: Am Horizont die Steinzeit
„Le paysage entropique 1960–1973“: Eine Retrospektive mit Arbeiten von Robert Smithson in Brüssel ■ Von Harald Fricke
Auf dem Grote Markt mitten in Brüssel wird seit der Wahl Europa gefeiert. Mit Heineken, Würstchenbuden und Euro-Folk. Manneken-Pis trägt ein blaues Kleidchen mit gelben Sternen, und überall kann man frisch geprägte EG- Souvenirs kaufen. Die kolonialen Erinnerungen an Afrika sind ganz aus den Antiquitätenläden verschwunden, statt dessen zeigt man Jugendstil, Chippendale und Art déco in vielen Farben. Europa fühlt sich wohl zum Fin de siècle. In der Ausstellung mit Arbeiten des 1973 bei einem Flugzeugabsturz tödlich verunglückten Earth-art- Künstlers Robert Smithson dagegen ist alles sperrig, zerklüftet, abgeblättert und staubtrocken. Sein Amerika der frühen siebziger Jahre ist eine fossile Wüste.
Die Retrospektive im Brüsseler Kunst-Palais der Jahrhundertwende hält sich an den Fahrplan von Kunstgeschichte und Revivals: Zwanzig Jahre geben Historiker normalerweise einem Künstler, bis sein Werk den Anschein des Aktuellen abgelegt und sich in der Kulturlandschaft sedimentiert hat. Kein Marktgeschrei trübt mehr den stillen Reiz in der Natur des Schönen. Bei Smithsons bekanntester Arbeit „Spiral Jetty“ trägt die Inszenierung solcherart geläuterter Schönheit von Stock und Stein die Züge einer Realsatire.
1970 hatte er zwei Monate lang Lastwagenladungen mit Kalkstein und Geröll ins ufernahe Wasser des Great Salk Lake, Utah/Ohio, zu einer Spirale von über hundert Meter Umfang aufschütten lassen. Danach waren nur einige Künstlerfreunde und Galeristen zur Besichtigung angeflogen, und die Arbeit wurde abschließend vom Hubschrauber aus gefilmt. Dann stieg der Wasserstand des Sees, und „Spiral Jetty“ verschwand wie einst vielleicht Atlantis oder wenigstens Teile von Helgoland. Seit ein paar Jahren sind einzelne Zipfel wieder aufgetaucht, der Schutt ist nun mit weißen Salzkristallen überzogen. Nach Kunst sieht es kaum mehr aus, eher wie Stonehenge und die Ringe in den Kornfeldern. Gäbe es kein Archivmaterial der Aktion, es wäre ein Fall für Däniken. Robert Smithson hätte seinen Spaß gehabt an dem Witzforscher.
Nur Botschaft
Earth-art, als seinsbeladene Schwere vom Menschen zurück in die Natur geformt oder mit einem Kilometer Stahlrohr in den Kasselener Documenta-Boden gerammt, war für Smithson zunächst eine äußerst luftige Angelegenheit. Während europäische Künstler der Ars povera wie Mario Merz sich damit abmühten, Industrieabfall und totes Gebüsch im Galerieraum zu Restutopien zwangszuvereinen, suchte man in Amerika gar nicht erst nach einer enggefaßten Synthese. Wozu in New York oder L.A. am Zivilisationsprozeß herumbasteln, solange noch der Highway als Silberstreif am endlosen Horizont aufblitzt? Warum Geschichte schreiben, wenn doch das Land mit all seinen Canyons, Rocks und Mountains selbst schon einer Anhäufung von Weltaltern gleicht? Keine Anklage jedenfalls, nur Botschaft. Entsprechend gehörte Smithson bereits früh zu den Kritikern einer wie auch immer gearteten Dialektik von Ich und Welt: „Nature is not subject to our systems.“ Das Sittengesetz mag zwar in mir sein, der gestirnte Himmel aber ist so weit draußen, daß dort die Vernunft ihre Grenzen hat. Soweit kam Kant im Wilden Westen der Neuen Welt.
Trotz seiner Bedenken blieb Smithson bei der vermittelnden Kunst, und das auch anders als bislang vermutet: Die ersten Bilder um 1960 bevölkern zusammencollagierte Trashfiguren – Götter, Engel, Pornohelden, alles in Pop. Natur ist lediglich ein expressives Farbkonstrukt im Hintergrund. Auf „Untitled (Pink Linoleum Center)“, 1964, läßt er den nackten Bikeboy aus einem Gay Magazine von der rechten Bildhälfte in den ausgestreckten Kelch eines römischen Engelstandbildes pinkeln. Nicht ausschweifend, sondern akademisch. Mit den Anleihen bei Bataille und De Sade versuchte Smithson in die Formalismus-Debatte einzugreifen, die der vor kurzem verstorbene Clement Greenberg gegen Pop-art führte, und dessen Kritik an der falschen Natur des Pop-Realen als falschen Begriff von Natur bloßzustellen. Zwei Jahre später wurde Smithson in einem unveröffentlicht gebliebenen Text noch deutlicher: „Mindless abstraction is not abstraction, it is merely realistic naturalism without any figures.“
Die homoerotischen Bilderwesen sollten nicht anders als seine einsamen Earth-art-Projekte die bessere Abstraktion einer wirklichen Natur der Menschen und Dinge darstellen. Dabei taten sich merkwürdige Konstellationen auf: Bei einem nichtfigürlichen Maler wie Jackson Pollock sah Smithson plötzlich die Wogen des Pazifik spritzen, zu Sol Lewitts gebauten Rechenexempeln phantasierte er Science-fiction-Wohnblocks aus B-Movies, und die „Ray-Guns“ von Claes Oldenburg schienen den Zusammenhang von „cave-man“ und „space-man“ zu bestätigen. Überhaupt stamme die gesamte moderne Kunst irgendwie aus der Steinzeit, und ihre Vorbilder stünden im Naturkundemuseum, konnte Smithson 1966 im Artforum schreiben. Er selbst glaubte an die stille Übereinkunft von Sauriern und Bulldozern. Das war für einen Jungkünstler aus dem Greenwich-Village-Camp mit einer knappen Handvoll Ausstellungen schon ein wenig befremdlich. Knochen im Weltall: Kubricks „Space Odyssey“ kam erst zwei Jahre später.
Die Wiederkehr der Urzeit im Kunstraum war bei Smithson auch gar nicht metaphorisch gemeint. Ab 1967 fuhr er regelmäßig aufs Land, um Fotos zu machen oder Steine zu sammeln – „Mineral Hunting“, wie er seine Beutezüge bezeichnete, auf denen ihn Donald Judd begleitete. Was er findet, fügt er zu „Nonsite“-Objekten zusammen und trägt es in die Galerie. Obwohl Smithson den Kontext der Dinge in Verbindung zu ihrer Gestaltung und nicht „as isolated objects“ sucht, gerät er mit der Präsentation von Außenwelten unter den Rahmenbedingungen der Kunst in keinen Widerspruch. Beides bedingt sich: Die Natur als Fragment verweist auf die Beschränktheit des Raumes, in dem sie dargeboten wird. Ganz offensichtlich sind die „Nonsites“ Container im Container. Glücksboten im Horror vacui des leergeräumten white cube, und doch minimal. Darin unterscheidet sich auch sein Mitbringsel „Nonsite (Oberhausen)“ aus dem Jahr 1968 von den Fotos, die sein Freund Bernd Becher vor Ort gemacht hat. Becher empfindet mit seinen Bildern die skulpturale Erscheinung der Landschaften und Fördertürme nach, Smithson zeigt die Sache selbst, gehärtete Schlacke, in Kästen archäologisch aufgebahrt.
Doch die Dinge allein genügen ihm nicht. Smithson sucht in den Steinen vor allem einen Anfang, der mehr sein soll als nur eine neue Mythologie – die ganze Vorzeit soll sich gleich mit entfalten. Vielleicht liegt es an den Büchern: Fast den kompletten C.G. Jung hat er in seiner jugendlichen Begeisterung für Archetypen gelesen, Lévi-Strauss' „Triste Tropen“ ebenfalls, und auch Augustinus (seine Bibliothek umfaßte bald 1.500 Bücher). Was ihm jedoch zum Ursprung fehlte, war ein unumdeutbares Zeichen. Nicht die Spur, die Schrift der Steine.
Am Nullpunkt
Und die Natur hat anscheinend sogar Erbarmen. Plötzlich, im Winter 1967, findet Smithson auf einem field trip zu den „Monuments of Passaic“ die trockengelegten Spülfelder und verwaisten Parkplätze jener Ortschaft, in der er als Kind gelebt hatte, den Beweis, daß der Fortschritt im industriellen Zeitalter an einem Nullpunkt angelangt ist. Die amerikanischen Highways, die die Welt bedeuten, beinahe führen sie in den Himmel: „It was hard to tell the new highway from the old road; they were both confounded into a unitary chaos“, und später „A psychoanalyst might say that the landscape displayed ,homosexual tendencies‘, but I will not draw such a crass anthropomorphic conclusion. I will merely say ,It was there‘.“ Sah so das Ende der Form/Inhalt- Debatte aus – ein verlassenes Kaff als Ikone am Rande des Highways? Wehe dem, der Wüsten birgt ...
Zwischen den Unendlichkeiten von Zukunft und Vergangenheit schien Smithson jedenfalls in einem, nun ja, gnostischen Augenblick seinen archimedischen Bezugspunkt zur Welt entdeckt zu haben, und nicht bloß ein Abbild. Das Denken folgte der Idee: „buildings don't fall into ruin after they are built but rather rise into ruin before they are built.“ Für Smithson war damit der letzte Rest Romantik aus der Moderne geräumt. Seine Projekte der nächsten drei Jahre waren seltsam ganzheitliche Ornamente von gewaltigem Ausmaß, die er mit Stein und Lehm in die Landschaft setzte, als wolle er die Erde nach Zeichen formen. Spiralen, Kreisel, Zickzacklinien, Yin und Yang, allesamt Spiegel der unbewußten Bindung von Sprache an Natur und Fenster zur Welt zugleich. Smithson nannte diese Landschaften entropisch, weil sie die Gegensätze zwischen Natur und Technik, Realität und Illusion, Schöpfung und Zerstörung oder Fluß und Stillstand auflösten. Zur Dokumentation seiner Arbeit hatte er bereits ein unterirdisches Kino und ein „Museum of the Void“ entworfen. Dann stürzte er, fünfunddreißigjährig, mit einem Sportflugzeug über dem Gelände ab, auf dem sein letztes Projekt „Amarillo Ramp“, ein Dreiviertelkreis von mehreren hundert Metern Durchmesser, geplant war. Es gibt dazu die Legende, daß er beim Betrachten der Landschaft oben aus der Luft vergessen haben soll, daß er in einem Flugzeug saß. Irgendwann war der Tank leer.
Robert Smithson: „Le paysage entropique 1960–1973“. Bis 28.8. im Palais des Beaux-Arts, Brüssel. Ab 23.9. im MAC, Marseille. Der Katalog, 330 S., kostet ca. 90 DM.
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