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Der Jupiter im Medienhagel

■ Der Bremer Physiker Peter Richter zu der Frage, warum die Presse übertreibt und die WissenschaftlerInnen in Panik sind

Die derzeit zu beobachtenden Kometeneinschläge auf dem Jupiter lösen weltweit Aufsehen aus. Das Bangen um den Fußball ist dem um die Erde gewichen. Wird unser Planet von Kometen bedroht? „In 220 Millionen Jahren wird der Wahrscheinlichkeit nach einmal ein Comet mit der Erde zusammenstoßen“, schrieb anno 1810 der Bremer Arzt Wilhelm Olbers. Er war zu Lebzeiten einer der bedeutendsten Astronomen Europas, seine Erkenntnisse sind noch heute von hohem Wert: „Der Mann hatte völlig recht mit seiner Wahrscheinlichkeitsberechnung“, bestätigt Professor Peter Richter, Physiker und Chaosforscher an der Uni Bremen. Peter Richter beschäftigt sich beruflich unter anderem mit den Ursprüngen in der Himmelsmechanik und ist privat Vorsitzender der 1920 gegründeten Olbers-Gesellschaft, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, „die Astronomie in Bremen und Umgebung“ zu fördern.

taz: Weltweit wird Shoemaker–Levy 9 als ein „Jahrhundertereignis“ gefeiert, Sie dagegen sprechen von einem „Medienereignis“.

Peter Richter: Der Kometeneinschlag ist für die Astronomie schon ein Jahrhundert- oder Jahrtausendereignis, denn bislang hat man noch nie einen zerplatzten Komet auf einen Planeten prallen sehen. Trotzdem scheint mir das Medienereignis Shoemaker–Levy weit über das hinaus zu gehen, was vernünftig wäre. Es wird aufgebauscht, es werden Dinge übertrieben, die, wenn man sie in ihrer bescheidenen Wirklichkeit darstellen würde, schon interessant genug wären.

Können Sie die Übertreibungen konkretisieren?

Beispielsweise wird gesagt, daß da ein Loch zu sehen sei, das im Durchmesser größer ist als die Erde. Es ist aber tatsächlich viel kleiner. Die Erde hat etwa den zehnten Teil des Jupiter-Durchmessers, und man sieht, daß das Loch viel kleiner ist. Was ungefähr die Größe der Erde hat, ist das von der Stoßwelle erzeugte Areal um das Loch herum.

Warum wird so übertrieben, steckt dahinter die Lust an der Panik, am Entsetzen?

Ich weiß es nicht, vielleicht ist die Lust an der Panik ein menschliches Phänomen.

Überteiben nicht auch die Wissenschaftler?

Das muß man wohl selbstkritisch anmerken, denn sie selbst behaupten diese Dinge im Fernsehen. Man muß wahrscheinlich in Rechnung stellen, daß diese Leute selbst in Panikstimmung sind. Wir stehen alle unter einem sehr starken Druck, der aus der Reduktion der Forschungsförderungsmittel resultiert. Seit dem Zusammenbruch der Ost-West-Konfrontation, von der wir alle gut gelebt haben, ist nicht mehr so klar, daß die Naturwissenschaften so großzügig gefördert werden wie früher. Daher werden neue Begründungen gesucht, von denen eine die ist, daß die Wissenschaft sich für die Wirtschaft nützlich machen müsse. Das funktioniert in vielen Fällen, aber nicht für die Astronomie. Diese war, wenn man sich den rein wissenschaftlichen Erfolg anschaut, in den letzten 20 Jahren wahrscheinlich das erfolgreichste Unternehmen überhaupt, aber das alles hat nichts mit wirtschaftlichen Erfolgen zu tun. Daher sind die Astronomen und Astrophysiker ganz besonders unter Druck. Sie müssen jetzt sehen, wo sie bleiben und versuchen vielleicht, durch Aufbauschen ihrer Beobachtungen Aufmerksamkeit zu erregen und Forschungsmittel einzuwerben. Typisch ist ja die Panikmache in Bezug auf die Asteroiden, die die Erde treffen könnten. Da wird dann gesagt: Wir brauchen unbedingt Beobachtungsprogramme, die uns rechtzeitig warnen. Ich würde sagen, das Beobachten ist auf alle Fälle vernünftig, weil wir dadurch Wissen und Erkenntnisse sammeln. Aber es ist, ehrlich gesagt, nicht richtig, die Gefahr, die der Erde droht, als Grund für ein solches Programm anzuführen. Ich halte die Gefahr nicht für so groß.

Also sind vorhergesagte Klimaveränderungen, die durch Shoemaker ausgelöst werden, kaum vorstellbar?

Der Einfluß des Jupiter auf die Erde ist zwar da, die durch den Einschlag verursachte Störung ist jedoch so gering, daß sie keinerlei Einfluß hat. Aber man könnte sich ja mal vorstellen, daß das bei uns passierte. Ein im vergangenen Jahr erschienenes Buch beschreibt das Szenario eines zerplatzten Komenten als Ursache der Sintflut, die vor knapp 10.000 Jahren stattgefunden haben soll. Da soll ein Komet zerbrochen, auf die Erde gestürzt sein und Säureregen, riesige Flutwellen, Brände hervorgebracht haben. All diese Dinge sind denkbar, aber nicht nachgewiesen, und gelten unter Fachleuten daher eher als unseriös. Andererseits hat es einmal ein solches Ereignis gegeben vor 65 Millionen Jahren, als die Dinosaurier und mit ihnen mehr als 50 Prozent der bis dahin entwickelten Spezies ausgelöscht wurden. Das führen die meisten Wissenschaftler auf einen Kometeneinschlag zurück. Es gibt sowas, nur wenn es heute passieren würde, könnten wir uns davor ohnehin nicht retten.

Im Zusammenhang mit Shoemaker–Levy klang an, daß es möglicherweise Leben auf dem Jupiter gibt?

Es ist viel zu früh, über solche Dinge zu reden. Man hat in den spektroskopischen Analysen des Lichts ein paar Linien gesehen, die von organischen Molekülen kommen könnten. Aber erstens ist der Befund noch nicht abgesichert, zweitens sind die Moleküle, so es sie denn gibt, wahrscheinlich sehr einfache. Die sind in jeder Ursuppe drin, die durch Blitze oder ähnliche Energie gefördert wird. Das heißt noch nicht, daß sich daraus irgendeine Form von Leben entwickelt hätte, was unter den Jupiterbedingungen ohnehin schwer vorstellbar ist. Auch das wird angedeutet, um Aufmerksamkeit zu erregen, hat aber sehr, sehr wenig Substanz.

Fragen: Dora Hartmann

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