: Film ist eine naive Kunst ...
■ ... man fängt bei jedem Dreh von vorne an. Ein Gespräch mit Jens Becker, dem Regisseur von „Adamski“
taz: Was war der Ausgangspunkt für „Adamski“: der zerknitterte Held, das Kaufhaus als Spielort oder der Plot „Detektiv liebt Diebin“?
Becker: Die Geschichte kam eher durch einen Zufall zustande. Bis zum Ende meines Studiums hatte ich immer Geschichten erzählt, die mit der DDR zu tun hatten. Danach war es schwierig, überhaupt etwas zu finden, das zu erzählen sich lohnte. Entweder die Geschichten waren schon zu weit weg, oder sie waren zu nah dran. Ich stand damals wie mein ganzer Studien-Jahrgang vor dem Nichts und hatte auch nichts vorzuweisen außer ein paar Hochschul-Etüden, die durch die Blume erzählten – wir hatten ja in der DDR eine große Kunst entwickelt, Dinge nicht direkt zu benennen, um die Zensur zu umgehen. Aber das hat im Westen keiner verstanden. Die Idee kam mir dann beim Einkaufen. Ein Kaufhaus spiegelt ja die Beziehungen zwischen den Menschen, so wie sie jetzt herrschen, ziemlich genau wider. Da gibt es Leute mit wenig und welche mit viel Geld. Die gucken sich nicht an, und wenn sie überhaupt eine Beziehung eingehen, dann mit der Verkäuferin oder der Kassiererin. Ich entdeckte dann bei genauerem Hinsehen die Detektive, und es schien mir reizvoll, eine Liebesgeschichte zu erzählen zwischen zwei Leuten, eben dem Detektiv und der Diebin, die an entgegengesetzte gesellschaftliche Pole gedrängt sind. Ein naives Modell, die Wirklichkeit ist komplizierter. Aber Film ist eine naive Kunst.
Ich suche mir außerdem immer schon sehr früh die Schauspieler zu meinen Geschichten. Für Adamski wollte ich jemanden wie den jungen Polanski. Ende Zwanzig, bißchen verklemmt, für sein Alter schon ein bißchen verbraucht, einer, der durchs Leben tapst. Nachdem ich dann Steffen Schult getroffen hatte, sind viele Elemente aus seiner Biographie in die Geschichte mit eingeflossen.
Kommt so die Komik zustande? „Adamski“ ist ja eine Komödie, die weniger von komischen Dialogen lebt als von komischen Situationen. Zum Beispiel am Anfang der Kaffee in der Mikrowelle: Wie entsteht so was?
Improvisation gibt es bei mir relativ wenig, aber die Schauspieler haben vieles ausgereizt. Ich finde es gut, wenn sie in der Probephase dem Affen Zucker geben und in einer Rolle etwas von sich selbst erzählen. Steffen Schult war zum Beispiel wirklich im Jugendblasorchester Eberswalde, und Nadja Engel ist tatsächlich so ein Morgenmuffel.
Der Kaffee in der Mikrowelle stand schon im Drehbuch und geht auf ein persönliches Erlebnis zurück. Bei meinem vorhergehenden Spielfilm – ein 20-Minuten-Film, der nach an der Hochschule entstand – hatten wir kein Geld für Catering. Also haben wir immer eine Mikrowelle mitgeschleppt, in der DDR gab es so etwas ja nicht, es war also meine erste Begegnung mit so einem Ding. Nach und nach rückte die Mikrowelle immer mehr in den Mittelpunkt des Drehs.
Wie hast du die Detektiv-Stories recherchiert?
Zunächst habe ich viel gelesen, Zeitungsartikel vor allem. Als das Drehbuch so gut wie fertig war, bin ich in die Kaufhäuser gegangen. Eigentlich wurde mir alles sehr offen erzählt, das System, nach dem die Arbeit der Detektive organisiert ist ...
Auch die windigen Geschichten wie die von Adamskis Kollegen, die der Kundschaft geklaute Ware in die Tasche schmuggeln?
Das kann man in der Presse nachlesen. Auf Nachfrage sagten die Detektive dann immer: Ja, das gibt es, aber bei uns nicht. Wir sind seriös. Sie verwiesen immer auf die anderen. Aber wir sind zum Beispiel auf eine Dunkelzelle gestoßen. Wir sahen uns Detektivbüros an, um zu überlegen, wie wir unseres ausstaffieren, und entdeckten in diesem Kaufhausflur zufällig eine Tür, hinter der sich eine Art Dunkelkammer verbarg. Hinter Panzerglas war in die Wand eine Leuchtstoffröhre eingelassen, der Raum war 1,5 mal 1,5 Meter groß, in der Mitte stand ein Hocker, die Tür ließ sich nur von außen öffnen. Der Detektiv erklärte mir, es gäbe Fälle, wo man jemanden etwas länger festhalten müsse. Und er fügte mit einem Augenzwinkern hinzu: Manchmal braucht ja auch die Polizei 'ne Weile.
