: Die deutsche Tanzszene in 90 Minuten
■ Das Bremer Tanzfilminstitut hat sich in deutschen Opernhäusern und Fabrikhallen umgeschaut und einen enzyklopädischen Film gedreht – heute abend im Institut Français
Die deutsche Tanzszene gilt als die vielfältigste überhaupt: da gibt es die klassischen Ballettensembles an den Opernhäusern, die mehr oder weniger experimentierfreudigen Ensembles an den Stadttheatern und dazu noch eine wuselige freie Szene. Wer soll sich da noch auskennen? Das Deutsche Tanzfilminstitut in Bremen hat jetzt zum Glück eine 90minütige Zusammenfassung der Spielzeit 92/93 herausgebracht mit dem Titel „1. Tele-Tanzjournal“ – und schon mit dem Trailer auf dem Videotanzfilm-Wettbewerb in Paris Lorbeeren eingeheimst. Der Film wurde nicht nur von der Bremer Kulturbehörde gefördert, sondern auch vom Goethe-Institut, das den Film nun in 200 Kopien an seine Filialen verschickt.
Breite Schneisen schlägt diese Jahresübersicht durch das Gewusel von rund 30 Kompagnien, so daß es sich auch für Laien ordnet. Zur Orientierung werden zunächst die Extrem-Pole der Szene vorstellt, der so geometrisch nüchtern arbeitende William Forsythe in Frankfurt und die geschichtenorientierte Pina Bausch in Wuppertal. Dann skizziert der Film neueste Entwicklungen in den beiden großen Tanzrichtungen Klassik und Tanztheater – beispielsweise die Tendenz der zweiten Generation des AutorInnentanztheaters, sich textlichen Vorlagen zuzuwenden. So verständlich der Text aber und so kontrastreich geschnitten die Bilder – manchmal wünschte man sich längere unkommentierte Tanzpassagen, um sich in den jeweiligen Bewegungsstil einzusehen.
Sehr lobenswert dagegen, daß sich das „Tele-Tanzjournal“ nicht im Beklatschen der Vielfalt des modernen Tanzes verliert, sondern die Urväter und Urmütter des modernen Tanzes zeigt – und zwar auch den bei Rückblicken oft vergessenen sehr politisch denkenden Choreographen Kurt Joos mit seinem Stück „Der grüne Tisch“ aus den 30er Jahren. Wie überhaupt der Film den Blick nicht nur auf die ChoreographInnen richtet, sondern auf die fördernden LehrmeisterInnen im Hintergrund.
Wie in jedem weiteren „Tele-Tanzjournal“ gibt es neben einem historischen Kapitel auch eines über den Tanz in einer Region – diesmal Nordrhein-Westfalen, das nächste Mal wahrscheinlich Berlin. Damit nehmen Regisseurin Heide-Marie Härtel (Leiterin des Tanzfilminstitutes) und Co-Regisseurin Susan Barnett sowie die Tanzwissenschaftlerin Claudia Jeschke gleichzeitig die Arbeitsbedingungen des Tanzens in Deutschland unter die Lupe: Während nämlich mittlerweile eine gute Klassikausbildung sichergestellt ist, bleibt die Ausbildung in modernem Tanz weiterhin Privatsache; eine gut entwickelte Workshop-Kultur gibt es nur in Berlin, Hamburg und Nordrhein-Westfalen. cis
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen