piwik no script img

■ Das Neueste aus der Bewegungsbranche: „Walking“Ein moderner Volkssport?

Berlin (taz) – Bei dieser Hitze mag man sich eigentlich gar nicht bewegen. Ein Blick am eigenen Körper hinunter bis zu den Füßen bringt jedoch so manchen zum Umdenken. Wie gut, daß es die US-Amerikaner gibt, die es anscheinend niemals leid werden, nach dem idealen Sport zu forschen. Was aber mitunter als der neuste Hit aus der Bewegungsbranche verkauft wird, ist für andere so neu nicht – es handelt sich hier um einen Re-Import: Das Neueste in Sachen Fitneß heißt Walking. In einem Land, in dem selbst kürzeste Wege mit dem Auto zurückgelegt werden, war es lediglich eine Frage der Zeit, wann der gewöhnliche Fußmarsch zu einer Sportart umdefiniert wird.

Ohne wissenschaftliche Anleitung geht natürlich gar nichts, denn mit unserem „Spazierengehen“ hat Walking angeblich nur wenig zu tun. Gary Yankers Buch – schon 1985 verfaßt – über dieses neue Fitneßphänomen wurde jetzt erstmals ins Deutsche übersetzt. Es soll uns zeigen, wie man anständig geht. Ein Band mit dem verheißungsvollen Titel „Walkshaping“ soll folgen. Yanker hat ein hochgestecktes Ziel: Das „Walken“ soll zum amerikanischen Volkssport Nummer eins avancieren.

Der Experte ist in seiner Jugend bei einem längeren Deutschlandaufenthalt durch das Wandern auf die Walking-Idee gekommen. „Ich kam mit Babyspeck und ging mit einem stahlharten Körper“, schwärmt er von jener Zeit. Doch Obacht – der Unterschied zum gemeinen Wandern ist gravierend. „Wandern ist etwas, was am Wochenende im Urlaub oder in der Natur ausgeübt wird“, glaubt Yanker. „Walking ist insofern breiter angelegt, als es die Gehbewegung in all ihren Ausprägungen als Trainingsform praktiziert. Walking ist eine Trainingsform, die genau wie Jogging täglich oder jeden zweiten Tag angewandt werden kann.“ Das soll wohl heißen, daß es in der Natur des Wanderns liege, sich stets vorwärts zu bewegen. Walking dagegen, so der Guru der Walking-Bewegung, läßt sich nicht nur vorwärts und rückwärts, sondern sogar seitwärts praktizieren. Man kann dabei Musik hören – mit dem Walkman oder politisch korrekt: Walkperson –, wodurch das Programm durch eine tänzerische Komponente ergänzt wird. Und wer erst mal in die Geheimnisse des „Kamelgangs“, „Storchengangs“ oder des „Climberwalking“ eingeweiht ist, könne unmöglich an der Fitneß-Wirkung des Promenadensports zweifeln. Hauptsache ist, mit mindestens einem Fuß Bodenkontakt zu wahren. Nun zur Hauptsache: dem Abspecken durch Walking. Sie täuschen sich, wenn Sie glauben, mit ein bißchen Schwimmen sei das getan. „Am Körper eines Schwimmers ist in der Regel mehr Fett als bei anderen Sportlern“, weiß der Meisterwalker. Das schützt ihn nämlich vor dem kalten Wasser. Aber mit Walken sei das bei einem „realistischen Ziel von einem halben bis einem Pfund pro Woche“ ganz einfach. Der Mann weiß, wovon er spricht: Bevor er seinen gutbezahlten Job als Anwalt an der New Yorker Wall Street an den Nagel gehängt hat, um noch mehr Zeit zum Walken zu haben, soll Yanker ein Fettsack mit einem Übergewicht von 54 Pfund gewesen sein. Die hat er abgespeckt, ohne zu hungern und ohne das für Jogging typische Verletzungsrisiko. Das klingt vielversprechend.

Für einige Leute bleibt Walking jedoch ein Reizwort. Unser etwas molliger Kollege aus Dublin sagt: „Mein Beitrag zu diesem Thema? Ich stelle mein Auto jetzt nicht mehr in die Einfahrt, sondern weiter unten an die Straße.“ Wahrscheinlich gibt es auf der Grünen Insel Yankers Buch noch nicht. Kirsten Niemann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen