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Das Imperium schreibt zurück

Postkoloniale Literaturen aus Großbritannien – Ein Literaturfestival in Pankow  ■ Von Heike Härting

„I am often considered to be a funny kind of Englishman, a new breed as it were, having emerged from two old histories.“ So stellt sich Karim Amir vor, der junge, durch die Vorstädte und die Szene der Theaterschickeria Londons reisende Odysseus aus Hanif Kureishis Roman „Der Buddha aus der Vorstadt“.

Allerdings gibt es für ihn am Ende keinen Heimathafen, in dem die Pforten der Geschichte leise zuklappen. Er überquert die inneren und äußeren Kontinente seiner „imaginary homelands“ (Rushdie), die Orte der Phantasie, an denen die Konflikte der Migration ausgetragen werden. Aber diese Orte, an denen sich das Verhältnis von Fiktion und Geschichte, von gesprochenem und geschriebenem Wort, von Weiblichkeit und Männlichkeit wandeln, sind verstreut und vielfältig wie die karibische Geographie, deren größte Insel, gemessen an der westindischen Bevölkerungszahl, die britische Insel selber ist.

Und dort, wo während der 350jährigen britischen Kolonialgeschichte die kulturelle und politische Eroberung festgeschrieben wurde, werden heute Begriffe wie Literatur, Sprache, Körper, Geschichte, Nationalität und Identität neu verhandelt: Das Imperium schreibt zurück an das Zentrum, wie Salman Rushdie sagte.

Inzwischen ist die postkoloniale Literatur auch beim Publikum sehr erfolgreich. „Postkolonial“ bedeutet hier ein gemeinsames Erbe von Sklaverei, Kolonisation und Befreiung, und von diesem Erbe her eine Öffnung für die Heterogenität regionaler, sozialer und geschlechtsspezifischer Erfahrungen. Die postkolonialen Literaturen überschreiten sprachliche, historische und körperliche Landschaften, die vormals eingezäunte Orte kolonialer Identitätskonstruktion waren.

Pornographie des Empire

Die koloniale Erfahrung der Gewalt und der Beraubung des Selbst nennt der aus Guyana stammende und in Warwick lebende Lyriker und Romanschriftsteller David Dabydeen den eigentlichen Motor seiner Kreativität. Die Schizophrenie der kolonialen Erfahrung macht es notwendig, daß der Autor zu seinem eigenen Biographen wird. In seiner jüngsten Publikation, „Turner“, führt er sein Projekt einer „Pornographie des Empire“ fort. Ausgehend von J.M.W. Turners berühmten Gemälde „Slave Ship“ (1840) zeichnet er ein Bild der kolonialen Psychologie und ihrer Sexualphantasien.

Marina Warner, Historikerin und Schriftstellerin, nimmt als weiße Engländerin, deren Ahnen die ersten Kolonialherren der karibischen Insel St. Kitts waren, eine sehr ambivalente Stellung in der postkolonialen Literatur ein. Sie demontiert in ihrem jüngsten Roman „Indigo“ die nationalen Ikonen englischen Selbstverständnisses. Shakespeares Drama „Der Sturm“ gilt schon seit den 60er Jahren als ideologische Arena des kulturellen Dekolonisationsprozesses. Warner erkundet nun die ungeschriebenen Dialoge des Dramas. Anhand der unterschiedlichen Frauenfiguren in ihrem Roman verhandelt sie vor allem stereotype Formen der weiblichen und kolonialen Repräsentation.

Weniger an der Funktion und Bildung von Mythen interessiert, beschreibt die guyanesische Schriftstellerin Janice Shinebourne in ihrem Roman „The Last English Plantation“ (1988) die politischen Umwälzungen Guyanas seit den 50er Jahren. Aus der Perspektive eines jungen Mädchens werden die Folgen der amerikanischen Intervention erzählt. Das koloniale Erbe besteht hier vor allem in Haß und Gewalt zwischen den einzelnen ethnischen Gruppen Guyanas, was auf individueller Ebene zu psychischen Deformationen und auf politischer Ebene schlicht zur Handlungsunfähigkeit führt. Wie viele andere mußte Janice Shinebourne erst emigrieren, um sich schließlich aus der Distanz im eigenen Land Gehör zu verschaffen.

Neben der Körper-Politik und der Geschichte ist die Umgestaltung der ehemaligen Kolonialsprache ein zentrales Thema postkolonialer Literaturen. Wie der aus Barbados stammende Historiker und Lyriker E.K. Brathwaite sagt: „Der Hurrikan heult nicht in Pentametern.“ Die Kreolisierung von Sprache, Kultur und Imagination ist historischer Ausdruck einer konfliktreichen Begegnung der Kulturen Europas, der Kariben, Westafrikas, Indiens, Chinas im westindischen Archipel seit der Eroberung Amerikas. Sie hat längst die Eigenständigkeit einer spezifischen Lebensform erlangt, einer Lebensform der Vermischung, was durch ihre Oralität gefördert wird. Vermischung heißt allerdings nicht, daß sich die je spezifischen Lebenswelten bis zur Unkenntlichkeit auflösen.

Amalgam der Konflikte und Erfahrungen

Das Kreol ist Transmitter und Katalysator postkolonialer Befindlichkeit. Amryl Johnson, geboren in Trinidad und in Coventry lebend, experimentiert auch in ihrem kürzlich erschienenen Lyrikband „Gorgons“ mit den schier unerschöpflichen Möglichkeiten kreolsprachlicher Kreativität. Sie erzählt von der Realität schwarzer Frauen aus sieben Ländern und reflektiert die Schwierigkeiten weiblichen Schreibens.

Grace Nichols, die in Südengland lebende guyanesische Schriftstellerin, macht die interkontinentale Verschleppung schwarzer Frauen in ihrem Lyrikband „i is a long memoried woman“ zum Ausgangspunkt ihres Schreibens. In ihrer Lyrik ist das Kreol Zeugnis der Entfremdung und Verwurzelung zugleich. Die Lyriker James Berry und John Agard gehören zu den erfolgreichsten lyrischen Performance-Künstlern der Szene. Agard, der sich selbst als poetsonian charakterisiert, greift die subversive Ironie und Maskierung des karibischen Karnevals auf. Sein Thema sind die schwarzen Briten und die Möglichkeiten multikulturellen Zusammenlebens.

James Berry hingegen gehört zur älteren Generation schwarzer britischer Schriftsteller; er kommt aus der afroamerikanischen Black- Power-Bewegung und sucht die Wurzeln der Black Culture im Großstadtleben schwarzer Jugendlicher.

Die postkolonialen Literaturen verweigern sich dem Exotismus ebenso wie dem Wunsch europäischer LeserInnen, sich von ihren Dritte-Welt-Schuldkomplexen zu befreien. Sie sind ein Amalgam der Erfahrungen und Konflikte, die das Publikum zur Standortbestimmung herausfordern, insbesondere das deutsche, das noch kaum Erfahrungen mit Minderheiten hat, die ihre Beschreibung selbst in die Hand nehmen.

Marina Warner und Janice Shinebourne: Heute, 20 Uhr.

Hanif Kureishi und David Dabydeen („Sex, Death & the Immigrant“): Morgen, 20 Uhr.

Grace Nichols und James Berry („The Ancestral and the Living Voice, oder die Archäologie der Stimme“): Sonntag, 20 Uhr.

Amryl Johnson und John Agard („Creole Music, Creole Rhythm, oder der Hurrikan heult nicht in Hexametern“): Montag, 20 Uhr.

Alle Veranstaltungen literaturWERKstatt, Majakowskiring 46/48, Pankow.

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