■ In den Niederlanden wird das verwahrloseste Haus geräumt: 200 Tonnen Dreck und 34 Tiere
Amsterdam (taz) – Es scheint ein Ding der Unmöglichkeit zu sein, aber die bizarre Geschichte ist wahr. In der niederländischen Gemeinde Kaatsheuvel fährt seit Mitte vergangener Woche ein LKW nach dem anderen zum Haus der beiden Schwestern Cor (74) und Marie (77); unter dem Gejammer der beiden alten Damen werden unglaubliche Mengen Müll abtransportiert. Sie versuchen zu retten, was noch zu retten ist – verschimmelte Ostereier, den Lieblingseimer oder ein Fahrrad. Insgesamt müssen zweihundert Tonnen Abfall beseitigt werden, so wollen es die Nachbarn und die Gemeinde. Obendrein nehmen die Behörden Cor und Marie auch ihre 34 Tiere weg (Hunde, Katzen, ein Zwergpapagei, Kaninchen), die zahlreichen Ratten und Fliegen sollen, so hofft man, nun von selbst wegbleiben. Immerhin sollen die Tiere in akzeptablem Zustand sein, meinte ein Tierarzt nach ersten Untersuchungen.
Die Schwestern leben schon seit Jahren in beispielloser Verwahrlosung. Schon 1985 hatte die Gemeinde vor laufenden Fernsehkameras in vier Tagen sage und schreibe insgesamt 140 LKW-Ladungen Müll abfahren lassen. Alles Bitten der Nachbarn war vergeblich: Kaum stand vor irgendeinem Haus ein Abfallsack herum, schnappten ihn Cor und Marie und brachten ihn nach Hause. Hinzu kamen zahlreiche Trittbrettfahrer unter den Nachbarn, die heimlich immer mal wieder ihre Müllsäcke über den Gartenzaun der Schwestern warfen – sogar Asbestreste fanden sich ein. Außerdem brachten „Tierliebhaber“ gelegentlich etwa ihre Katze zu Cor und Marie, weil sie des „Lieblings“ überdrüssig waren. Marie hatte sich in dem unbeschreiblichen Chaos zwischen den Abfallbergen eine Schlafstelle eingerichtet.
Natürlich ist es in den Niederlanden nicht verboten, im Müll zu ersticken. Der genervte Bürgermeister Jan van Dun: „Dagegen ist kein Kraut und auch kein Gesetz gewachsen.“ Alle Versuche, das Problem auf friedlichem Wege zu regeln, waren mißglückt. Immer mehr Beamte und Experten sind mittlerweile mit der Angelegenheit befaßt. Sozialarbeiter, Mitarbeiter der Gesundheitsbehörde, Polizisten und der Hausarzt, Tierschützer und Experten für die Asbestabfälle. Das kostet natürlich viel Geld, die Gemeinde will den Schwestern nun eine Rechnung über 70.000 Gulden (etwa 63.000 Mark) präsentieren. Jeder dachte, die Schwestern seien so verrückt, daß sie zahlen würden, aber so verrückt sind sie nicht. Sie schalteten einen Anwalt ein, schließlich darf niemandem sein eigenes Haus „einfach so“ geräumt werden. Der Anwalt konnte die Rechnung erst einmal auf 20.000 Gulden herunterhandeln. Nun wird abgewartet, wieviel Kraft die beiden betagten Damen noch aufbringen. Wenn sie in zehn Jahren zweihundert Tonnen Müll aufgehäuft haben, dann sind das im Jahr 20 Tonnen – die Gemeinde muß schließlich bald wieder LKWs anfordern. Wenigstens die Tiere, so bettelte Cor, sollten doch zurückgebracht werden, Schwester Marie würde das sonst nicht überleben. Falk Madeja
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