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Von allen guten Geistern verlassen

Auch ohne Diego Maradona (Cocktailfan) und die Kokainnase Claudio Caniggia (schenkelschwach) spielte Argentinien groß auf, schied aber dennoch mit 2:3 gegen Rumänien aus  ■ Aus Pasadena Matti Lieske

Noch sichtlich unter Schock standen die argentinischen Fans, die sich nach der Niederlage im letzten Gruppenspiel gegen Bulgarien auf einmal in Los Angeles wiederfanden, wo ihr Team im Achtelfinale gegen Rumänien antreten mußte. Die plötzliche Verflüchtigung ihres guten Geistes Diego Maradona, der sich als Medizinflaschenteufelchen entpuppt hatte, war ihnen mächtig aufs Gemüt geschlagen, doch den blauweißen Fußballfreunden vom Rio de la Plata stand noch weit Ärgeres bevor.

Claudio Caniggia, die schnellste Kokainnase der Welt, saß stirnbändchenlos, also nicht einsatzfähig, auf der Bank, und Argentinien ging in einem der besten Spiele dieser WM, das die New York Times sogar emphatisch mit den Darbietungen von Magic Johnsons Los Angeles Lakers verglich, gegen ein taktisch und spielerisch überzeugendes rumänisches Team unter. Show-time in der Rose Bowl von Pasadena.

Die Rumänen befleißigten sich jener bewährten Taktik, mit der sie schon zu Beginn der WM eine bessere und überlegene Mannschaft bezwungen hatten, die Kolumbianer nämlich. Sie riegelten ihren Strafraum mit fast allen verfügbaren Spielern hermetisch ab und verließen sich ansonsten auf ihr Konterspiel.

Dieses zählt zu den gefährlichsten der WM, weil die Rumänen im Gegensatz zu den Argentiniern ihren guten Geist noch auf dem Spielfeld haben.

Während Diego Maradona auf der Pressetribüne saß, wofür er vom argentinischen Fernsehsender Canal13 1,5 Millionen Dollar einstreicht, und seine Kreativität ausschließlich darauf verwandte, Kußhände unters Volk zu streuen und bei den vergebenen Torchancen seiner Landsleute die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen, konnte der Genius der Rumänen, Gheorghe Hagi, seine ganze Schaffenskraft auf dem Rasen zur Geltung bringen. Man nennt ihn den „Maradona der Karpaten“, was er gar nicht gerne hört, doch ganz von der Hand zu weisen ist der Vergleich nicht.

Wenn er am Ball war, herrschte Hochalarm in der argentinischen Abwehr, denn Hagi schießt wie der sprichwörtliche Wilddieb, und seine Pässe sind von netzergleicher Präzision und Raffinesse. Daß seine bevorzugte Anspielstation Florin Raducioiu wegen Gelbsperre fehlte, fiel nicht weiter ins Gewicht, denn kongenial sprang Ilie Dumitrescu in die Bresche, der einzige Akteur der Rumänen, der bisher noch im eigenen Lande, bei Steaua Bukarest, spielte.

Der schnelle Stürmer war neben Hagi der zweite Stachel im Fleisch der Argentinier, beide sorgten sie dafür, daß diese ständig einem Rückstand hinterherlaufen und die Offensive forcieren mußten, wodurch sie den rumänischen Kontern oft hilflos gegenüberstanden.

Ohne Maradona und Caniggia konzentrierte sich die ganze Torgefährlichkeit der Argentinier bei Gabriel Batistuta, was das Team nicht daran hinderte, trotz der Doppel- und Dreifachdeckung der Rumänen deren Tor in der Anfangsphase fast zu überrennen. Besonders der zwanzigjährige Caniggia-Vertreter Arnaldo Ortega brillierte mit seinen Dribbelkünsten, doch Batistuta und Balbo vergaben gute Gelegenheiten en masse, und es erging ihnen genauso, wie es den Kolumbianern zwei Wochen zuvor ergangen war. Der erste ernsthafte Gegenstoß der Rumänen brachte in der 11. Minute das 1:0 durch Dumitrescus spektakulären Freistoß. Batistuta konnte zwar, nachdem er selbst bei einem „Flamenco-Solo“ (New York Times) gefoult worden war, per Elfmeter ausgleichen (15.), aber schon drei Minuten später trat Hagi auf den Plan, dessen durchtriebenes Anspiel wiederum Dumitrescu zum 2:1 verwandelte.

Nach der Halbzeit kamen die Argentinier mit frischer Angriffswut aus der Kabine, doch besonders bei dem klinsmannartig rackernden Batistuta zeigten sich Verschleißerscheinungen. Innerhalb von zwei Minuten vergab er drei große Chancen, wobei er völlig uncharakteristischerweise einmal halb hoch auf den Torwart schoß und zweimal zu lange zögerte.

Es folgten weitere Versiebungen der unverzeihlichen Art, und das Unheil war förmlich abzusehen. Es kam in der 58. Minute. Dumitrescu spurtete auf der linken Seite mit dem Ball davon, wartete geduldig, bis auch Hagi vorne eingetroffen war und legte ihm den Ball in den Lauf – 3:1.

Dann hatten die Argentinier auch noch belgiermäßiges Pech, als der italienische Schiedsrichter Pairello ein klares Foul aus dem Strafraum herausverlegte. Zwar gelang noch der Anschlußtreffer durch Balbo in der 75. Minute, doch auch in diesem Achtelfinalmatch blieb die Aufholjagd vergebens und das Standardergebnis von 3:2 bestehen.

Sehr zur Erleichterung von Rumäniens Trainer Anghel Jordanescu, der kurz vor Schluß va banque spielte, als er Hagi und Dumitrescu auswechselte, ohne die seine Mannschaft in einer Verlängerung keine Chance gehabt hätte.

An die glaubte aber selbst Maradona nicht, der seinen Reporterplatz just zur selben Zeit verließ wie Gheorghe Hagi das Spielfeld.

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