: Auf der Suche nach dem verlorenen Zentrum
Das Ergebnis des Wettbewerbs zur Spreeinsel ist ernüchternd: Der Sieger betreibt Kahlschlag am Marx-Engels-Platz, doch die strukturellen Probleme des historischen Zentrums bleiben weiter im Schatten ■ Von Harald Bodenschatz
Der Wettbewerb Spreeinsel ist entschieden – wie bekannt, mit einem überraschenden Ergebnis: Den ersten Preis errang ein Unbekannter, Bernd Niebuhr aus Berlin – mit einem Kahlschlagkonzept. Was bedeutet diese Entscheidung des Preisgerichts? Daß nicht oder nur wenig neu gebaut wird, pfeifen schon die Spatzen von den Dächern. Daß sich die Konditionen seit der Ausschreibung weitgehend verändert haben, ebenfalls. Kann man den Wettbewerb also vergessen? Keinesfalls: Wichtig sind auch die Sichtweisen und Wertungen, die diese Entscheidungen beflügelt haben, die Fahnen, die gehißt werden, die Botschaften, die in Stadt und Land gehen. Diese Botschaften künden von der Kultur der neuen Hauptstadt, und diese Kunde muß bedenklich stimmen.
Kahlschlag am Marx-Engels-Platz
Wie zu befürchten war, konzentriert sich die Aufmerksamkeit nahezu ausschließlich auf die Gestaltung des ehemaligen Schloßbereichs. Fragen der Nutzung blieben weitgehend ausgeklammert, nachdem Bonn und Berlin als Auslober des Wettbewerbs den ungefähren Standort und das Raumprogramm für das Auswärtige Amt festgelegt und eine Kombination von Kongreßzentrum und Stadtbibliothek für das zentrale Gebäude der Berliner Republik ins Spiel gebracht hatten.
Der Marx-Engels-Platz ist zweifellos ein Angelpunkt der Stadtentwicklung – in politischer, städtebaulicher und symbolischer Hinsicht. Heute muß die Gestaltung dieses Platzes nicht nur aus der Westsicht, von der Straße Unter den Linden her, sondern auch aus der Ostsicht, vom Fernsehturm her, diskutiert werden. Der Ort der Vermittlung zwischen Ost und West ist das Areal des verschwundenen Stadtschlosses, auf dem heute der Palast der Republik steht. Der Auftrag an die Wettbewerbsteilnehmer für diesen Ort war eindeutig: weg mit dem „Palast“ – vor allem zur Besserung der Westsicht.
Dieser Forderung folgten die meisten Wettbewerbsteilnehmer, diesem Diktat ordnete sich das Preisgericht unter. Auch der erste Preisträger zielt auf den Abriß des DDR-Gebäudes, um einer gewaltigen Schachtel Platz zu machen, die über die Dimension des alten Schlosses hinausgeht und durch einen riesigen ovalen Hof gekennzeichnet ist. In den ersten Pressereaktionen wurde dieses Gebäude als dem Schloß ähnlich verkauft – ein Resultat der Kurzsichtigkeit oder der kalkulierten Irreführung. Von den zwölf durch Preise und Ankäufe ausgezeichneten Arbeiten erhielten aber immerhin zwei den Palast voll und einer partiell: der 4. Preis (Ungers), der 3. Ankauf (Zlonicky) und der 5. Ankauf (Holzbauer, nur zum Teil).
Interessant ist vor allem der Vorschlag von Ungers. Er sieht nicht nur den Erhalt des „Palasts“ vor, sondern erinnert zugleich an das alte Schloß – durch einen „historischen Park“. Die „Umbauung“ des verschwundenen Schlosses relativiert auch die überzogenen Repräsentationsansprüche der beiden erhaltenen Großbauten der DDR, da die räumliche Distanz und damit die Fernsicht auf die Hauptfassaden zurückgenommen wird. Das zweite Schlüsselproblem am Marx-Engels-Platz ist der Umgang mit dem Baudenkmal „Staatsratsgebäude“. Dieser Bau muß zu den bedeutendsten Gebäuden der frühen DDR-Moderne gerechnet werden. Er steht stadtbaugeschichtlich für das Bemühen, den südlichen Abschluß des Marx- Engels-Platzes etwa in Höhe der kriegszerstörten südlichen Bebauung des früheren Schloßplatzes zu markieren. Die Höhe des Gebäudes ordnet sich dem Maßstab des vernichteten Schlosses unter, das aber in dem Portal wenigstens als ohnmächtige Erinnerung und Hinweis weiter existiert.
Das Preisgericht prämiierte fünf Arbeiten, die den Abriß des Staatsratsgebäudes vorsehen, und sieben weitere, die auf dessen Erhalt zielen, darunter die Arbeit von Ungers. Allerdings wurden die Abrißvorschläge eindeutig besser plaziert: Es handelt sich um die ersten drei preisgekrönten Entwürfe und die ersten beiden Ankäufe.
