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Der Nackte und der mit dem Panzer

Das Rudimentär Theater spielt Dani Ginks „Beglatzt Brünett“ im LabSaal in Lübars  ■ Von Petra Kohse

Rußland liegt mitten in Lübars. „Diese drei Birken und die unendliche Weite des Himmels“ in einem Hof wenige Meter hinter der Dorfkirche erinnern den Dramaturgen Dmitri Amijan heftig an seine Heimat, wie er der Besuchergruppe von Jelena Fischer übersetzen läßt.

An der nächsten Station seiner Führung durch diese nördliche Westberliner Idylle erzählt er dann lange und mit Verve vermutlich politisch Brisantes von der Geschichte des Ortes, doch Jelena Fischer übersetzt nur knapp Banales. Nicht zu Unrecht vermutet man, daß Gesagtes und Übersetzung mit Bedacht immer weiter auseinanderdriften. Am Ausgangspunkt, dem LabSaal, wieder angekommen, heißt es nach einer Tirade auf russisch im deutschen dann überhaupt nur noch: „Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.“

Man war angereist, um Dani Ginks „Beglatzt Brünett“ zu sehen, das erste dramatische Werk eines ganz jungen Russen, das vor zwei Jahren bei der Bonner Biennale in einer Inszenierung des Moskauer Künstlertheaters zu sehen gewesen war. Jetzt spielt es das Rudimentär Theater nach der erwähnten Ortsführung sowie einer „Eß-Performance“, das heißt: einem zünftigen Abendessen, von dem glaubhaft versichert wurde, es sei ungemein russisch.

Die Mauer hinter Lübars gibt es nicht mehr, aber trotz der Birken ist der Osten recht weit entfernt, wie der Abend zeigt. Der Glaube an diese neue russische Dramatik fällt ein bißchen schwer, holt Ginks Drama doch die hierzulande fast schon vergessene Tradition des Absurden nach. Einerseits. Andererseits rechtfertigt sein Thema die Form, selbst wenn sie als Sinnbild der Orientierungslosigkeit für uns nicht mehr greift.

Nach der Führung werden einem die Sitznummern (204 und 205) eingebleut, die es natürlich gar nicht gibt, obwohl man sie sich gewissenhaft gemerkt hat. Später, nach dem Essen, spielen Werner Schuster und Adolfo Assor auf dem Tisch den Dialog von Dani Gink. Ein Beglatzter und ein Brünetter, zwei, die sich in einem Zimmer auf Verderb ausgeliefert sind und aus Gewohnheit vielleicht ja doch noch auf Godot warten.

Sie assoziieren derweil frei, beschimpfen sich, hören Radio und unterhalten sich über eine Frau, die auftaucht, dem Beglatzten eine große Ähnlichkeit mit ihrem Vater bescheinigt und ein imaginäres Kind in den Schlaf singt. Zum Glück verzichtet Hendrik Mannes' Inszenierung auf Ginks gesuchte und museal anmutende szenische Anweisungen, wie beispielsweise, daß der Brünette in einem gläsernen Schrank wohnt etc.

Der Text ist nicht übermäßig geistreich. Man versteht allerdings, daß der Beglatzte ein von der Gesellschaft Gebrochener ist, ein in seiner Entwicklung Verhinderter, der an Auflehnung vielleicht noch nie geglaubt hat und mit all seiner überschüssigen Kraft umstandslos in die Resignation des Redens stürzt. Werner Schuster unterstreicht dies, indem er sich in kraftvolle Posen hineinräkelt und dann jeweils erstarrt. Adolfo Assor setzt dem mit Trippelgang und steif gebeugtem Rücken ein insektenhaft stichelndes Alter ego entgegen. Der Nackte und der mit dem braunen Panzer. Beide lachen fortwährend. Man weiß nicht warum, das ist erschreckend.

Schade, daß Amijan, der Dramaturg und Nicht-Schauspieler, in langen und mühsamen Passagen die Rolle der Frau vorliest. Im Spiel selbst auf ein Provisorium zu setzen, läßt die locker irritierende und im Ganzen doch sehr charmante Gesamtkonzeption des Lübarser Abends schließlich kippen.

Weitere Aufführungen morgen und Sonntag, 20.30 Uhr, LabSaal, Alt-Lübars, Anreise: U-Bahn Alt- Tegel oder (geschickter!) S-Bahn Waidmannslust und Bus 222.

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