immigranti. Immigranten, reißt die Mauern ein, dieses Land gehört nicht uns allein.“ Uns, allein? 250 Getreue klatschen. Was fehlt? Ein Lied für Kinder, Erwachsene, für alle Menschen. Ja, auch das war nicht leicht durchzubekommen bei der Zensur der DDR: „Ich sollte das Lied singen mit der Zeile, ,grade, klare Menschen gibt es nie zu viel‘.“ Da hat sie sich geweigert, ist nicht aufgetreten. Jetzt aber: „... sind ein schönes Ziel“. Schluß aus vorbei. Andreas Becker

„Zwischenwelt – Festival des politischen Liedes“. Bis Sonntag, KulturBrauerei, Knaack-, Ecke Dimitroffstraße, Infos, Termine etc. unter Telefon: 448 58 05.

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