Die Detektive müssen ihre Fangquote bringen, in der Regel einen Dieb am Tag. Aber da sie uniformiert sind, also im Grunde nur zur Abschreckung dastehen, ist es schwierig. Also machen sie Diebe. Es ist ein richtiger Fachausdruck: Diebe machen.
Gab es Schwierigkeiten beim Drehen im laufenden Kaufhaus- Betrieb?
Ich wollte unbedingt während des Winterschlußverkaufs drehen, habe diese Idee aber später bitter bereut. Es war Horror. Zum Teil blieb uns nichts anderes übrig, denn unser Budget von 1,2 Millionen erlaubte uns nicht, das Kaufhaus im Studio nachzustellen oder mit Komparsen im geschlossenen Kaufhaus zu drehen. Wir haben drei Tage lang während normaler Öffnungszeiten quasi mit versteckter Kamera gedreht. Die Schauspieler hatten Walkie-talkies und spielten mitten im Kaufhauspublikum. Der Vorteil war, daß das sehr natürlich aussah. So wie Leute in den Wühltischen grabbeln, das kann man gar nicht nachstellen.
Der Nachteil bestand darin, daß auch der Rest des Films optisch bescheiden ausfallen mußte. An eine Kaufhaus-Szene kann man keine Nachtaufnahme dranschneiden, in der der Kameramann seine Lichtkunst ausreizt. Zum andern mußten die Kaufhaus-Szenen selbst „filmisch“ bleiben. Wenn sich links die Leute drängeln und rechts steht keiner, gibt das kein Bild. Auch wenn hinter den Schauspielern vielleicht fünfzig Menschen vorbeilaufen, von denen nur einer in die Kamera guckt, ist die Szene gestorben.
Gegenwartsstoffe sind im ganz neuen deutschen Film die Ausnahme. Woran liegt es, daß es zuwenig schnelle, kleine, aktuelle Kinofilme gibt?
Das liegt an der Produktionssituation. Es ist nicht möglich, auf die Schnelle Geld für einen Film zusammenzubekommen. „Adamski“ ist aus neun verschiedenen Geldquellen gespeist, davon sind vier Filmfördertöpfe und vier Fernsehanstalten. Von der Idee bis zum fertigen Film sind vielleicht zweieinhalb Jahre vergangen. Für die Verhältnisse, in denen wir leben, ist das ungewöhnlich schnell.
Es kommt immer wieder vor, daß jemand einen beachtlichen ersten oder zweiten Film dreht und dann verschwindet. Jan Schütte oder Wolfgang Becker können zwar vielleicht alle drei Jahre einen Kinofilm drehen, aber von Michael Klier hat man seit „Ostkreuz“ nichts mehr gehört und von Hermine Huntgeburth nach ihrem hinreißenden Debüt „Im Kreise der Lieben“ auch nicht. Woran liegt das?
Das liegt an der katastrophalen Verleihsituation. Es gibt kaum Verleihe, die es überhaupt noch riskieren, einen deutschen Film zu nehmen. Denn ihre Kundschaft sind die Kinobesitzer, die wollen volle Säle und die kriegen sie mit Mainstream. Aus diesem Dilemma kommt man nur mit einer Quotierung heraus, also einer gesicherten Abspielbasis für europäische Filme. Kein deutscher Film, der ein Überraschungserfolg wäre, hätte auch nur die Chance, lange im Kino zu laufen, selbst wenn er die Potenz dazu hätte. Warum gibt es statt der Produktionsförderung keine Subventionen für Programmkinos, die sich entschließen, ausschließlich europäische Filme zu zeigen, oder für Vertriebssysteme speziell für einheimische Filme, die aber versuchen, auf Gewinn zu arbeiten?
Wenn ich alle drei Jahre einen Kinofilm machen kann, wäre das schon sehr gut. Dazwischen kann man fürs Fernsehen arbeiten, es geht nicht ohne.
Die einen sagen: Ohne das Fernsehen gäbe es das deutsche Kino nicht mehr. Die andern sagen: Das Fernsehen macht das Kino kaputt. Was stimmt denn?
Natürlich verschafft sich das Fernsehen durch Koproduktionen ein billiges Programm. Andererseits können die Filmemacher heute ohne Fernsehgeld nicht mehr arbeiten. Eine Katastrophe ist das allerdings für die Produzenten, denn die können ihre Filme nicht einmal mehr ans Fernsehen verkaufen, da die TV-Rechte ja bereits billig eingekauft sind. Und wenn ein Produzent keinen Gewinne macht – heuztutage ist es schon gut, wenn er auf Null kommt –, kann er auch kein Geld in den nächsten Film stecken. Das heißt, man fängt bei jedem Film von vorne an. Interview: Christiane Peitz
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