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Rennende Gags

Pudellustig: Die „Next Wave“ des Tanztheaters an der Deutschen Oper Berlin  ■ Von Michaela Schlagenwerth

Des Pudels Kern war es nicht: Zwar gab es einige wohlfrisierte Exemplare dieser Gattung auf der Bühne zu bewundern, aber auch kein Hund konnte weiterhelfen an diesem Abend – Deutsche Oper goes Disneyland.

Wie kam's? Frauen vor, mag man sich am Opernhaus gedacht haben, und nachdem die ansonsten ausgesprochen konservativ geführte Ballettkompanie vor zwei Jahren schon einmal unter dem Titel „New Wave“ zu den Entwürfen dreier Avantgarde-Choreographen die Muskeln spielen lassen durfte, wurde jetzt an der Oper die Frauenquote eingeführt: Zu „Next Wave“ wurden drei Choreographinnen eingeladen und auch eine von zwei Auftragskompositionen an eine Frau vergeben – an Laurie Anderson.

Humor kann man dem saturierten Haus, das zuletzt „Schwanensee“, „Dornröschen“ und den „Nußknacker“ herausbrachte, nicht absprechen. Aber mal eben kurz die große Gegenwartskunst ins Haus zu holen, ist der Deutschen Oper weder mit der ersten noch der zweiten „Wave“ so recht gelungen. Daß „Next Wave“ auf keinem durchdachten Konzept basiert, zeigt schon die Besetzung der Choreographie: Mit Meg Stuart, Molissa Fenley und Karole Armitage wurden drei so unterschiedliche Künstlerinnen zusammengewürfelt, daß von allem ein bißchen und insgesamt nichts Richtiges herausgekommen ist.

Meg Stuart, die bislang überhaupt erst zwei abendfüllende Stücke produzierte, zeigte mit „Swallow my yellow Smile“ in diesem bunten Gemisch die ernsthafteste und eindrücklichste Arbeit. Hinter den vorangegangenen Bewegungsstudien, in denen autistische Körper zu Projektionsflächen einer zerfallenden Umwelt mutieren, bleibt „Swallow my yellow Smile“ allerdings weit zurück. Statt subtiler Verstörungen und Irritationen gibt es blutiges Menschenfleisch, aufgeschnitten mit Skalpellen und Zangen, projiziert auf die Rückwand der Bühne. Angeschnallt und wie aufgespießt hocken in zwei langen Reihen Menschen regungslos auf Stühlen, die auf drei Meter hohen Stahlstangen befestigt sind: ohne Kontakt zum Boden, zu sich selbst oder den Nachbarn. Unten winden sich die Körper der Tänzer in absurden Verdrehungen und verbreiten trostloses Großstadtgefühl und bleischwere Traurigkeit. Auf Kontaktversuche folgen Akte der Gewalt, Erniedrigung; oder alles endet im Hospitalismus. Doch trotz der wunderbaren Marie-Pierre Flechais, die sich ihre Umwelt mit Messern vom Leibe hält und sich am Ende in den monotonen Autismus-Rap des Ensembles einreiht: Für Meg Stuarts existentielle Bild- und Empfindungswelten ist der Opernbetrieb vielleicht nicht der richtige Ort. Die Choreographin, die sich für die Arbeit an ihren ersten beiden Stücken jeweils ein Jahr Zeit ließ und von dem Angebot der Deutschen Oper völlig überrascht wurde, wird teilweise plakativer, als man ihr zugetraut hätte.

Einmal quer durch das Spektrum zeitgenössischen Tanzes: Auf Meg Stuart folgte Molissa Fenley mit einer sehr konventionell durchchoreographierten „Bridge of Dreams“, zu der Laurie Anderson eine wunderschön meditative Musik komponiert hat. Und schließlich der Star des Abends: Karole Armitage, die bei Balanchine und Merce Cunningham tanzte und für Madonna und Michael Jackson Musikvideos choreographierte, setzte auf gute Laune. Mit „The dog is us“ hat sie sich der Comic-Welt der vierziger und fünfziger Jahre verschrieben und dem Haus ein poppig-buntes Späßchen auf die Bühne gezaubert, das sicher sein Publikum finden wird. Zu einer schrillen Tonbandcollage aus Zeichentrickfilmmusik der frühen Jahre jagen die Tänzer als running gags über die Bühne. Im Ami-Kellnerinnen- Look die Damen, im Schottenkostüm die Herren. Ein Mann mit Zigarre knallt den Rest des Ensembles mit seiner Pistole nieder, ein anderer, Hemd und Hose in Fetzen und die Haare wild hochstehend, jagt sie regelmäßig in die Luft, und einem Dritten gelingt es per Hammerschlag tatsächlich, den Nebenbuhler auszustechen und mit der schönen Kellnerin ein Tänzchen aufs Parkett zu legen.

Das ist manchmal lustig. Genauso lustig wie die sechs Pudel, die, mit Damenkleidern behangen, aus einem zweigeschossigen Papphäuschen im Hintergrund das Geschehen mehr oder minder gelangweilt verfolgen. Sie könnten direkt aus einem Foto William Wegmans herausgeschnitten sein. Doch mit Wegmans abgründigem Kitsch, der in dekadenten Salons durch geschicktes Arrangement Hundeköpfe aus teuren Kleidern lugen läßt, während Menschenarme in die Ärmel schlüpfen und Spiegel, Kämme oder andere Insignien der Zivilisation in den Händen halten, hat das alles nichts zu tun. Hier deutet sich Sozialkritik nur im Programmheft an, ansonsten: Jede Minute harmlos und gute Unterhaltung.

„Next Wave“. Choreographie: Meg Stuart, Molissa Fenley, Karole Armitage. Mit: Marie-Pierre Flechais, Charlotte Buler, Christine Camillo, Lisa Cullum. Weitere Aufführungen: 15., 16., 29. Juni

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