: Kein Licht im Reservisten-Dickicht
■ Dem Untersuchungsausschuß zur Freiwilligen Polizeireserve fehlten auf seiner letzten Sitzung im Mai wichtige Unterlagen / Zeugen haben "Erinnerungslücken" / Im Polizeiapparat herrscht tiefes Mißtrauen
Nach der letzten Sitzung des Untersuchungsausschusses Ende Mai waren sich der Vorsitzende Helmut Hildebrandt (SPD) und sein Kollege Wolfgang Wieland (Bündnis 90/Die Grünen) einig. Die Nachforschungen über die Rolle der Freiwilligen Polizeireserve (FPR) konzentrieren sich zunehmend auf „das Jahr 1985“. Für Aufsehen hatte damals der Fall des Hobbypolizisten Michael Abbas- Jacoub gesorgt, der als „Waffenmeister“ der rechtsextremistischen Szene galt und sich beim Sturm eines Polizeikommandos in seiner Wohnung erschoß.
Zunehmend in den Hintergrund gerückt ist dagegen die Affäre aus dem Frühjahr 1993, bei der fünf Reservisten als Waffenschieber der neonazistischen Szene verdächtigt wurden. Die daraufhin gebildete Prüfgruppe der Polizei ließ zwar 2.210 Reservisten durchleuchten und stellte fest, daß gegen 515 Reservisten Ermittlungen eingeleitet oder Urteile wegen verschiedener Delikte ergangen waren, darunter Körperverletzung, Diebstahl oder Verstoß gegen das Waffengesetz. „Hinweise auf eine rechtsextremistische Unterwanderung“, so der Abschlußbericht vom August 1993, hätten sich jedoch „nicht ergeben“.
Achtmal kam der parlamentarische Untersuchungsausschuß bislang zusammen. Doch statt Licht ins Dickicht zu bringen, warfen die Befragungen der Verantwortlichen aus Polizei und Innenverwaltung nur um so mehr Fragen auf. Wo verblieb der Abschlußbericht über den Fall Abbas-Jacoub? Wer von den damals Verantwortlichen (Innensenator war der CDU- Rechtsaußen Heinrich Lummer) wußte von der unter strengster Geheimhaltung durchgeführten Untersuchung?
Auch auf seiner letzten Sitzung am 31. Mai kam der Ausschuß mit der Befragung des stellvertretenden FPR-Leiters, Michael Thürnagel, kaum weiter. Der 56jährige, der von 1984 bis 1986 das Einstellungsreferat der FPR leitete, litt wie seine Vorgänger, die in den letzten Monaten vor den Ausschuß traten, an Gedächtnislücken: Mit Lummer habe er damals „definitiv“ nicht gesprochen, ob mit Staatssekretären der Innenverwaltung, wolle er nicht ausschließen, doch wer könne sich nach so vielen Jahren noch an Namen erinnern. Es sind nicht nur solcherart vage Auskünfte, die Zweifel aufkommen lassen, ob die Rolle der FPR im Jahre 1985 je aufgeklärt werden kann. Allein die Umstände, von denen die Arbeit des Ausschusses von Anbeginn begleitet wurde, lassen wenig Gutes erwarten. Mitte März verschwanden aus dem FPR- Büro drei Ordner, die in verschlossenen Aktenschränken gelagert worden waren. Unter anderem befand sich darin ein im vergangenen Jahr angefertigtes Gedächtnisprotokoll von Thürnagel zum Fall Abbas-Jacoub. Dieses Papier sowie einige seiner Vermerke aus den achtziger Jahren fehlen jedoch in jener Akte, die nach dem mysteriösen Diebstahl für den Ausschuß rekonstruiert wurde (nach Angaben des Innenstaatssekretärs Armin Jäger, CDU, sollen sich in den gestohlenen Ordnern keine Originale befunden haben). Zufall oder bewußte Verschleppung? Thürnagel zumindest behauptete, eine Kopie seines Gedächtnisprotokolls dem Leiter der 1993 eingerichteten Prüfgruppe und inzwischen in Ruhestand gegangenen Polizeidirektor Günter Waldow zur Verfügung gestellt zu haben. „Ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus“, kommentierte er vor dem Ausschuß das Fehlen seiner Unterlagen. Das Mißtrauen hat sich, soviel wurde bei der letzten Sitzung deutlich, bis tief in den Polizeiapparat hineingefressen. Nachdem Thürnagel als zeitweiliges Mitglied der Prüfgruppe 1993 feststellen mußte, daß über den Fall Abbas-Jacoub „so gut wie nichts mehr“ an Unterlagen vorhanden ist, machte er sich von seinen eigenen Notizen Kopien und lagerte sie zu Hause.
Der Selbstmord des Deutschen mit dem arabischen Namen interessierte Mitte der achtziger Jahre die Alliierten, die eigentlichen Machthaber in West-Berlin. Thürnagel selbst war bei einer Sitzung dabei, als sich Angehörige der drei Schutzmächte mit Vertretern der Senatsinnenverwaltung und des Landesamtes für Verfassungsschutz trafen. Die Alliierten, so Thürnagel, hätten hauptsächlich zwei Dinge angesprochen: Die FPR sollte von rechtsextremistischen Einflüssen „clean“ gehalten werden und ihre Sollstärke von damals 3.000 Mann halten. Offen bleibt, wieviel FPR-Mitglieder 1985 überhaupt durchleuchtet wurden. Während Waldow vor dem Ausschuß 300 Personen nannte, bei denen Erkenntnisse auf mögliche Straftaten vorgelegen hätten und diese zudem angehört worden seien, kann sich Thürnagel nur an Gespräche mit „30 bis 40“ Reservisten erinnern. Weil keiner von ihnen merken sollte, daß es sich um eine größere Überprüfung handelte, sei das Verfahren „gar nicht so einfach“ gewesen. Einige hätten ihre Austrittserklärung unterschrieben. Doch wer es nicht tat, „der blieb“, wie Thürnagel konstatierte. Ob daraufhin Konsequenzen gezogen wurden, wußte er nicht zu beantworten. Er habe sich, so seine Schlußfolgerung, im Fall Abbas-Jacoub von seinen Vorgesetzten „überhaupt alleingelassen“ gefühlt.
In der nächsten Sitzung des Untersuchungsausschusses sollen nun die Kopien von Thürnagel herangezogen und zudem Akten der Alliierten angefordert werden. Severin Weiland
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