Vergessene Gertraudenstraße
Völlig im Schatten der Aufmerksamkeit bleibt die Neugestaltung der Gertraudenstraße. Dabei handelt es sich immerhin um einen der beiden Gründungsorte Berlins, um das Zentrum der mittelalterlichen Stadt Cölln, das ja erst Jahrhunderte später durch das Schloß dominiert wurde. Dieser „bürgerliche“ Hauptstraßenzug Berlins präsentierte sich früher als einzigartige und komplex artikulierte Folge von unregelmäßigen Straßenabschnitten und Plätzen, Ausweitungen und Verengungen. Die Wiedergewinnung eines solchen öffentlichen Raumgefüges ist eine Aufgabe, die der gestalterischen Weiterentwicklung des Marx-Engels-Platzes in keiner Weise nachsteht. Allerdings ist diese Aufgabe bis heute nicht hinreichend erkannt. Insbesondere die in der Wettbewerbsauslobung formulierte Forderung nach Erhalt einer Autopiste mit sechs Fahrspuren plus Sonderbereich für die Straßenbahn im Zuge der Gertraudenstraße ist absolut unerträglich. Damit wird schon im Vorfeld die Abwertung und Isolierung der südlichen Spreeinsel als Stadtraum fortgeschrieben und die weitere Verkümmerung der Gertraudenstraße als Rennstrecke festgeklopft. Alle prämiierten Arbeiten unterwarfen sich diesem in der städtischen und Fachöffentlichkeit bisher überhaupt nicht diskutierten Diktat.
Besonders problematisch ist der Vorschlag des ersten Preisträgers. Er sieht eine schnurgerade Verkehrsschneise vor. Dabei entsteht die „Schwierigkeit“, daß der einzige oberhalb der Erde noch existierende historische Baurest, der Block an der Scharrenstraße, „falsch“ plaziert ist. Folgerichtig wird in seinem Entwurf der alte Baublock durch einen südlich angrenzenden, winzigen Neubaublock verdeckt. Daß das Preisgericht diese Aspekte nicht berücksichtigt hat, zeigt deutlich, daß es auch die gängige selektive Wahrnehmung reproduziert hat: zugunsten des Areals der absolutistischen Residenz, zuungunsten des mittelalterlichen bürgerlichen Ursprungsorts von Berlin.
Eine mögliche Antwort auf das schwierige Problem der Südpassage hat Ungers gefunden: Er verengt den Hauptstraßenzug jeweils am Flußübergang – im Osten des Spittelmarktes und vor dem Mühlendamm. Der historische Ursprungsort Berlins bleibt unbebaut. Hier sollen drei kleinere Parks entstehen, in denen der durch die freigelegten Fundamente sichtbare Grundriß der Petrikirche ausgespart bleibt. Damit wird die Erinnerung an den Ursprung Berlins durch einen „Negativraum“ stimuliert. Zugleich wird die Möglichkeit einer weiteren Entwicklung wie auch des Rückbaus der Autopiste offen gehalten.
Attacke auf die Fischerinsel
Ein Abriß der Wohnhochhäuser auf der Fischerinsel verbietet sich schon aus wohnungspolitischen Gründen. Dafür räumen die Preisträger in ihren Entwürfen bestehende Flachbauten für Geschäfte, Gaststätten, Läden und Schwimmbad weg. Aber nicht nur das: nahezu alle Architekten empfehlen eine erhebliche bauliche Verdichtung der Fischerinsel. Dies ist angesichts der schon vorhandenen Wohnungsdichte höchst problematisch.
Die Bundesregierung hat klargestellt, daß ihre Bauten nicht stadtverträglich sein können. Läden und private Büros etwa im Erdgeschoßbereich von Ministerien sind ausdrücklich in den Wettbewerbsunterlagen als „nicht zulässig“ ausgeschlossen worden. Sicherheitsanforderungen werden auch den öffentlichen Raum belasten. Die Standorte der Ministerien müßten daher von den Plätzen zurückgezogen werden. Dies widerspricht aber dem Interesse der Auslober. Sämtliche prämiierten Arbeiten rücken das Außenministerium direkt an den Marx-Engels-Platz und das Innenministerium direkt an den Werderschen Markt. Eine solche Lösung bedeutet angesichts der zu erwartenden Sicherheitsansprüche eine Einschränkung der Öffentlichkeit an wichtigen Plätzen.
Das Gesamtergebnis des Wettbewerbs ist ziemlich ernüchternd. Die Begeisterung der Beteiligten hält sich in Grenzen. Die strukturellen Probleme des historischen Zentrums von Berlin bleiben weiter im Schatten. Der vielversprechendste Beitrag, diese Probleme anzugehen, der Vorschlag von Oswald Matthias Ungers, wurde heruntergespielt. Selbst der eigentliche Anlaß des Wettbewerbs, die Verortung der Ministerien, bleibt eine Schreibtischübung.
Ein dringend erforderliches Zeichen in Richtung Ost-West- Vermittlung wurde wieder einmal verfehlt. Im Gegenteil: Der „Osten“ wurde brüskiert – nicht nur durch den preisgekrönten Austausch von Palast und Staatsrat durch eine klobige Riesenschachtel, sondern auch durch den baulichen Angriff auf die Fischerinsel unter der Fahne der historischen Rekonstruktion des Stadtgrundrisses.
Aber immerhin: Der Wettbewerb eröffnete jungen Architekten den Weg zum kurzen Ruhme, die Rede vom architektonischen Machtkartell wurde entkräftet – wenn auch nur bei einer Kür im Regen ohne Bauaufgaben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen